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„Großer Schritt für Zivilisation“

Erstmals in der Geschichte der Raumfahrt ist die Landung auf einem Kometen gelungen. Mehr als eine halbe Milliarde Kilometer von der Erde entfernt setzte das Landegerät „Philae“ der „Rosetta“-Mission am Mittwochnachmittag auf dem als „Tschuri“ bekannten Kometen „67P/Tschurjumow-Gerassimenko“ auf.

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Im Satellitenkontrollzentrum der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) in Darmstadt löste die Premiere im All großen Jubel aus. Es war zunächst aber noch unklar, ob „Philae“ wie geplant mit Harpunen im Kometenboden verankert werden konnte. Die Verankerung der Sonde auf der Kometenoberfläche werde überprüft, teilte der technische Projektleiter des Lander-Teams, Koen Geurts, am Abend vor Journalisten im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln mit. Demnach herrschte zunächst Unkarheit über die Standsicherheit der Sonde.

Es gebe „einige Anzeichen“, dass die Verankerung des Forschungsroboters „Philae“ nicht gewährleistet sei, sagte der Landemanager Stephan Ulamec. Das könne bedeuten, dass der Roboter „in weichem Material steckt“. Der Kometenboden stellte sich nach ersten Daten jedenfalls als eher weich heraus. An vielen Stellen ist der Komet auch mit Gesteinsbrocken übersät, es gibt aber auch hoch aufragende Felswände und steile Abgründe.

ESA-Mitarbeiter freuen sich über die geglückte Mission

APA/AP/Michael Probst

Jubel im ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt

Auf seinem Flug zu dem Kometen folgte „Philae“ einer vorab vom DLR programmierten Computersequenz. Nachträgliche Korrekturen an der Flugbahn des Landegeräts waren nicht mehr möglich. Während des Landevorgangs fieberten Wissenschaftler in den Kontrollzentren in Darmstadt (Europäische Weltraumorganisation, ESA), Köln (DLR) und Toulouse (französische Raumfahrtagentur, CNES) dem Eintreffen der „Rosetta“-Daten entgegen. Wegen der großen Entfernung des Kometen dauerte die Datenübertragung zur Erde rund 28 Minuten.

Grünes Licht trotz technischer Probleme

Der Start des mit Spannung erwarteten Landungsprozesses begann bereits Mittwochfrüh mit der erfolgreichen Abkopplung des Landegerätes von der Raumsonde "Rosetta. Dieses reiste zuvor zehn Jahre lang huckepack mit der Sonde durch das All. Während des Landevorgangs fuhr „Philae“ schließlich seine drei spinnenartigen Beine aus. Am Nachmittag wurde im Kontrollzentrum in Darmstadt ein erstes Foto präsentiert, das „Philae“ kurz nach der Abtrennung von „Rosetta“ gemacht hatte.

Visualisierung der Rosetta-Sonde

ESA/Rosetta/Philae/CIVA

Das erste von ESA veröffentlichte Bild nach der Abtrennung von „Philae“

Für Aufregung sorgten aber vor dem „Go“ aus dem ESA-Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt Probleme mit einer der Landungsdüsen. Laut ESA-Angaben habe sich in der Nacht auf Mittwoch herausgestellt, dass sich ein Antriebssystem nicht aktivieren lässt. Konkret handelte es sich um eine Düse, die verhindern sollte, dass die 100 Kilogramm schwere Landeeinheit von der Kometenoberfläche abprallt. Gleichzeitig sollte eine Korrekturdüse dem Rückstoß durch die bei der Landung aktivierten Harpune entgegenwirken und die Landeeinheit zu Boden drücken.

„Diese Kaltgasdüse oben auf dem Lander scheint nicht zu funktionieren“, erklärte Stephan Ulamec, der „Philae“-Projektleiter beim DLR in Köln, im ESA-Blog. Dennoch habe man beschlossen, „Philae“ wie geplant von „Rosetta“ und auf die letzte Etappe zum Kometen „Tschurjumow-Gerassimenko“ zu schicken.

