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Schweiz darf Familie nicht abschieben

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur geplanten Abschiebung einer Familie nach Italien könnte Konsequenzen für die gesamte europäische Asylpolitik haben. Die EU-Kommission sprach am Dienstagabend in einer Stellungnahme von „möglichen Auswirkungen auf das Funktionieren des Asylsystems in Italien und in der EU“. Man werde das Urteil dahingehend genau prüfen, hieß es.

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Der Gerichtshof in Straßburg hatte am Dienstagvormittag entschieden, dass ein afghanisches Elternpaar mit seinen sechs Kindern nicht einfach aus der Schweiz nach Italien abgeschoben werden dürfe. Er forderte eine dem Alter der Kinder angemessene Betreuung und eine gemeinsame Unterbringung der Familie als Voraussetzung. Sonst würde eine Abschiebung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, hieß es in einer Mitteilung.

In der EU gilt laut der Dublin-II-Verordnung das Prinzip, dass jeweils das Land zuständig ist, über das der Asylsuchende in die EU eingereist ist. Das heißt, Flüchtlinge, die in einem anderen Land Asyl beantragen, werden in jenes EU-Land zurückgeschickt, in dem sie europäischen Boden betreten haben. Die Verordnung kommt auch in dem Nicht-EU-Staat Schweiz zur praktischen Anwendung.

Mangelhafte Betreuung in Italien?

Die in Straßburg erfolgreiche Familie aus Afghanistan war 2011 über Italien in die EU gekommen. Nach Ablehnung eines Asylantrags in Österreich wollten die Mitglieder in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt werden. Die dortigen Behörden lehnten eine Bearbeitung jedoch mit Hinweis auf das Einreiseland Italien ab. Vor Gericht argumentierte die Familie mit den ihrer Ansicht nach mangelhaften Aufnahmebedingungen für Asylwerber in Italien.

Für die Grünen im EU-Parlament zeigt das Urteil, dass die europäische Flüchtlingsregelung „vorn und hinten nicht mehr funktioniert“. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl forderte ein sofortiges Ende der Italien-Überstellungen. Seit Jahren sei klar, dass Flüchtlinge in Italien oft obdachlos und ohne staatliche Hilfe sich selbst überlassen würden.

Österreich: „Besondere Sorgfalt“ bei Minderjährigen

Das Innenministerium prüft derzeit, inwieweit sich der jüngste Spruch auf die österreichische Praxis auswirkt. Man sei inzwischen zu dem grundsätzlichen Schluss gekommen, dass „sich aus dem Erkenntnis kein genereller Abschiebestopp ergibt“, so ein Ministeriumssprecher am Dienstag. Das Innenministerium schloss aus der Entscheidung, dass bei „besonders schutzbedürftigen Personen“ - wozu etwa Minderjährige, egal ob in Begleitung oder alleine - „besondere Sorgfalt“ nötig sei. Das könne im Einzelfall auch bedeuten, dass eine „explizite Zusicherung“ von den italienischen Behörden vorliegen muss, was Unterbringung und Betreuung betreffe.

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