Großprojekt im hohen Norden
Nordlichter, ein Eishotel und Hundeschlittenfahrten - Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens, lockt jedes Jahr Tausende Touristen an. Schon in wenigen Jahren wird der idyllische Ort jedoch nicht wiederzuerkennen sein, denn die ganze Stadt muss übersiedeln. Schuld daran ist das Eisenerzbergwerk direkt unter dem Stadtzentrum, das durch die Minenarbeiten zunehmend einsturzgefährdet ist.
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Während andernorts gegen derartige Ab- und Umsiedelungspläne demonstriert wird, zeigt sich die Bevölkerung Kirunas verhältnismäßig schicksalsergeben. Das liegt daran, dass die einzige Alternative zur Umsiedelung eine Schließung der Mine wäre, wodurch der Stadt die wirtschaftliche Hauptgrundlage entzogen würde. Denn auch wenn der Tourismus mittlerweile kein unwesentliches Standbein für viele Einwohner Kirunas ist, ist die Bergwerksgesellschaft Luossavaara-Kiirunavaara Aktiebolag (LKAB) doch der größte Arbeitgeber der Region.

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Das Bergwerk in Kiruna ist nicht nur der größte Arbeitgeber der Region, sondern auch eine beliebte Touristenattraktion
Immer wieder Stollen eingestürzt
Durch den massiven Untertagbau an den reichhaltigen Eisenerzvorkommen ist der Boden vor allem südlich und nördlich der Stadt bereits jetzt stark unterhöhlt. Es kam in den vergangenen Jahren immer wieder zum Einsturz von Stollen. Im Jahr 2008 starb deswegen ein Grubenarbeiter, acht Kumpel wurden im selben Jahr von Sturzmassen vorübergehend eingeschlossen. Die staatliche Bergbaugesellschaft LKAB spielte die Vorfälle jeweils herunter und wies alle Vorwürfe wegen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen zurück.
Geologen warnten davor, dass bei einem Weiterführen der Abbautätigkeit im bisherigen Umfang schon in wenigen Jahren das Stadtzentrum von Kiruna akut von Einstürzen bedroht sein wird. Im Jahr 2004 stellte die Kommunalverwaltung die Weichen für die Verlegung der Stadt. Mit der Umsiedelung ist nun schon seit über zehn Jahren ein ganzes Team von Experten beschäftigt. Vor allem die Verlegung alter und denkmalgeschützter Gebäude in der Gefahrenzone bereitete den Architekten, Statikern und Stadtplanern Kopfzerbrechen - und nicht immer kommen die Studien zu erfreulichen Ergebnissen.
Zehn Jahre nach dem Beschluss steht der Masterplan
„Die Menschen von Kiruna leben seit zehn Jahren im Ungewissen“, beschreibt Viktoria Walldin, eine Sozialanthropologin aus dem Stadtplanerteam. Seit Jahren seien viele wichtige persönliche Entscheidungen nur schwer zu treffen, wie Hauskauf, Renovierungen oder Geschäftseröffnungen. Zehn Jahre nachdem der offizielle Beschluss zum Umzug gefällt wurde, gibt es nun jedoch endlich einen Masterplan für die Unternehmung. Man müsse sich die Übersiedlung vorstellen „wie einen Tausendfüßler, der sich langsam Richtung Osten bewegt“, heißt es in der Projektbeschreibung des Architekturbüros White. Straßen und Plätze der Stadt würden Sektor für Sektor entlang der neuen Hauptstraße nach Osten versetzt, bis sich die Stadt komplett außerhalb der Gefahrenzone befinde.
Der Zeithorizont für das aufwendige Unterfangen wird im Moment auf 15 bis 20 Jahre angenommen. Bis heute gibt es nur Schätzungen, was der Umzug kosten wird. Laut der offizielle „Stadsomvandling“-Website rechnet LKAB damit, dass das Unternehmen, das unter anderem Kompensationskosten für die umzusiedelnde Bevölkerung zu tragen hat, über 600 Mio. Euro betragen werden.
Denkmalgeschütztes Rathaus muss abgerissen werden
Viele Gebäude müssen abgerissen werden, da ein Transport teurer als ein Neubau wäre. So muss unter anderem das als Wahrzeichen der 18.000 Einwohner zählenden Stadt geltende, denkmalgeschützte Rathaus weichen. Es kann wegen seiner Größe und baulichen Eigenschaften nicht wie ursprünglich gedacht an den neuen, rund einen Kilometer weiter östlich geplanten Standort gebracht werden.

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Auch Kirunas berühmte Kirche muss übersiedelt werden
Die Gemeinde entschloss sich gegen den Protest der Architektengemeinde Schwedens endgültig für den Abriss des 1959 bis 1962 nach Plänen des Architekten Artur von Schmalensee errichteten Gebäudes. Das „Stadshuset“ von Kiruna wurde 1964 als „schönstes öffentliches Gebäude“ Schwedens prämiert und diente auch als Ausstellungshalle. Im neuen Stadtzentrum soll ein neues Rathaus entstehen. Man entschied sich absichtlich dafür, statt einer Kopie des alten ein völlig neues Gebäude entwerfen zu lassen. Als Sieger des Architektenwettbewerbs ging das dänische Architekturbüro Henning Larsen Architects mit einem runden Entwurf namens „Kristallen“ hervor.
Ein anderes wichtiges Gebäude Kirunas kann hingegen gerettet werden: Die ganz aus Holz erbaute Kirche, die 1912 von Gustaf Wickman in Anlehnung an die Form eines Lappenzelts errichtet wurde. Sie soll einen zentralen Standort im neuen Kiruna erhalten.
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