Die Revolution und ihr Getriebe
Warum heute ins Theater gehen, wenn die Welt aus den Fugen ist? Und sich am allerwenigsten nach dem Impetus einer Schiller’schen Besserungsveranstaltung zu sehnen scheint. Regisseur Jan Bosse versucht zumindest so etwas wie eine Klärung der Grundlagen, wenn er in diesen Tagen mit Georg Büchner auf den Prozess des Politisch-Revolutionären blickt. Nicht 1989 interessiert ihn. Eher bedroht ihn wie viele eine unberechenbare Gegenwart. Was passiert, wenn „Elan und Optimismus“, so Bosse jüngst in der „Presse“, in „Katastrophen“ umschlagen?
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Auf den Brettern des Burgtheaters hat Bosse für seine und unser aller Ängste den hochkulturellen Rahmen zur Verfügung: Wenn ein Starensemble in der maximal ausgefahrenen Theatermaschinerie demonstriert, wie Ideale oder die Rolle des Volks im Prozess einer Revolution rasch zu fernen und abstrakten Größen verkommen, dann ist das zwangsläufig Verfremdung der besonderen Art. Die aber im besten Fall einer größeren Blickschärfung dient als der Griff zu mittlerweile angestaubten historischen Werken, in denen ja zum Prozess der Aufklärung und der Utopie von Revolution so gut wie alles gesagt ist.

Reinhard Werner, Burgtheater
Wie verkommen ist die Revolution? Und wie viel Tugend treibt den revolutionären Prozess?
Der Bürgerkrieg, meinte etwa der Historiker Reinhart Koselleck in „Kritik und Krise“, sei nicht das unerwartete Ende des aufklärerischen Prozesses, sondern eigentlich dessen Konsequenz, wenn sich nämlich der moralische Innenraum samt seinen Totalitätsansprüchen über die Führung des Staates erhebe.
Revolution und Misere
„Die Revolution muss aufhören, und die Republik muss anfangen.“ Dieser Satz des Revolutions-„Diplomaten“ Herault gleich zu Beginn von Büchners Vierakter „Dantons Tod“ umreißt die ganze Misere des revolutionären Prozesses: Man befindet sich im Ausnahmezustand, und in diesem ist die Losung der Revolution, dass sich das Volk selbst ermächtigen möge und seinen Willen strukturiert in Gesetze formulieren könne, ein ferner Schein.
Es ist die Stunde der Heerführer, die ihre Führungsansprüche im Willen von Komitees und Versammlungen zu tarnen wissen. Im Frühling 1794, in dem Büchner sein aus vielen Textzitaten collagiertes Stück spielen lässt, kristallisiert sich Robespierre, gespielt von Michael Maertens, als durchsetzungsmächtigster Anführer heraus. Man schreibt den Höhepunkt des „großen Terrors“, und im Club der Jakobiner könnte vielleicht noch Georg Danton einen Umschwung herbeiführen und das große Metzeln beenden.

Herbert Neubauer/APA
Michael Maertens als „tugendhafter“ Robespierre. Optisch erinnert er an diesem Abend an einen Verschnitt von Michel Houellebecq und Nana Mouskouri
Der Revolutionär als Nihilist
Joachim Meyerhoff stellt aber einen Danton vor, der zwischen Syphilis, Selbstbezüglichkeit und Nihilismus oszilliert. Rastlos umkreist er die zweistöckige Drehbühne von Stephane Laime, die sich über die zwei Stunden des Abends permanent in die Gegenrichtung der Laufbewegung Dantons bewegt. Das Räderwerk der Revolution dreht sich gnadenlos voran, so die Dauerlosung dieses Abends, der von Dekor und Symbolen ein bisschen zu sehr strotzt.

Reinhard Werner, Burgtheater
Joachim Meyerhoff als Danton: sehenden Auges dem Ende entgegen
Dem sich hinter seinen Tugenden sanft wie listig tarnenden Robespierre wird Danton bestenfalls eine hilflose Verachtung entgegenstellen können. „Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an“, versucht sich Danton noch einmal zur Höhe der ethischen Grundlage der Revolution aufzuschwingen. Doch ihm entgegnet Robespierre immer nur grundsätzlich: „Wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot.“
„Die große Leiche mit Anstand begraben“
Das Ende Dantons ist von Anfang an besiegelt. Den Revolutionär Büchner interessiert - und hier liegt das Radikale seines Texts - nicht die Idee der Revolution, sondern ihr Getriebe. Moral ist in diesem Getriebe nur eine Funktion der Machtausübung, etwa wenn St. Just (Fabian Krüger) als treuer Adlatus Robespierres, die Parole zum Umgang mit dem toten Danton ausgibt: „Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Mörder.“
Das Volk, es bleibt in dieser Inszenierung eine ferne Größe. Wenn, dann muss das Publikum zwischendurch die Rolle der Volksmasse übernehmen, etwa als Ignaz Kirchner in der Funktion des Richters die fabrizierten Vorwürfe gegen Danton im grellen Licht des Zuschauerraums formuliert.
Ö1-Kritik zum Stück
Ö1-Beitrag von Gernot Zimmermann zur Bosse-Premiere an der Burg. Mehr dazu in oe1.ORF.at.
Maertens gegen Meyerhoff
Zuspitzen und Zusehen lautet das Motto des Abends. Es ist das Gegensatzpaar Robespierre-Danton, Maertens-Meyerhoff, das den Abend trägt. Das trifft vor allem auch die Art und Unterschiede, wie beide ihre Rollen auslegen dürfen. Abgründiger schillert in diesem ein wenig an Heiner-Müller-gone-Pop-Zirkus gemahnenden Dekor der abgründige Robespierre durch: Gerade weil er weniger sagt, bewirkt er mehr.
Die Drehbühne trägt diesen Abend nicht durch. Mitunter zermalmt sie den Text Büchners, so fokussiert man mit diesem umgehen wollte, gehörig. Das gilt leider auch für den großen Schlussauftritt der Lucile (Aenne Schwarz), deren Klage („der Strom des Lebens müsste stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde“) in der Überfülle des Dekors und den Bezügen, die man hier aufspannen wollte, untergeht.
Als sich schließlich der graue Vorhang wie das Beil der Guillotine senkte, feierte das Publikum eine ebenso gelungene Ensembleleistung - und manche(r) möglicherweise auch die Erlösung aus einer Inszenierung, die gewisse Elemente zu sehr in die Länge dehnte.
Gerald Heidegger, ORF.at
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