Schatten über dem Jubiläumsjahr
Amazon ist mittlerweile 20 Jahre alt. Unternehmensgründer Jeff Bezos hat aus dem kleinen Internetbuchhandel einen Onlinegiganten hervorgebracht. Doch im Jubiläumsjahr hat der Branchenführer mit allerlei Problemen zu kämpfen.
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Der Grundstein des Erfolgs von Amazon wurde lange gelegt, bevor es die Firma überhaupt gegeben hat - als Sam Walton am 2. Juli 1962 den ersten Walmart in den USA eröffnete. Der Siegeszug seiner Supermarktkette sollte die Blaupause für Amazon liefern: knallharte Verhandlungen mit Lieferanten, das rücksichtslose Ausbeuten billiger Arbeitskraft, die Eliminierung der Konkurrenz durch Kampfpreise oder Aufkaufen und eine schier endlose Expansion mit Geld von der Börse.

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Jeff Bezos 1999: Nur nichts anbrennen lassen
Zunächst jedoch erkannte der US-Unternehmer Bezos als erster in vollem Umfang, welche Möglichkeiten das Internet für den Handel bietet. Er gründete im Juli 1994 sein Unternehmen und registrierte im November die Adresse Amazon.com. Seine Idee war simpel: Bücher unkompliziert und billig zu verschicken. Er ging, was die intuitive Nutzung der Website betrifft, keine Kompromisse ein und reduzierte den Aufwand bis hin zu einem „One Click“-Bestellsystem, das er sich sogar patentieren ließ.
„Get big fast“
Bezos machte Tempo, er nutzte sein frühes Engagement, um von den USA aus eine marktbeherrschende Position einzunehmen. Ähnliche Buchhandelsplattformen, etwa in Deutschland und Großbritannien, kaufte er mit Geld von Anlegern. Den Börsengang wagte er 1997. Es war nur folgerichtig, dass Bezos sich 1998 den stellvertretenden Verkaufsleiter von Walmart an Bord holte. Als Motto galt „get big fast“. Wachstumsraten im dreistelligen Prozentbereich waren während der ersten Jahre die Regel.
Als Meilenstein gilt der Gratisversand von Büchern. Bezos konnte es sich leisten - nicht zuletzt dank eines beispiellosen Vertrags mit dem Lieferanten UBS. Den Deal handelte Bezos aus, nachdem Amazon zwei Wochen lang komplett auf UBS verzichtet hatte - und dem Transportriesen damit gezeigt hatte, wie weh ein Amazon-Embargo tun kann. Diese Methode bewährte sich auch im Umgang mit Verlagen.
Druck machen als Geschäftsmodell
Amazon steht für seine rüden Geschäftspraktiken international am Pranger. Zuletzt wurden die Verlagsriesen Hachette (USA) und Bonnier (Deutschland) mit wenig glimpflichen Methoden dazu gezwungen, die Gewinnmarchen von Amazon weiter zu erhöhen. Bis zu 45 Prozent und teilweise noch mehr bleiben vom Erlös eines Artikels in der Tasche des Onlineversandes. Kein Verlag kann es sich leisten, nicht bei Amazon gelistet zu werden. Wen man bei Amazon nicht findet - der findet nicht statt.
Den Kopf in den Wolken
Früh hatte Bezos erkannt, dass er auf eine möglichst breite Produktpalette setzen muss, damit er nicht seinerseits von einzelnen Branchen unter Druck gesetzt werden kann. Amazon bietet heute buchstäblich alles an - von der Schraube über Kinderspielzeug bis hin zum Fernseher. Ein wenig abseits vom Fokus der Öffentlichkeit hat sich der Internetriese auch den größten Kuchen am vielleicht lukrativsten und zukunftsträchtigsten Geschäft im Netz gesichert: Cloud-Computing.

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Die gigantischen Warenlager von Amazon
Jene Inhalte, die Amazon digital anbietet, können direkt aus dem Netzwerk konsumiert werden. Fast alle Musikdateien, CDs und Langspielplatten, die man jemals bestellt hat - auch rückwirkend, kann man direkt online mit dem Amazon-Player abspielen. Aber wichtiger ist das Vermieten von Rechenkapazität und Speicherplatz sowie die Verwaltung von Daten ganzer Unternehmen. Sogar die CIA nimmt diesen Service bereits in Anspruch. Wer sich schon bei Facebook Sorgen um Datenschutz gemacht hat, sollte wegen Amazon ein Stoßgebet zum Himmel schicken.
Der Beelzebub der Literatur
Das Kern- und Traditionsgeschäft freilich bleiben die Bücher. Hier gilt Amazon vielen als das Böse schlechthin - als Vernichter der Buchkultur. Eines ist sicher: Amazon hat die Art und Weise, wie Bücher hergestellt, vertrieben und gelesen werden auf den Kopf gestellt. Viele Buchgeschäfte mussten schließen, weil sie der Übermacht aus dem Internet nicht standhalten konnten. Die alleinige Deutungsmacht des Feuilletons ging verloren. Jeder kann seinen Senf zu jedem Buch öffentlich abgeben.

