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„Philae“ in „sehr solidem“ Zustand

Trotz offensichtlich wilder Landung liefert das Minilabor „Philae“ wieder Daten vom Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko („Tschuri“). Kontrolleure konnten Donnerstagfrüh wieder Kontakt zu dem Gerät aufnehmen. Insgesamt drei Anläufe brauchte „Philae“ laut den Wissenschaftlern für die Landung.

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„Der erste Sprung dauerte etwa zwei Stunden, der zweite rund sieben Minuten“, sagte „Philae“-Projektleiter Stephan Ulamec am Donnerstag im Kontrollzentrum der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) in Darmstadt. Da der mittlere Durchmesser des Kometen nur rund vier Kilometer beträgt, hat er eine extrem geringe Anziehungskraft.

„Wir sind immer noch dabei zu analysieren, wie wir nun auf 67P/Tschurjumow-Gerassimenko genau draufstehen“, ergänzte Ulamec. Das Gerät funktioniere aber. In der Nacht hatte es wie erwartet eine Zwangspause wegen eines Funklochs gegeben. Das Labor scheine in einem „sehr soliden“ Zustand zu sein, hieß es nun.

Harpunen wurden nicht ausgelöst

Die Landung ist eine Premiere in der Geschichte der Raumfahrt. Beim Aufsetzen auf „Tschuri“ gab es am Mittwoch aber offenbar weitere Schwierigkeiten. Zwei Harpunen zum Verankern von „Philae“ wurden nicht ausgelöst, eine Düse zum Aufsetzen des Labors auf dem Kometen funktionierte nicht.

Foto der Oberfläche des Kometen "67P/Tschurjumow-Gerassimenko"

APA/dpa/European Space Agency ESA

Die Oberfläche von „Tschuri“ aus zehn Kilometer Höhe

Die Ursache, warum die Fixierung durch Harpunen nicht geklappt hat, ist noch unklar, so Wolfgang Baumjohann, Chef des Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), das an fünf Instrumenten von „Rosetta“ und „Philae“ beteiligt ist, am Donnerstag zur APA. Möglicherweise seien die Auslöseimpulse am Boden zu schwach gewesen, um den Verankerungsmechanismus auszulösen. „Die Harpunen sollten ausgelöst werden, wenn zwei Beine Bodenkontakt haben. Zurzeit ist noch unklar, warum die Verankerung nicht geklappt hat. Möglicherweise sind die Impulse dafür zu schwach“, so Baumjohann.

Mission laut Experten nicht in Gefahr

Der Chef des ESA-Flugbetriebs im Satellitenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt, Paolo Ferri, ging am Donnerstag davon aus, dass „Philae“ trotzdem auf dem Kometen bleiben wird. Es sei derzeit noch „schwierig zu verstehen, was während und nach der Landung geschehen ist“, so Landemanager Stephan Ulamec. In den ersten Stunden nach der Landung hätten bereits wichtige Daten gesammelt werden können, sagte Ferri. Neben Fotos sei es etwa gelungen, das Tomographieprojekt „Consert“ zu starten. Dabei durchleuchten „Philae“ und „Rosetta“ den Kometen in Teamarbeit.

„Drei gute Nachrichten“

„Wir haben drei gute Nachrichten“, gab das französische Raumfahrtzentrum CNES am Donnerstag bekannt. Erstens sei der Roboter „auf dem Nukleus des Kometen“ gelandet. Zweitens funktioniere die Energiezufuhr gut, was auf eine Lebensdauer über 60 Stunden hinaus hoffen lasse. Und drittens bestehe „ständiger Kontakt“ mit dem Roboter, der Informationen an die Raumsonde „Rosetta“ sende, von wo aus sie zur Erde weitergeleitet würden, sagte CNES-Chef Jean-Yves le Gall dem Sender Europe 1. „Alle Systeme funktionieren gut.“

Lander wissenschaftlich wenig wichtig

Für „Philae“ ist aufgrund der Kapazität der Batterien nur ein kurzer Einsatz vorgesehen. Die Hauptaufgabe soll in wenigen Tagen erledigt sein. Zudem bewegt sich „Tschuri“ Richtung Sonne, womit „Philae“ ohnehin der baldige Hitzetod droht. Laut Baumjohann könnten aber bereits die ersten von „Philae“ zur Erde gesendeten Fotos und Daten wichtige Erkenntnisse bringen. Dem Experten zufolge dürfe man auch nicht vergessen, dass die „Rosetta“-Sonde das eigentliche Hauptgerät der Mission sei: So spektakulär die Landung von „Philae“ auch sei, der Lander sei nur „das Sahnehäubchen“.