„Der Lander ist auf der Oberfläche“

Bereits um Punkt 10.03 Uhr war zum ersten Mal Jubel im Darmstädter Kontrollzentrum ausgebrochen: Die „Rosetta“-Daten zeigten, dass „Philae“ wie geplant von der „Rosetta“-Muttersonde abgedockt hatte und sich nun auf seinem langsamen Sinkflug zum Kometen befand. Knapp drei Stunden später kam der nächste große Schritt auf dem Weg zum Kometen: „Es sieht super aus“, sagte der technische Leiter des „Philae“-Landeteams, Koen Geurts, im DLR. Dennoch wuchs die Spannung im Kölner Lander Control Center des DLR in den darauffolgenden Stunden weiter an.

Zwar liefen die Instrumente von „Philae“ nach dem Abdocken von „Rosetta“ planmäßig, wie Geurts berichtete. Doch natürlich wusste Geurts, dass die Landung zu dieser Stunde immer noch scheitern konnte. Kurz nach 17.00 Uhr verkündete „Rosetta“-Flugdirektor Andrea Accomazzo schließlich: „Der Lander ist auf der Oberfläche.“

Vergleich mit Mondlandung 1969

Der Darmstädter ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb, Thomas Reiter, bezeichnete die Aussichten auf einen Erfolg der ersten Kometenlandung in der Geschichte der Raumfahrt im Vorfeld auf etwa 50 Prozent. Gleichzeitig wurde die Mission von der ESA auch als Meilenstein bezeichnet. Manche Experten verglichen das Landemanöver bereits mit der Mondlandung 1969. ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain sprach von einem „großen Schritt für die menschliche Zivilisation“.

Blick in die „Kinderstube des Sonnensystems“

Mit der Mission wollen Forscher Daten über die Entstehung des Sonnensystems erhalten. Der Komet, der mehr als eine halbe Milliarde Kilometer von der Erde entfernt ist, ähnelt in seiner Form einer Plastikente. Untersuchungen während der Mission haben bereits ergeben, dass der Brocken streng riecht - zum Beispiel wegen Schwefelwasserstoffs nach faulen Eiern. Mit einem Volumen von etwa 25 Kubikkilometern zählt er zu den eher kleineren Kometen.

Geht alles nach Plan, soll die Mission einen Blick in „die Kinderstube des Sonnensystems“, das vor 4,6 Milliarden Jahren entstand, bieten. Kometen sollen weitgehend unveränderte Materie aus dieser Zeit enthalten - sie gelten als Boten der Vergangenheit. Die Forscher erhoffen sich auch Hinweise auf die Entstehung des Lebens. „Rosetta“ und „Philae“ haben zusammen etwa 20 Instrumente an Bord, um „Tschuri“ unter die Lupe zu nehmen.

Wissenschaftler sind nun jedenfalls gespannt, welche Geheimnisse sie „67P/Tschurjumow-Gerassimenko“ entlocken können. Bodenbeschaffenheit, Temperatur und die Zusammensetzung des Kometenkerns - all das ist von größtem Interesse. Damit wollen die Forscher zur Lösung eines alten Rätsels beitragen: "Es ist eher die Frage: „Wo kommen wir her?“ statt „Wo gehen wir hin?"“, sagt mit Stephan Ulamec, der DLR-Projektleiter von „Philae“.

Am 2. März 2004 gestartet

„Rosetta“ legte in den vergangenen zehn Jahren rund 6,5 Milliarden Kilometer im All zurück. Die Sonde war mit „Philae“ an Bord am 2. März 2004 mit einer Ariane-5-Rakete von der Weltraumstation Kourou in Französisch-Guayana gestartet. Die Mission soll bis Ende 2015 dauern. „Philae“ wird seine Arbeit aber früher einstellen. Mit an Bord der spektakulären Mission ist auch Know-how aus Österreich: Die komplexe Außenhaut der Sonde stammt vom größten heimischen Raumfahrtunternehmen RUAG-Space Austria - mehr dazu in science.ORF.at. Auch bei jener Ankerharpune, mit der sich „Philae“ am eisbedeckten Kometen festkrallte, handelt es sich um Technologie aus Österreich - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Bisher ist zwar noch keine Sonde auf einem Kometen gelandet, die „Rosetta“-Mission erinnert aber an ein Projekt Japans: 2005 hatte die Weltraumsonde „Hayabusa“ Bodenproben eines Asteroiden aufgenommen. Fünf Jahre später landete sie wieder auf der Erde.

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