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Jeff Bezos 2014: Die Haare sind weniger geworden, die Ambitionen nicht
Amazon kann durch seine Algorithmen festlegen, welche Treffer zu welchen Suchanfragen gefunden werden - nach wirtschaftlichen Kriterien. Die schön gefüllten Bücherregale als Machtinsignien des Bildungsbürgers werden zusehends leerer. Ein Teil der Bücher wird als digitale Kopie erworben - und auf elektronischen Endgeräten gelesen. Und jetzt auch noch das: eine monatliche „Flatrate“ samt unbeschränktem Download von 160.000 Titeln (der Haken: die aktuellen Bestseller sind nicht dabei).
Amazon hat das Böse sein nicht erfunden
Es gibt Argumente, die gegen eine allzu einfache Verteufelung sprechen. Amazon ist nicht aus dem Nichts entstanden. Vor dem Onlinehändler waren die bestsellergierigen, großen internationalen Verlagshäuser im Kreuzfeuer der Kritik, weil sie kleine Verlage verdrängten - genauso wie die übermächtigen Buchhandelsketten. Auch Barnes and Noble und Thalia haben kleine Buchgeschäfte verdrängt.
Freilich: Bleibt den Verlagen wegen Amazons Geschäftspraktiken weniger Geld, können sie sich ihren ureigensten Aufgaben nicht mehr in vollem Ausmaß widmen - Lektorat und Autorenpflege leiden und die Bereitschaft, auch „ausgerissene“ Buchprojekte zu unterstützen, sinkt weiter. Die Politik ist in der Pflicht - nicht zuletzt, weil Amazon durch raffinierte Firmenkonstruktionen kaum Steuern bezahlt.
Der Anti-Amazon-Kampf
Frankreich hat zum Schutz des Buchhandels nun ein „Anti-Amazon-Gesetz“ beschlossen, das den Gratisversand und Preisnachlässe über fünf Prozent verbietet. In Deutschland hat der Verband der Buchverlage eine Beschwerde bei den Kartellwächtern eingelegt, mit dem Argument, dass Amazon seine marktbeherrschende Stellung ungebührlich ausnutze. Nicht nur Verlage gehen vielerorts auf die Barrikaden - auch Autoren.
Dabei hält sich Amazon gerade zugute, eine Revolution im Sinne der Autoren eingeleitet zu haben. Der Handelsriese tritt längst selbst als Verleger von E-Books auf und kann es sich leisten, 30 Prozent pro verkauftem Buch an die Schriftsteller weiterzugeben - weit mehr, als diese in der Regel von den Verlagen bekommen. Der Nachteil: Die Mehrheit von ihnen erscheint bei Amazon mehr oder weniger im Eigenverlag. Kein Lektor gibt somit jemals Feedback oder bessert etwas aus, ein Großteil der Bücher ist deshalb unlesbar. Gefördert werden nur die Amazon-Stars. Und die Bücher liegen in der Regel nicht in den Buchgeschäften und werden vom Feuilleton ignoriert.
Abschied vom E-Book
Eine weitere Sorge der Verlage betrifft ebenfalls Amazon, aber nicht nur den Handelsriesen. Einige Anbieter nehmen ihre E-Book-Reader bereits wieder vom Markt. Jeder kann mit Hilfe von Apps nun auf dem Smartphone und auf Tablets lesen. Nur wird man dort ständig gestört, von Facebook-Nachrichten und ähnlichen Ablenkungen. Die Angst ist, dass in Summe dadurch weniger gelesen wird und somit weniger Bücher bestellt werden. Dazu gibt es allerdings noch keine Zahlen.
Bisher haben weder Amazon noch die digitale Revolution dazu geführt, dass weniger gelesen wird - eher im Gegenteil. Ein Vorteil des Onlineversandhandels ist mit Sicherheit die Versorgung von Menschen mit Büchern abseits der Ballungsräume. Wer Pech hatte, war früher auf eine schlecht sortierte Papierhandlung mit Bücherecke in der zig Kilometer entfernten Bezirkshauptstadt angewiesen. Einmal fuhr man hin zum Bestellen. Ein zweites Mal zum Abholen.
Knapp kalkuliert - zu knapp für Anleger
Service ist das Erfolgsrezept von Amazon. Die Waren sind meist nach zwei Tagen im Postkasten. Jede Rücksendung wird umstandslos angenommen. Die Produktinformationen sind detailliert. Im sogenannten „Fachhandel“ an Ort und Stelle fühlt man sich oft schlechter informiert.

AP/Jens Meyer
Protest gegen Niedrigstlöhne und schlechte Arbeitsbedingungen bei Amazon
Das alles geht, von der steuerschonenden Struktur abgesehen, nur, weil in den Lagern Menschen zu Niedrigstlöhnen arbeiten und gewerkschaftliche Tätigkeit systematisch verhindert wird. Und weil Bezos plangemäß die Macht und schiere Größe von Amazon ständig ausbaute und dafür in Kauf nahm, dass sein Unternehmen über Jahre hinweg keine nennenswerten Gewinne einfuhr und keine nennenswerten Dividenden an die Anleger ausgezahlt wurden.
Kein Sympathieträger
Bezos ist kein Sympathieträger. Anders als etwa der verstorbene Steve Jobs - für dessen Unternehmen Apple Menschen in Zulieferbetrieben unter unwürdigen Bedingungen arbeiten - hat Bezos seine wirtschaftlichen Interessen nie mit einem nerdigen Coolness-Anspruch verbrämt. Bezos ist ein beinharter Geschäftsmann mit Gespür für den Moment. Amazon ist kein ethisch agierendes Unternehmen. Nur: Die Welt wäre ohne Amazon auch nicht besser, solange Politiker nicht internationale Regeln und Strukturen schaffen und verteidigen, die unethisches Verhalten wirksam eindämmen.
Simon Hadler, ORF.at
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