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Was Jugendliche zu IS treibt

Zwei Mädchen aus Wien, die nach Syrien ausgerissen sind, ein 16-Jähriger, der von dort Drohvideos verbreitet und nun ein 14-Jähriger in St. Pölten, der angeblich Anschläge geplant hat: Es werden immer mehr Beispiele von Jugendlichen bekannt, die sich in den Dienst der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stellen. Ersten Kontakt mit den oft grausamen Taten des IS haben junge Menschen in Sozialen Netzwerken - nach ORF-Recherchen sind es knapp 2.000 Menschen hierzulande, die offen die Ideen des IS teilen.

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Auf Facebook, Ask.fm und Instagram werden Bilder, Erfahrungen und Videos von Kämpfern und Sympathisanten geteilt. Laut der ORF-Doku „Kinder des Kalifats. IS- Rekrutierung in Österreich“ sympathisieren hierzulande 1.963 Menschen mit den Ideen des Islamischen Staates offen in Sozialen Netzwerken und verbreiten dort teils aktiv dessen Propaganda.

Foto eines IS-Sympathisanten mit IS-Fahne

ORF

Heldeninszenierung via Facebook und Co.

Freundeskreise in kleineren Städten

Soweit sich das in den Onlineprofilen eruieren ließ, sind die Ballungszentren der Sympathisanten wenig überraschend Wien (221), Graz (123), Linz (83) und Salzburg (63). Aber auch kleinere Städte wie Wels (51), Steyr (58) oder Kapfenberg (54) haben große Communitys von terrorbegeisterten Jugendlichen.

Die Gruppen in den kleineren Städten sind meist auf einzelne Freundeskreise zurückzuführen - man kennt einander also in der Szene. In den großen Städten ist die Vernetzung weniger auf einzelne Freundeskreise zurückzuführen, viele der Sympathisanten kennen einander nur über die Sozialen Netzwerke.

Österreich-Karte mit Verteilung der IS-Sympathisanten

ORF

Ballungszentren der IS-Sympathisanten

Wie recherchiert wurde

Ausgangspunkt der Recherche mit Graph Search auf Facebook waren Profile von Menschen, die früher in Österreich gelebt haben und jetzt in Syrien offensichtlich für IS kämpfen. In deren Freundes- und Freundesfreundelisten wurde nach in Österreich lebenden Usern gesucht, deren Profile entsprechende Merkmale über Interessen und Likes aufwiesen. Zudem wurden auch nicht vernetzte Einzelpersonen eruiert, die mit Kommentaren und Likes Sympathien für IS demonstrierten.

Kriegserfahrung prägt

Rund knapp bei der Hälfte waren auch Rückschlüsse auf die Herkunft möglich: Während nur ein relativ kleiner Prozentsatz davon aus Österreich und Deutschland stammt, hat fast die Hälfte laut eigenen Angaben einen tschetschenischen Hintergrund. Mehr als ein Viertel stammt demnach aus den ehemaligen Bürgerkriegsstaaten am Balkan, aus Serbien, Bosnien, Mazedonien und dem Kosovo.

Damit handelt es sich also vor allem um Menschen, die aus ihrer Heimat bereits Krieg und Vertreibung kennen. Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ) erklärt, wieso gerade sie anfällig für die Propaganda des IS sind: „Sie haben keinen Rückhalt, um Fragen zu diesem komplizierten Thema zu stellen. Meistens sind die Eltern auch einfache Leute, die dieser Herausforderung nicht gewachsen sind und die Fragen nicht beantworten können.“

Guido Steinberg, Islamwissenschaftler aus Berlin, wiederum meint, IS ziehe Jugendliche an, indem man ihnen verspreche, in einem islamischen Staat zu leben, der in etwa so aussieht, wie sie es sich vorstellen, dass der Prophet im 7. Jahrhundert mit seinen Gefährten gelebt hat.

