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Rätsel über deutsche Handgranaten

Das Pentagon hält es für möglich, dass nicht alle für Kurden bestimmten Waffen ihre Ziel erreicht haben: Von den 28 Paketen mit Waffen, die über der syrischen Grenzstadt Kobane (arabisch: Ain al-Arab) verganenes Wochenende abgeworfen wurden, habe mindestens eines sein Ziel nicht erreicht, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby.

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Bestätigen könne er Berichte, laut denen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Waffen in Besitz nahm, aber nicht. „Die kurze Antwort ist: Wir wissen es nicht.“ Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte landete mindestens ein Waffenabwurf in den Händen des IS. Auf einem am Dienstag im Internet veröffentlichten Video zeigen Extremisten zunächst eine auf einem Feld niedergegangene Fallschirmladung. In den dann präsentierten Munitionskisten sind Mörsergranaten zu erkennen. Da diese zu den Waffen gehörten, die abgeworfen wurden, sei das Versehen durchaus möglich, sagte Kirby.

Vernichtung von Waffen fehlgeschlagen?

Am Montag hatte das Zentralkommando in Florida noch mitgeteilt, dass in der Nähe von Kobane eine herrenlose Ladung Waffen zerstört wurde. Damit wolle man verhindern, dass diese in die falschen Hände geraten. Dass das Bündel getroffen wurde, bestätigte auch Kirby, ob es jedoch tatsächlich zerstört wurde, darüber gebe es keine Bestätigung. Selbst wenn ein Bündel sein Ziel nicht erreicht habe, sei die Erfolgsquote der Abwürfe aber äußerst hoch.

IS-Kämpfer posieren mit deutschen Waffen

Rätselhaft bleibt zudem, wie deutsche Handgranaten in die Hände von IS-Kämpfern gelangt sein könnten. Auf einem Internetvideo ist zu sehen, wie Extremisten Granaten auspacken, deren Behälter die Aufschrift „DM41“ tragen - die Typbezeichnung eines älteren deutschen Fabrikats. Unklar ist, aus welchen Beständen die Waffen stammen und wie sie den Weg nach Syrien gefunden haben.

Kiste mit Handgranaten

APA/AP

IS zeigte in einem Propagandavideo mehrere Kisten mit Handgranaten

Die Frage nach der Herkunft der Waffen warf erstmals der deutsche Blogger Thomas Wiegold auf, der regelmäßig über die deutsche Sicherheitspolitik berichtet. Ein Sprecher der deutschen Bundeswehr sagte daraufhin Dienstagabend der Nachrichtenagentur dpa, die Granaten des im Video gezeigten Typs seien nicht an die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nordirak geliefert worden. Vielmehr hätten die Kurden dort das Nachfolgemodell „DM51“ erhalten. Die Bundeswehr hatte die Kurden im Irak im Kampf gegen den IS mit Waffen ausgestattet.

Waffen von Assad-Regime?

Berichten zufolge sollen die kurdischen Kämpfer in Kobane auch Waffen vom Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad erhalten haben. Die Enklave sei von der Armee „militärisch und logistisch sowie mit Munition und Waffen“ unterstützt worden, sagte der syrische Informationsminister Umran al-Saubi nach Angaben der syrischen Nachrichtenagentur SANA am Mittwoch.

Denn die Stadt sei „syrisches Gebiet, und die Menschen dort sind unsere Menschen“. Von kurdischer Seite gab es dazu keine Bestätigung. Saubi zufolge konnte die syrische Armee auch zwei von drei vom IS erbeuteten Kampfflugzeugen zerstören. Nun sei man auf der Suche nach dem dritten Jet. Auch dafür gibt es keine unabhängige Bestätigung.

Die kurdische Autonomieregion im Nordirak beschloss am Mittwoch militärische Hilfe für die in Kobane kämpfenden Kurden. Die kurdische Gorran-Partei im Nordirak teilte über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, dass in einer ersten Phase rund 200 Peschmerga-Soldaten mit schweren Waffen an diesem Einsatz teilnehmen sollten.