ESA-Mitarbeiter freuen sich über die geglückte Mission

APA/AP/Michael Probst

Jubel im ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt

Knapp nach 17.00 Uhr war es so weit

Nach einer mehr als zehnjährigen Reise durch das Sonnensystem erreichte die „Rosetta“-Sonde mit „Philae“ an Bord am 6. August den Kometen. Seither umkreiste sie auf einer Umlaufbahn den Himmelskörper. Der Start des mit Spannung erwarteten Landungsprozesses begann Mittwochfrüh mit der erfolgreichen Abkopplung des Landegerätes von „Rosetta“. Am Nachmittag wurde im Kontrollzentrum in Darmstadt ein erstes Foto präsentiert, das „Philae“ kurz nach der Abtrennung von „Rosetta“ gemacht hatte. Während des Landevorgangs gegen 17.00 Uhr MEZ fuhr „Philae“ schließlich seine drei spinnenartigen Beine aus.

Visualisierung der Rosetta-Sonde

ESA/Rosetta/Philae/CIVA

Das erste von ESA veröffentlichte Bild nach der Abtrennung von „Rosetta“

Für Aufregung sorgten vor dem „Go“ aus dem ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt Probleme mit einer der Landungsdüsen. Laut ESA-Angaben stellte sich in der Nacht auf Mittwoch heraus, dass sich ein Antriebssystem nicht aktivieren ließ. „Diese Kaltgasdüse oben auf dem Lander scheint nicht zu funktionieren“, so Ulamec im ESA-Blog. Dennoch habe man beschlossen, „Philae“ wie geplant von „Rosetta“ aus auf die letzte Etappe zum Kometen zu schicken.

Komet stinkt nach Schwefel

Die Mission wurde von der ESA als Meilenstein bezeichnet. Manche Experten verglichen das Landemanöver mit der Mondlandung 1969. ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain sprach von einem „großen Schritt für die menschliche Zivilisation“. Der Komet, der mehr als eine halbe Milliarde Kilometer von der Erde entfernt ist, ähnelt in seiner Form einer Plastikente. Untersuchungen während der Mission haben bereits ergeben, dass der Brocken streng riecht - zum Beispiel wegen Schwefelwasserstoffs nach faulen Eiern. Mit einem Volumen von etwa 25 Kubikkilometern zählt er zu den eher kleineren Kometen.

Aufnahme der Sonde "Philae"

ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA

„Philae“ beim Landeanflug auf „Tschuri“

Blick in die „Kinderstube des Sonnensystems“

Mit der Mission wollen die Experten einen Blick in „die Kinderstube des Sonnensystems“, das vor 4,6 Milliarden Jahren entstand, erhalten. Kometen sollen weitgehend unveränderte Materie aus dieser Zeit enthalten - sie gelten als Boten der Vergangenheit. Die Forscher erhoffen sich auch Hinweise auf die Entstehung des Lebens. „Rosetta“ und „Philae“ haben zusammen etwa 20 Instrumente an Bord, um „Tschuri“ unter die Lupe zu nehmen.

Wissenschaftler sind gespannt, welche Geheimnisse sie 67P/Tschurjumow-Gerassimenko entlocken können. Bodenbeschaffenheit, Temperatur und die Zusammensetzung des Kometenkerns - all das ist von größtem Interesse. Damit wollen die Forscher zur Lösung eines alten Rätsels beitragen: „Es ist eher die Frage ‚Wo kommen wir her?‘ statt ‚Wo gehen wir hin?‘“, sagte Ulamec.

Am 2. März 2004 gestartet

„Rosetta“ legte in den vergangenen zehn Jahren rund 6,5 Milliarden Kilometer im All zurück. Die Sonde war am 2. März 2004 mit einer Ariane-5-Rakete von der Weltraumstation Kourou in Französisch-Guayana gestartet. Die Mission soll bis Ende 2015 dauern. „Philae“ wird seine Arbeit aber früher einstellen.

Mit an Bord der spektakulären Mission ist auch Know-how aus Österreich: Die komplexe Außenhaut der Sonde stammt vom größten heimischen Raumfahrtunternehmen RUAG Space Austria - mehr dazu in science.ORF.at. Auch bei jener Ankerharpune, mit der sich „Philae“ am eisbedeckten Kometen festkrallen sollte, handelt es sich um Technologie aus Österreich - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Bisher war zwar noch keine Sonde auf einem Kometen gelandet, die „Rosetta“-Mission erinnert aber an ein Projekt Japans: 2005 hatte die Weltraumsonde „Hayabusa“ Bodenproben eines Asteroiden aufgenommen. Fünf Jahre später landete sie wieder auf der Erde.

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