Weniger Geld und höhere Preise
Der Einbruch des Rubels Anfang September macht nicht allein der russischen Wirtschaft zu schaffen. Vor allem die zentralasiatischen Staaten leiden unter der schwachen russischen Währung. Die Wirtschaft der ehemaligen Sowjetrepubliken ist stark von Überweisungen der eigenen Arbeiter im Ausland und Importen abhängig. Für beides hat ein schwacher Rubel fatale Folgen.
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Kirgistan, Kasachstan und Usbekistan: Millionen Bürger der zentralasiatischen Staaten verdienen ihr Geld nicht in ihrem Heimatland, sondern weiter im Norden - in Russland. In den vergangenen zehn Jahren habe sich in Russland die Zahl der Migranten aus Zentralasien in etwa verdoppelt, schreibt Michail Denissenko, stellvertretender Direktor der Höheren Wirtschaftsschule Moskau.
Große Teile des Lohns der Arbeiter landen dennoch in ihren Heimatländern - von den Auswanderern an die zu Hause gebliebenen Familien geschickt. In den vergangenen Jahren entsprachen diese Zahlungen in Kirgistan etwa 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Tadschikistan waren es sogar an die 50 Prozent. Das Land ist wie kein anderes weltweit von den Überweisungen der im Ausland lebenden Gastarbeiter abhängig.
Gastarbeiter als Achillesferse
Für die zentralasiatischen Staaten sind die Arbeiter im Ausland und ihre Überweisungen ein essenzielles wirtschaftliches Standbein - sie könnten den Ländern aber gerade deshalb zur Achillesferse werden. Im Sommer belegte der Westen Russland wegen seiner Rolle in der Ukraine-Krise mit Sanktionen. Seit August fielen außerdem die Ölpreise auf ein Preisniveau wie im November 2010. Beides macht dem Rubel schwer zu schaffen - und damit auch den Gastarbeitern in Russland.
„Ein schwacher Rubel belastet die Gehälter der Arbeiter“, zitiert die Nachrichtenseite Eurasianet den russischen Wirtschaftsanalysten Oleg Kousmin. Das bereite den zentralasiatischen Ländern gewisse Schwierigkeiten, so der Mitarbeiter der russischen Investmentbank Rennaissance Capital. In diesem Jahr gingen laut der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) die Zahlungen das erste Mal seit 2009 zurück. Jeder weitere Rückgang könnte die Nachfrage in den Ländern deutlich dämpfen, so die EBWE.
Angst vor Währungsabwertung
Bereits jetzt klagen Händler über einen rückläufigen Umsatz. „Wenn ich normalerweise 400 Kilo Fleisch verkaufe, sind es jetzt gerade einmal 250 Kilo“, lässt Eurasianet etwa eine kirgisische Fleischhauerin ihr Leid klagen. Das liegt nicht allein an den sinkenden Überweisungen der Auslandsarbeiter, sondern hat auch mit der Entwicklung der zentralasiatischen Währungen selbst zu tun. Die verläuft weitgehend parallel zum russischen Rubel. Wenn dessen Wert sinkt, fällt etwa auch der Kurs des kasachischen Tenge.
„Man muss realistisch sein. Was ist der Tenge? Es ist der Rubel mal fünf genommen. Das ist eine erprobte Formel“, sagte Damir Seysebajew, Finanzanalyst bei Private Asset Management im kasachischen Almaty, im Februar gegenüber der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg. Damals hatte die kasachische Nationalbank den Tenge gerade um 19 Prozent abgewertet. Deren Direktor Kairat Kelimbetov versprach zwar Ende Oktober keine weitere Abwertung. Ein ähnliches Versprechen hatte es allerdings auch einen Monat vor der Herabsetzung im Februar gegeben. Die Regierung „hat beim letzten Mal einen guten Teil ihrer Glaubwürdigkeit verloren“, so ein kasachischer Banker gegenüber Eurasianet.
Kurseingriffe als kurzzeitige Hilfe
Bisher hielten in Kasachstan vor allem massive Dollarverkäufe unbekannter Investoren den Tenge-Kurs stabil, schreibt Eurasianet. 1,2 Milliarden Dollar warfen zwei Großinvestoren am 20. und 21. Oktober auf den Markt und ließen die kasachiche Währung kurzzeitig anziehen. Laut Eurasianet gehen Beobachter davon aus, dass es sich bei den unbekannten Anlegern um staatliche Betriebe mit großen Fremdwährungsreserven handelt. Die Investitionen wären dann letztlich versteckte staatliche Eingriffe, um den Kurs stabil zu halten.
In Kirgistan und Tadschikistan versuchen die Zentralbanken ebenfalls mit Zugriff auf ihre Dollarreserven den Währungsverfall aufzuhalten. Dem zum Trotz ist der kirgisische Som in diesem Jahr um zwölf und der tadschikische Som um fünf Prozent gefallen. Laut Weltbank wird die negative Entwicklung noch anhalten.
Damoklesschwert Inflation
Auch ein weiterer Einbruch des Rubels ist nicht ausgeschlossen - sollte die russische Zentralbank ihre bisherige Geldpolitik ändern. In diesem Jahr stellte die Währungsbehörde bereits über 50 Milliarden Dollar zur Stützung des Rubels bereit. Mit dieser Strategie geht laut Eurasianet nicht jeder konform. Politiker wie der ehemalige russische Finanzminister Alexei Kudrin wünschten sich etwa eine schwachen Währung, um den Export Russlands anzukurbeln.
Das trifft die zentralasiatischen Wirtschaften, die stark auf Importe aus dem Ausland angewiesen sind. Ein Preisverfall der eigenen Währung hat somit immer auch die Inflation im Gepäck. Der Währungsfonds sagte Kirgistan im September bereits für dieses Jahr einen Preisanstieg bei Konsumgütern von acht Prozent voraus. Kommendes Jahr sollen es dann bereits fast neun Prozent sein. Ähnliches gilt laut Eurasianet auch für Kasachstan und Tadschikistan.
Verschreckte Anleger
Kasachstan leidet darüber hinaus noch unter einer der ursprünglichen Ursachen für den schwachen Rubel: Das ölexportierende Land spürt den seit Monaten niedrigen Ölpreis schmerzlich. Die gesunkenen Einnahmen zwangen die Regierung bereits dazu, ihr Budget neu zu berechnen. Solche Entwicklungen schrecken wiederum Ableger ab: Bereits jetzt haben sich zahlreiche Investoren aus Zentralasien zurückgezogen, so Dominic Lewenz von der kasachischen Investmentbank Visor Capital.
Einzig ein zentralasiatisches Land durchschiffte die jüngsten Turbulenzen des Währungsmarktes bisher relativ unbeschadet: Turkmenistan hat mit Erdgas ein bedeutendes Exportgut. Das verkauft das Land am kaspischen Meer weder an Russland noch an Europa, sondern an China - und zwar zu einem Fixpreis.
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