Erdogan kritisiert US-Waffenabwurf

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte die USA scharf für den Abwurf von Waffen über Kobane. „Was dort getan wurde, war falsch“, sagte Erdogan am Mittwoch in Ankara. Ein Teil der Waffen sei in die Hände des IS gefallen. Die Türkei lehnt Waffenlieferungen an die dort lebenden Kurden ab. Erdogan betrachtet die Kurdenpartei und -miliz im Nachbarland ebenso als Terrororganisationen wie die PKK in der Türkei.

Weiter US-Luftangriffe gegen IS

US-Kampfflugzeuge setzten unterdessen ihre Luftangriffe nahe Kobane fort. Seit Montag seien vier Angriffe geflogen worden. Dabei seien eine „große IS-Einheit“ sowie weitere Stellungen der Miliz und ein von ihr besetztes Gebäude zerstört worden, teilte das US-Zentralkommando am Dienstag mit. Im Irak zerstörten demnach Kampfjets eine IS-Stellung nahe einer Ölraffinerie sowie südöstlich des Mossul-Staudamms. Auch Verbündete hätten Angriffe auf IS-Milizen im Irak geflogen. Alle Flugzeuge seien sicher zurückgekehrt.

Aktivisten: Kein Giftgasangriff

Gerüchte über einen IS-Giftgasangriff in Kobane erwiesen sich nach Angaben von Aktivisten als falsch. Augenzeugen aus der Stadt im Norden Syriens hatten in der Nacht berichtet, zahlreiche Bewohner würden an Atemnot leiden und Symptome eines Giftgasanschlages zeigen. Tatsächlich soll es sich jedoch um eine Einzelperson handeln: „Ein Allergiepatient litt unter dem durch die Bombardierungen verursachten Rauch“, sagte Rami Abdel Rahman, Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, der dpa. Er sei in der Nacht stationär mit Sauerstoff behandelt worden und habe das Krankenhaus bereits wieder verlassen.

Der IS könnte bei seinem Vormarsch im Irak Restbestände alter Chemiewaffen erbeutet haben, berichtete die „New York Times“ Mitte Oktober. Unter Berufung auf ehemals im Irak stationierten US-Soldaten schrieb die Zeitung, es seien im Irak zwischen 2004 und 2011 rund 5.000 Geschoße mit chemischen Kampfstoffen entdeckt worden, die aber nie zur Gänze vernichtet wurden. Konkret bezog sich die „NYT“ auf den von den Dschihadisten eroberten Chemiewaffenkomplex Muthanna. Die irakische Regierung hatte jedoch versichert, dass es dort keine Restbestände von unter anderem Sarinraketen und Senfgasgeschoßen gegeben habe.

IS zieht Kräfte zusammen

Der IS hatte zuletzt seinen Ansturm auf Kobane forciert. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden neue Einheiten aus den vom IS kontrollierten syrischen Städten al-Rakka und Dscharabulus abgezogen. Auf kurdischer Seite waren nach Angaben der türkischen Regierung bis Dienstagabend noch keine verbündeten Peschmerga-Kämpfer aus dem Nordirak eingetroffen. Die Türkei hatte am Montag kurdischen Kämpfern aus dem Irak eine Ausreiseerlaubnis nach Kobane erteilt.

Angeblich aus al-Rakka stammte auch ein von IS veröffentlichtes Video, das am Dienstag für Abscheu sorgte. Es zeigt einen Vater, der die Steinigung seiner eigenen Tochter durch die Islamisten anführt. Ein IS-Kämpfer sagt auf dem Video zu der verschleierten Frau: „Das Urteil ist das Ergebnis von Taten, die Du begangen hast. Akzeptierst Du die Strafe Gottes?“ Daraufhin nickt die Frau. Ihr Vater zwingt sie daraufhin auf den Boden. Der IS-Kämpfer ordnet den Vollzug der Strafe an, mehrere Dschihadisten und der Vater steinigen sie gemeinsam zu Tode.

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