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Opposition warnt vor „Realsozialismus“

Wohnraum wird in den österreichischen Ballungsräumen immer knapper - am stärksten ist davon Wien betroffen. In der Bundeshauptstadt steigen die Preise für Eigentum, vor allem aber die Mieten seit Jahren fast ungebremst. Experten urgieren, dass angesichts des Bevölkerungswachstums viel mehr - gefördert - gebaut werden müsste.

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In Wien steht nächstes Jahr die Gemeinde- und Landtagswahl an - und die Stadtparteien versuchen nun, das Thema mit ersten Versuchsballonen zu markieren. Das ist grundsätzlich nicht verwunderlich, denn nirgendwo ist das Thema wohl drängender als in Wien. Auch die derzeitigen Stadtentwicklungsgebiete - etwas das Flugfeld alias „Seestadt“ Aspern - reichen bei weitem nicht aus, um den Bedarf an neuem Wohnraum zu decken. SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl griff nun eine Forderung der parteieigenen Jugendorganisation nach einer Leerstandsabgabe von einem Euro pro Quadratmeter auf.

Leerstand wird erhoben

Der Vorsitzende der JG Wien, Marcus Gremel, meinte in einer Aussendung: „Mit der Leerstandsabgabe wollen wir einen Anreiz schaffen, dringend benötigten ungenutzten Raum seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen.“ Zunächst will Häupl aber prüfen lassen, wie viele Wohnungen in Wien tatsächlich leer stehen. Schätzungen reichen von 30 bis bis 100.000. Da es keine Meldepflicht gibt, fehlen derzeit genaue Zahlen. Laut „Standard“ wurde Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) mit der Bestandsaufnahme beauftragt.

Ludwigs Büro verwies aber auch darauf, dass Wien selbst eine Leerstandsabgabe gar nicht einführen könne, das sei Sache des Bundes. Dort wird das Problem aber ohnehin nicht als dramatisch gesehen - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Grüne: Notfalls enteignen

Die Grünen - Koalitionspartner der SPÖ in Wien - können sich als letztes Mittel laut eigenen Aussagen sogar Enteignungen vorstellen. Laut „Falter“ erwägen sie auch Zwangsmaßnahmen, um weiter sozialen Wohnbau ermöglichen zu können. Der grüne Planungssprecher Christoph Chorherr sprach sich demnach dafür aus, der Stadt Vorkaufsrechte für Grundstücke einzuräumen. „Als Ultima Ratio kann das – gegen Kostenerstattung – bis zur Enteignung gehen“, wird Chorherr in der Wochenzeitung zitiert. Außerdem plädieren die Grünen für die Wiedereinführung des Gemeindebaus, der seit 2004 nicht mehr errichtet wird.

ÖVP: Comeback des Realsozialismus

Die Oppositionsparteien reagierten erwartungsgemäß empört auf die Aussagen der regierenden Stadtparteien. Der Wiener ÖVP-Chef Manfred Juraczka sieht ein „trauriges Comeback“ für den „Realsozialismus“. Chorherrs Aussagen seien selbt für die „links-linken Wiener Grünen eine neue Dimension“. Dass Bürgermeister Häupl eine Leerstandsabgabe für einen vernünftigen Vorschlag halte, „überrascht nicht nur die ÖVP Wien, sondern offenbar auch den zuständigen Wohnbaustadtrat“.

Juraczka zitierte in seiner Aussendung auch ein Interview mit Ludwigs Sprecher vom August des Jahres. Dieser lehnte eine solche Abgabe mit dem Verweis auf die bürokratischen Kosten der Einhebung ab. Statt „Planwirtschaft“ brauche Wien „Anreize zur Eigentumsbildung“, so der ÖVP-Stadtparteichef.

FPÖ: „Mehr leistbare Wohnungen“

Auch FPÖ-Wohnbausprecher Herbert Eisenstein hält nichts von „kommunistisch-sozialistischer Gleichmachungsmanier“. Statt immer wieder eine Leerstandsabgabe zu fordern, solle Rot-Grün „endlich mehr leistbare Wohnungen auf den Markt“ bringen, so Eisenstein, der zugleich betonte, dass sich für Eigentümer das Vermieten lohnen müsse. Wiener Wohnen solle eine Mietpreisobergrenze einführen und die Stadt Gebühren für Müll, Wasser und Kanal senken, so Eisensteins Entlastungsvorschläge.

Der Dachverband der gemeinnützigen Bauvereinigungen hatte erst am Dienstag den Druck auf die Politik erhöht und gefordert, für sozialen Wohnbau finanzierbaren Baugrund verfügbar zu machen. Das Thema ist derzeit aktuell, weil zuletzt eine nach der Nationalratswahl auf Bundesebene eingesetzte Expertengruppe zur Reform des Mietrechts gescheitert war. Die SPÖ-ÖVP-Koalition macht nun äußerst vage Hoffnung auf Bewegung im Frühjahr. Doch die Positionen und Interessen der jeweiligen Lobbys - Immobilienverbände hüben und Arbeiterkammer drüben - sind in Hinblick auf die angekündigte Reform derzeit offenbar nicht überbrückbar.

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