Themenüberblick

Unterschiedliche Ursachen

Rohöl ist so billig wie seit Jahren nicht mehr, Treibstoffe sind statt wie gewohnt teurer im letzten Jahr günstiger geworden. Was Konsumenten freut, macht Produzentenländern Probleme und ist nicht nur ein gutes Zeichen für die Weltwirtschaft.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Der Preis für die US-Sorte WTI fiel am Dienstag um bis zu 3,7 Prozent auf ein Dreijahrestief von 75,84 Dollar je Barrel (159 Liter). Die richtungsweisende Rohölsorte Brent aus der Nordsee war mit 82,08 Dollar zeitweise sogar so billig wie zuletzt im Oktober 2010. Und noch ist kein Ende des Trends in Sicht. Die Ursachen sind vielschichtig.

So fällt immer wieder das Stichwort Überangebot, etwa durch den Fracking- und Schieferölboom in den USA. Außerdem hat die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) auf den Preisknick der letzten Monate - minus 20 Prozent allein seit Juni - bisher nicht mit einer Reduktion ihrer Förderquoten reagiert, wie sie das in der Vergangenheit schon mehrfach zur Stabilisierung des Preisniveaus getan hat.

Russland stark unter Druck

Der aktuelle Preistrend bereitet vor allem den Großproduzenten Kopfzerbrechen, insbesondere wenn sie wie Russland und Saudi-Arabien zwei Drittel ihrer Exporterlöse und mehr aus dem Ölgeschäft erzielen. Russland etwa, das kein Mitglied der OPEC ist, kalkuliert für seine Staatsfinanzen 2014 einen Preis von 104 Dollar pro Barrel ein. Aktuell liegt der Preis für die Referenzsorte Urals fast um ein Viertel niedriger, der staatliche Energiekonzern Gasprom rechnet kurzfristig mit einem Rutsch auf 70 Dollar.

Laut Einschätzung des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) dürfte die russische Wirtschaft - durch die Sanktionen infolge des Ukraine-Konflikts zusätzlich unter Druck - in diesem Jahr noch um ein halbes Prozent wachsen. Sinken die Exporterlöse aus dem Ölgeschäft, die rund 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen, weiter, droht Russland in eine Rezession abzurutschen. Interventionen der Zentralbank zur Stabilisierung des Rubels verpufften wegen des sinkenden Ölpreises ohne Wirkung, schrieb die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg.

Rückläufige Nachfrage macht Sorgen

Je nach ihrer gesamtwirtschaftlichen Stärke trifft der Preisrutsch unterschiedliche Produzentenländer unterschiedlich stark. Jedes hat seinen „Break even“-Punkt, unter dem das Geschäft nicht mehr rentabel ist. Dieser hängt nicht allein von den reinen Förderkosten ab. Die „Financial Times“ („FT“) nannte in einer Analyse Faktoren wie Inlandsnachfrage, Bevölkerungszahl, Wechselkurse und andere mehr. Für „stärkere“ Länder wie Saudi-Arabien und Kuwait liege der kritische Punkt niedriger als für „schwächere“ wie den Iran und Venezuela. Vor allem Venezuela könnte schwer unter Druck geraten, hieß es im „Wall Street Journal“ („WSJ“).

Grund für den Preisrutsch ist nicht nur ein Überangebot, sondern vor allem eine sinkende Nachfrage, und die ist es, die Wirtschaftsforschern Kopfzerbrechen bereitet. Die Internationale Energieagentur (IEA) senkte erst am Dienstag ihre Nachfragewachstumsprognose für das laufende Jahr um 200.000 auf 700.000 Barrel pro Tag. Auch die Prognose 2015 wurde deutlich gesenkt. China und die aufstrebenden Schwellenländer und auch Europa dürften mittelfristig weniger verbrauchen, was auf die Gefahr einer abermaligen Abschwächung des Wirtschaftswachstums hindeutet.

Preisexplosion im Sommer 2008

Der Rohölpreis hatte Anfang 2008 erstmals die 100-Dollar-Marke übersprungen und schoss danach bis Juli auf über 147 Dollar (fast 115 Euro). Dieseltreibstoff verteuerte sich damals im Jahresabstand um ein Drittel und kostete über 1,40 Euro pro Liter, die Inflationsrate erreichte im März 2008 mit 3,7 Prozent ein 15-Jahres-Hoch.

Zuletzt lag sie im September in Österreich laut Statistik Austria bei 1,6 Prozent, in der Euro-Zone bei 0,4 Prozent und in der gesamten EU nach Berechnung des europäischen Statistikamts Eurostat nur noch bei 0,3 Prozent. In elf EU-Ländern, darunter Frankreich, Belgien, Tschechien und Polen, gingen die Preise im letzten Monat zurück. In Österreich waren Treibstoffe im letzten Monat um fast vier Prozent billiger als vor einem Jahr.

Schreckgespenst Deflation

Mit der Inflation verhält es sich ähnlich wie mit dem Ölpreis - positiv aus Sicht des Konsumenten, aber nicht unbedingt ein gutes Zeichen aus makroökonomischer Sicht. In Europa wächst nämlich die Sorge vor einer Deflation, einem Preisverfall auf breiter Front.

In einem Worst-Case-Szenario, wie es von der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, später aus Japan und aus Argentinien um die Jahrtausendwende bekannt ist, brechen erst die Gewinne der Unternehmen ein, diese können nicht mehr investieren, es kommt zu Lohnkürzungen und Entlassungen, Einkommen und damit der Konsum schrumpfen, der Staat verliert Steuereinnahmen. Die Folge ist eine neue tiefe Wirtschaftskrise.

Derzeit ist vor allem der niedrige Ölpreis für die sinkende Inflationsrate verantwortlich, und das ist für die Wirtschaft nicht nur negativ, sondern entlastet Großverbraucher auch. Kritisch wäre es, zitierte zuletzt die APA Ewald Nowotny, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) und Ratsmitglied der EZB, wenn eine „allgemeine wirtschaftliche Schwäche“ der Grund wäre. Außerdem habe die EZB ihre Mittel im Kampf gegen eine Deflation nicht ausgeschöpft, die „Notapotheke“ müsse man noch längst nicht öffnen.

Links: