Dieser Trend hat einen Bart
Es laufen da draußen jetzt viele junge Männer mit Rauschebärten herum. Vor ein paar Jahren waren es deutlich weniger. In den 90ern fand man sie überhaupt nur vereinzelt. Bartperioden gab es im Lauf der Geschichte immer wieder - und auch der jetzige Wildwuchs kam nicht aus dem Nichts. Er gilt als Banner der „Lumbersexuals“.
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Die „Metrosexuals“ sind noch jedem ein Begriff. Stichworte: David Beckham, männlich sein (mit Tattoos und Muckibuden-Figur) und sich trotzdem pflegen wie ein Ballett-Starlet vor dem ersten großen Auftritt. Jetzt wird zur Verwunderung vieler ein neuer Trend ausgerufen: „Lumbersexuals“, die nicht glatt rasiert sind, sondern im Gegenteil, dichten, langen Bartwuchs zeigen, Holzfällerhemden tragen, dazu keine Röhrl-, sondern normale Jeans und (für Anfänger) Arbeitsschuhe wie von Timberland und Camel oder (für Fortgeschrittene) Red Wing, Wolverine 1000 Mile und Alden 403.
„Lumbersexual“ ist ein sogenanntes Kofferwort, es setzt sich aus „Lumberjack“ (Holzfäller) und eben „metrosexuell“ zusammen. Woher die Verwunderung kommt: Die Bärte kennt man von Hipstern und von einem Haufen Brooklyn-Williamsburg- oder Kanada-orientierten Neo- und Weird-Folk-Bands seit mittlerweile 15 Jahren. Das restliche Outfit erinnert sehr an den Grunge von Nirvana und Konsorten. Aber ein „Trend“ wird eben erst in großem Stil ausgerufen, wenn Fußgängerzonen und H&M-Filialen von seinen Adepten überlaufen sind.

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So ein schöner Mann - ob der auch Bäume fällen kann?
Die bärtigen Helden der Krim - historisch
Verglichen mit der nunmehrigen Bartdichte waren die hippieinspirierten 70er Jahre nur das kleine Aufflackern einer Gesichtshaarperiode. Ganz im Gegenteil zum 19. Jahrhundert, das ab seiner Mitte von „Lumbersexuals“ geradezu überlaufen war. Die wuchernden Bärte waren damals eine Folge der Krimkriege. Soldaten durften eigentlich keinen Vollbart tragen. Aber weil es den Briten auf der Krim kalt war und weil sie über keinen ordentlichen Nachschub an Rasierseife verfügten, wurde eine Ausnahme gemacht.
Dann war der Krieg zu Ende, und die siegreichen Briten kehrten samt ihren rauschenden Vollbärten zurück. Jeder wollte plötzlich so aussehen wie die Helden von der Krim. Und über britische Modemagazine, die damals auch in den USA den Ton in Sachen hip und cool angaben, kam der Trend in die Vereinigten Staaten und schließlich auch nach Resteuropa. Erst mit dem Aufkommen moderner Sicherheitsrasierer Anfang des 20. Jahrhunderts ging die Bartdichte dramatisch zurück.
Raus aus der Waldhütte
Denn Rasieren war durchaus gefährlich. Eines der Opfer war John Thoreau, der 1842 den Folgen einer Kiefersperre erlag, nachdem er sich beim Rasieren geschnitten hatte. John starb in den Armen seines Bruders Henry David Thoreau, der nicht nur überzeugter Bartträger war, sondern dessen Philosophie auch der Einstellung der waldaffinen Hipster- und Folkcommunity der letzten zehn, 15 Jahre zugrunde lag. Er lebte längere Zeit in einer Waldhütte, schrieb darüber („Walden“) und legte sich mit den Autoritäten seiner Zeit an. Er predigte die Einfachheit und trat für eine gerechtere Gesellschaft ein.
Das passt zur derzeitigen Do-it-yourself-Welle, die als Abwehrhaltung gegen die Ökozerstörung und gegen globale Ungerechtigkeiten in Produktion und Handel gedacht war. Aber wie das eben so ist bei Fußgängerzonenmoden: Am Ende bleibt nur der Look. Und deshalb wird gerade in hippen Blogs - und im Gefolge auch in internationalen Medien wie dem britischen „Guardian“ - über die „Lumbersexuals“ gelästert.
MacBook Air statt Axt
Den Anfang machte „Gear Junkie“ im Herbst 2014 mit einem ätzenden Beitrag, der für Aufsehen in den Sozialen Medien sorgte. Dort sieht man unter anderem einen Holzfällerlook-Vollbart-Typen, der so beschrieben wird: „Er schaut wie ein Mann der Wälder aus, arbeitet aber in der Nerd-Agentur ‚The Nerdery‘, wo er für ein gutes Gehalt plus Spesen programmiert. Sein Rucksack enthält ein MacBook Air, schaut aber aus, als ob die Axt eines Holzfällers drin sein sollte.“
Der Sukkus dieses und ähnlicher Artikel: Mit dem Wald oder sonst irgendetwas Alternativem haben diese Mode-Afficionados rein gar nichts am Hut. Ihnen geht es darum, ihre „Männlichkeit“ zu präsentieren. Und weil das Männerbild des Metrosexuellen abgelutscht und fad geworden ist, orientiert man sich eben an dem, was man fürs Gegenteil hält: vor Männlichkeit strotzende Muskelprotze, die aus dem Wald kommen. In Wirklichkeit kommen sie aber aus dem Badezimmer, wo sie jeden Tag 20 Minuten für die perfekte Bartpflege opfern.
Der „bärige“ Trend nur geklaut?
Besonders laut lacht man in der Schwulenszene, zumindest, wenn man „Daily Beast“-Autor Tim Teeman glauben schenken darf. Er schreibt in seiner Polemik, dass der ganze Trend zum bärigen „Bear“ einfach nur von der Gay-Kultur abgekupfert wurde, wie auch schon die Metrosexualität davor. Jetzt, schreibt er sinngemäß, hätten die Heteros den Schwulen endgültig ihrer Identifizierungsmerkmale beraubt. Früher habe man sich auf der Straße noch erkannt und konnte flirten. Nun bleibe nur noch das Social Web - ein müder Abklatsch, was den spielerischen Spaßfaktor betrifft.
Da erinnert sich so mancher an den „Lumberjack“-Song von Monty Python, der bereits 1969 den Männlichkeitswahn rund um Holzfäller behandelte und heute wohl nicht mehr als politisch korrekt durchgeht, weil er zwar das Stereotyp des Flanellkaroträgers aufs Korn nimmt, gleichzeitig aber jenes über Schwule bedient:
„Ich fälle Bäume und hüpf und spring
Steck Blumen in die Vas
Ich schlüpf in Frauenkleider
Und lümmel rum in Bars“
Die nächste Sau durchs Dorf treiben
Wer sich jedenfalls über die Lumbersexuals aufregt - und das sind neben allen, denen diese Art von Mode fremd ist, auch jene, die eigentlich schon lange so aussehen und sich nun vereinnahmt fühlen -, wer sich also echauffiert, der sei beruhigt: Spätestens in ein paar Jahren ist alles vorbei und die nächste Sau wird durchs Dorf getrieben. Wobei: Einige Vollbärte werden dranbleiben. Es gibt ja auch heute noch Schlurf-Frisuren in dem einen oder anderen Seniorenheim.
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