Eiszeit zwischen Madrid und Barcelona
Die inoffizielle Volksbefragung vom Sonntag über die Unabhängigkeit der spanischen Region Katalonien dürfte die Fronten zwischen Madrid und Barcelona weiter verschärfen. Trotz eines Verbots des spanischen Verfassungsgerichts und des Widerstands der Madrider Zentralregierung votierten dabei 1,8 Millionen Katalanen mit 80,7 Prozent Zustimmung für die Abspaltung der Region.
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Die spanische Regierung beharrte nach der umstrittenen Befragung auf ihrer Position: Es handle es sich um ein illegales Verfahren, das vom Verfassungsgerichtshof verboten wurde und die Wähler nur verwirre. Da sich etwa 2,3 Millionen und damit nur knapp 35 Prozent der 5,4 Millionen stimmberechtigten Katalanen an der Abstimmung beteiligten, ist das Ergebnis schwer einzuordnen - nach Auffassung der Regierung sei damit keineswegs erwiesen, dass die Mehrheit der Katalanen für eine Trennung von Spanien eintritt.

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Kataloniens Ministerpräsident Artur Mas von der bürgerlich-nationalistischen CiU bezeichnete das Ergebnis hingegen als „vollen Erfolg“ und forderte nach der symbolischen Abstimmung nun ein echtes Unabhängigkeitsreferendum. Das Ergebnis sei zwar nicht bindend, aber auf jeden Fall bedeute es ein politisches Mandat, sagte Jaume Marfany, stellvertretender Vorsitzender der separatistischen Bürgerbewegung ANC. „So einen massenhaften Ruf nach Unabhängigkeit“ könne die spanische Regierung nicht länger ignorieren, ergänzte Marfany.
Debatte über Neuordnung der Staatsstrukturen
Mas will noch diese Woche ein Verhandlungsangebot unterbreiten, das unter anderem eine größere Beteiligung Kataloniens am Steueraufkommen beinhalten werde. Es werde aber auch die Forderung nach einem verbindlichen Volksentscheid zur Zukunft Kataloniens erneuern. Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy zeigte sich bereit, über eine Verfassungsreform und eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen den 17 Regionen und der Madrider Zentralregierung zu verhandeln.
Nach Meinung des Verfassungsrechtlers Angel Sanchez Navarro wird die Rajoy-Regierung jedoch kaum über ihren eigenen Schatten springen. Rajoy habe darauf hingewiesen, nur im Rahmen der geltenden Gesetze zum „Dialog“ bereit zu sein. Und „die Verfassung sagt klar und deutlich, dass keine Region das Recht hat, Referenden über eine Abspaltung anzusetzen, und dass die Einheit des Landes unantastbar ist“, so Navarro.
„Vogel-Strauß-Taktik“ der geschwächten Regierung
Der katalanische Politologe Joan Subirats geht ebenfalls nicht davon aus, dass sich Madrid durch die hohe Beteiligung beeindrucken lässt. „Justizminister Rafael Catala hat die rechtlich unverbindliche Befragung bereits als wertlos bezeichnet, und Rajoy stellte noch am Tag vor der Befragung klar, solange er Regierungschef sei, werde niemand die Einheit Spaniens zerstören“, so Subirats. Dafür spricht, dass die Rajoy-Regierung durch eine Serie von Korruptionsskandalen in der konservativen Volkspartei (PP) geschwächt ist und die Wähler der PP massiv den Rücken kehren. Spanien wählt 2015 eine neue Regierung.
Viel werde davon abhängen, ob sich die beiden Kontrahenten aufeinander zubewegen werden können, analysiert ORF-Korrespondent Josef Manola. Subirats jedoch befürchtet, dass sich die Fronten zwischen der separatistischen Regionalregierung und der spanischen Zentralregierung nach dieser „separatistischen Machtprobe“ sogar noch verhärten werden, da sie mit der verbotenen Befragung die Autorität der Zentralregierung infrage stellten.
Politiker zum Dialog aufgefordert
Die spanischen Kommentatoren verlangen fast einstimmig, dass Rajoy und Mas Verhandlungen über eine politische Lösung aufnehmen. „Spanien kann sich einen chronischen Konflikt mit dem Kern der katalanischen Gesellschaft nicht erlauben“, schrieb die Zeitung „La Vanguardia“. Der Historiker Joan B. Culla hielt der Madrider Regierung vor, sich in der Katalonien-Frage hinter einer „Politik des Nein und Niemals“ verschanzt zu haben. „Eine politische Mobilisierung wie bei der Volksbefragung zu ignorieren läuft auf eine Vogel-Strauß-Taktik hinaus“, so der Wissenschaftler in der Zeitung „El Pais“.
„Dritter Weg“ als Lösung?
Aber worin könnte eine Kompromisslösung bestehen? Vorschläge zu einem Ausbau der Autonomierechte und einem „dritten Weg“ (neben der Unabhängigkeit und dem Status quo) stießen bisher auf wenig Gegenliebe. Mas hatte Rajoy vor zwei Jahren gebeten, den Katalanen zu erlauben, ihre Steuern selbst einzuziehen. Als Rajoy den „Fiskalpakt“ ablehnte, vollzog Mas einen radikalen Kurswechsel.
Machtkampf innerhalb Kataloniens
Politisch dürfte die Volksbefragung zunächst mehr innerhalb Kataloniens Wellen schlagen, so Subirats, der mit einem verstärkten Machtkampf zwischen Kataloniens separatistischen Parteien rechnet. Die separatistischen Linksrepublikaner (ERC), die Mas und seine regierenden Nationalisten im Regionalparlament zwar unterstützen, liegen nach Umfragen in der Wählergunst vorne. Schon bei den vergangenen Europawahlen im Mai wurde die ERC stärkste Partei.
Die ERC hält Verhandlungen mit der Madrider Zentralregierung für sinnlos und tritt dafür ein, dass Katalonien sich einseitig für unabhängig erklärt. „Über die Unabhängigkeit verhandelt man nicht. Man übt sie aus“, sagte ERC-Chef Oriol Junqueras und ließ den Chef der Regionalregierung mit seinem Vorschlag ins Leere laufen, bei vorgezogenen Neuwahlen eine Einheitsliste aller separatistischen Parteien mit ihm an der Spitze zu bilden. Nun pocht Junqueras auf Neuwahlen und drückt damit Mas bewusst in die Ecke.
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