Auch Mädchen als Zielgruppe

Primäre Zielgruppe der Propaganda sind junge, sozial schlechter gestellte Männer. Aber auch immer öfter werden gezielt Frauen angeworben. Auch spezielle Partnerbörsen für Frauen, die auf der Suche nach einem radikalislamischen Kämpfer sind, wurden mittlerweile eingerichtet.

Die Frauen, die sich für eine Auswanderung entscheiden, erwartet dort ein Leben in Totalverschleierung und als Anhängsel des kämpfenden Mannes. Ein englischsprachiges Blog berichtet etwa über die „Vorzüge“ dieses Lebens. Es wir zum Beispiel geschildert, welche Kleidung man aus dem Westen mitbringen solle, da manche Kleidungsstücke nicht dem gewohnten Standard entsprechen.

„Fragestunden“ via Web

Neben Facebook ist für die jungen Dschihadisten auch die Frageplattform Ask.fm ein zentrales Medium. Hier können Fragen an bereits in Syrien lebende Kämpfer des IS gestellt werden. Unter ihnen ist auch der Österreicher Oliver N.

Bis noch vor einer Woche hat er auf der Plattform noch alle Fragen der User beantwortet. Neben Tipps für die Reiseroute oder das Reisegepäck finden sich hier auch erschreckende Erzählungen über den Umgang des IS mit „Sklavinnen“ und „Andersgläubigen“. Seit gut einer Woche ist sein Profil nicht mehr erreichbar - doch es darf bezweifelt werden, dass es für immer verschwunden ist.

Grafische Arbeit eines IS-Sympathisanten

ORF

Gräuelbilder und Comic - eine eigene Ästhetik des Terrors

Löschen hilft nur kurzfristig

Die Betreiber von Sozialen Netzwerken löschen zwar regelmäßig Accounts, allerdings sind sie aufgrund der Masse der Nutzer und Inhalte machtlos. Wird ein Video gelöscht, taucht es an anderer Stelle mit anderem Titel wenig später wieder auf. Bei persönlichen Accounts verhält es sich ähnlich, wird ein Account gelöscht, erscheint er wenig später mit leicht variiertem Namen wieder. Rechtlich ist das Verbreiten von Symbolen des IS in Österreich legal - somit gibt es auch auf diesem Weg keine Handhabe.

Logos, Videos, eigene Drohungen

Die aus Sozialen Netzwerken verbreiteten Inhalte reichen hier von den Logos des Islamischen Staates über Bilder von Kämpfern der Terrororganisation bis hin zu brutalen Videos von Erschießungen und Enthauptungen. Angereichert werden die Bilder oft um eigene Drohungen oder Botschaften.

Festgestellt werden konnten unterschiedliche „Radikalisierungsthemen“. Am häufigsten wird gegen Kurden, Jesiden und Christen gehetzt. An zweiter Stelle steht der Konflikt Israel - Palästina. Und schließlich tauchen auch Parolen gegen die USA, den Westen allgemein und gegen Russland auf.

Postings von IS-Sympathisanten in einem Sozialem Netzwerk

Facebook

Hetze via Facebook

Provokation in der Gruppe

Nicht jede dieser Drohungen führe sofort zu einer Tat. Doch was die Jugendlichen sagen, müsse man aber in jedem Fall ernst nehmen, meinte Martin Dworak vom Verein Back Bone in Wien. Problematische Äußerungen seien manchmal auch nur in einer Gruppensituation zu sehen, um „die eigenen Positionen abzusetzen und zu zeigen, ich bin der Lauteste oder der Coolste in der Gruppe“.

Den Jugendlichen sei dabei nicht bewusst, dass es von der Öffentlichkeit oder vom Verfassungsschutz mitgelesen werden kann. Auch die daraus erfolgenden Konsequenzen könnten von den Jugendlichen als reale Diskriminierungen erlebt werden. In der Folge seien sie „vielleicht sogar offener für eine Radikalisierung“, so Dworak. Deswegen sei es enorm wichtig, genau hinzusehen und zu ergründen, was hinter den Provokationen steht.

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