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2,1 Milliarden Nachzahlung

Nachforderungen der EU an Großbritannien im Volumen von 2,1 Milliarden Euro haben den EU-Gipfel in Brüssel überschattet. Der ohnehin EU-kritische Premierminister David Cameron wies die Zahlungsaufforderung der EU-Kommission am Freitag als „vollkommen inakzeptabel“ zurück.

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„Ich bezahle diese Rechnung am 1. Dezember nicht“, sagte der demonstrativ wütende britische Premier auf einer Pressekonferenz nach dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs. Die EU-Regierungen beschlossen nun eine Überprüfung der Berechnungen der EU-Kommission für alle EU-Staaten. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte aber, sie ziehe die Zahlen der Kommission nicht grundsätzlich in Zweifel. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso verteidigte die Berechnungen.

Die Zahlungsaufforderung aus Brüssel kommt für Cameron zur Unzeit, der sich innenpolitisch dem Druck der rechtspopulistischen UK Independence Party (UKIP) ausgesetzt sieht. „Die EU macht klar, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht honoriert, sondern bestraft wird“, kritisierte UKIP-Chef Nigel Farage in der Zeitung „Guardian“ mit Blick auf die gute Wirtschaftsentwicklung Großbritanniens im dritten Quartal. Farage fordert den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU.

Britischer Premier Cameron

APA/AP/Yves Logghe

„So nicht!“, gab Cameron bei seiner Pressekonferenz zu verstehen

„Haarsträubend“

Auch Cameron stellte in dem Zusammenhang erneut die Mitgliedschaft seines Landes in der EU infrage. „Wenn Sie eine solche Rechnung präsentiert bekommen, die innerhalb eines Monats bezahlt werden soll: Hilft das der britischen Mitgliedschaft in der EU? Sicher nicht.“ Das Verhalten der EU-Kommission nannte er „haarsträubend“. Damit drohen sowohl Cameron innenpolitisch als auch die EU insgesamt in eine Sackgasse zu geraten. Denn niemand will derzeit ernsthaft den Austritt Großbritanniens, doch Cameron muss fürchten, dass seine Tory-Partei schon demnächst weiter erodiert und immer mehr - europaskeptische - Parteifreunde mitsamt ihrer Wählerschaft zu UKIP wechseln.

Überweisungen für Berlin und Paris

Die ungewöhnlich hohen Korrekturen für die Überweisungen der EU-Länder nach Brüssel ergeben sich diesmal aus den Anpassungen der Daten zu den nationalen Steuereinnahmen und den daraus resultierenden Beiträgen für das EU-Budget seit 1995. Laut einer der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Liste der EU-Kommission müsste Großbritannien von allen 28 EU-Staaten den größten Betrag berappen, während Deutschland 780 Millionen Euro zurückerhielte.

Das mit Haushaltsproblemen kämpfende Frankreich könnte sich über eine Rückzahlung von über einer Milliarde Euro freuen. Das mit internationalen Rettungspaketen vor dem Finanzkollaps gerettete Griechenland müsste dagegen fast 90 Millionen Euro Richtung Brüssel überweisen.

„Nicht ideal“

In dem Dokument wird aber darauf verwiesen, dass die Zahlen vorläufig sind und vor einer Entscheidung der EU-Kommission im Dezember von den Mitgliedsländern erörtert würden. Die Berechnungen sollen Diplomaten zufolge im November in der Runde der EU-Finanzminister überprüft und diskutiert werden. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte, der Zeitpunkt für die Präsentation der vorläufigen Zahlen sei „nicht ideal“. Es gebe aber Regeln, die befolgt werden müssten.

Renzi auf Camerons Seite

Cameron zufolge soll auch sein italienischer Kollege Matteo Renzi über die Nachzahlungsforderungen im Kreis der 28 EU-Staats- und Regierungschefs gewettert haben. „Das ist keine Zahl, das ist eine tödliche Waffe“, soll Renzi demnach gesagt haben. Die Leute, die eine solche Waffe produzierten, würden nicht verstehen, dass die Menschen in Europa dadurch denken würden, dass die EU aus Technokraten und Bürokraten ohne Herz und Seele bestehe, zitierte Cameron Renzi weiter.

Italien, das gegen einen wachsenden Schuldenberg ankämpft, müsste den Berechnungen zufolge 340 Millionen Euro nachzahlen. Renzi liegt wegen der Überprüfung des italienischen Haushalts ohnehin im Clinch mit der EU-Kommission.

Barroso kontert

Cameron bekam auf dem EU-Gipfel aber auch Gegenwind: Kommissionspräsident Barroso verwies darauf, dass die Berechnung auf Basis nationaler Statistiken und nach einem von den Nationalstaaten bestimmten Verfahren erfolgten. Der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb mahnte: „Die EU ist keine Verrechnungsübung, in der man nachschaut, wie viel man hineinzahlt und wie viel man herausbekommt.“

Stubb verwies auf den sogenannten „Britenrabatt“, den die damalige britische Premierministern Margaret Thatcher in den 1980er Jahren herausgeschlagen hatte. Pro Jahr wird der Beitrag Londons an die EU deshalb um fast sechs Milliarden Euro gesenkt.

Auch Merkel spielte das Thema herunter. In den Beratungen der EU-Regierungschefs sei gar nicht angezweifelt worden, dass die Berechnungen richtig seien, sagte sie zu Camerons öffentlichem Wutanfall. Aber es sei sicher unglücklich, eine Aufforderung zu bekommen, innerhalb einer so kurzen Zeit mehr als zwei Milliarden Euro überweisen zu müssen.

Neue Berechnungsmethode

Die Extrazahlungen gründen laut der britischen Zeitung in der neuen Methode, mit der die EU das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ihrer Mitgliedsländer bestimmt. In das Europäische System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG 2010) fließen nunmehr versteckte Posten ein, etwa Prostitution und der illegale Drogenhandel. Brüssel gibt sich über die jetzige Aufregung überrascht. Die Berechnung reflektiere die bewährte Praxis, die Beteiligung der Länder an die Geschwindigkeit ihres Wachstums anzupassen, so EU-Beamte laut „FT“.

Österreich hofft auf 300 Millionen Ersparnis

Österreich wiederum könnte sich durch die neuen Berechnungen fast 300 Millionen Euro ersparen. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) freute sich am Freitag zwar über die mögliche Rückzahlung, doch er „will den Tag nicht vor dem Abend loben“. Er sei aber natürlich erfreut, „wenn zusätzliches Geld ins Haus kommt“. Das „können wir gut brauchen“, so Faymann. „Wir haben so viele richtige Ideen. Aber ich kann noch nicht sagen, ob diese neuen Berechnungen vor allem in der Größenordnung“ so stimmten.

Er habe schon oft erlebt, „gerade in Zusammenhang mit Budgetdiskussionen, dass Modellrechnungen, wenn sie verbessert wurden, auch einmal dazu geführt haben, dass das für uns schlechter geworden ist“. Darauf angesprochen, dass Cameron keinesfalls nachgeben wolle, sagte Faymann: „Nachdem ja mehrere Länder betroffen sind, wird sich eine Debatte ergeben. Aber bei einer Debatte ist man am stärksten, wenn man harte Fakten hat. Die werden gerade ausgearbeitet. Alles, was für uns gut ist, darüber freuen wir uns.“

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