„Von außen kaum zu durchschauen“
Seit fast einem Jahr kommt die Ukraine nicht zur Ruhe. Der Umbruch begann Ende 2013, als Hunderttausende den Rücktritt des moskautreuen Präsidenten Viktor Janukowitsch forderten. Demonstriert wurde auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, dem Maidan, von dem die Protestbewegung ihren Namen hat.
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Nach dem Sturz der prorussischen Regierung eskalierte der Konflikt zwischen Moskau und Kiew. Russland annektierte die Halbinsel Krim, in der Ostukraine gibt es trotz Waffenruhe nach wie vor blutige Kämpfe.
„Um die Macht rivalisierende Eliten“
Die Maidan-Revolution sei zwar ähnlich wie die „Orange Revolution“ von 2004 ein „Ereignis von globaler Bedeutung“ gewesen, schreibt die Monatszeitung „Le Monde Diplomatique“ in ihrer aktuellen Ausgabe, an den realen Machtverhältnissen, den politischen Institutionen und den wirtschaftlichen Strukturen der Ukraine habe sie aber nichts geändert. Diese seien seit jeher von „um die Macht rivalisierenden Eliten“ bestimmt.
Die „Orange Revolution“
Nach der Präsidentenwahl 2004, die Viktor Janukowitsch knapp gegen Viktor Juschtschenko gewann, sprach die Opposition von massiven Wahlfälschungen und rief zu Massenprotesten auf - der Auftakt zur „Orange Revolution“.
Diese Eliten aus Oligarchen und ihren Clans herrschen über gigantische Stahlwerke genauso wie über riesige Geflügelfarmen. Die engen Verbindungen zwischen Wirtschaft und Politik sind in der Ukraine ein offenes Geheimnis. Der Politologe Dimitri Trenin vom Moskauer Carnegie-Center schrieb 2013 in einer Analyse: „Die Ukraine ist im Besitz und wird beherrscht von verschiedenen Oligarchenclans, die um eine Umverteilung von Macht und Eigentum kämpfen.“
Pintschuk-Clan gegen Achmetow-Clan
Auch Präsident Petro Poroschenko ist mit einem Clan verbunden - dem westlich orientierten Pintschuk-Clan -, ebenso der vor acht Monaten gestürzte Präsident Janukowitsch. Mit dem Sieg Poroschenkos bei der Präsidentenwahl im Mai sei der Achmetow-Clan aus Donezk, der hinter Janukowitsch stand, allerdings in die Defensive gedrängt worden, so „Le Monde Diplomatique“. Erst im Mai wurden in der Schweiz Vermögenswerte des Clans um Janukowitsch in der Höhe von 170 Millionen Franken (139,64 Mio. Euro) beschlagnahmt.
Der Kollaps des Janukowitsch-Regimes mache vielen Oligarchen das Leben schwer, schreibt der ukrainische Aufdeckerjournalist Sergej Leschtschenko im Magazin „Foreign Policy“. Die Gruppe um Janukowitsch - auch bekannt als „die Familie“ - habe fast ihren ganzen Einfluss auf die ukrainische Politik verloren. Sogar Mitglieder von Janukowitschs eigener Partei der Regionen würden „die Familie“ mittlerweile verunglimpfen. Janukowitsch und mehrere seiner Partner seien nach dem Sturz der Regierung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Russland verschwunden.
Die Kontinuität oligarchischer Macht sei allerdings auch mit Poroschenko gesichert, so „Le Monde Diplomatique“. Die oligarchischen Strukturen würden dafür sorgen, dass das Verhältnis zwischen nationalen Bewegungen, Parteien, Medien und politischer Macht von außen kaum zu durchschauen sei. Dem georgischen Politiker, Industriellen und früheren russischen Oligarchen Kachaber Bendukidse zufolge können die ukrainischen Oligarchen in zwei Gruppen geteilt werden: Die eine sei bereits in den 1990er Jahren entstanden, die andere sei ein Netz aus Oligarchen um Janukowitsch, das im Jahrzehnt vor der Maidan-Revolution von der Regierung gestärkt wurde.
Reichstem Oligarchen „ist die Kontrolle entglitten“
Zum letzteren gehört auch Rinat Achmetow, der als Hauptfinanzierer von Janukowitsch galt. Der Kohle- und Stahlmagnat aus dem ostukrainischen Donezk ist der reichste Ukrainer und einer der mächtigsten Oligarchen. Ihm gehören Bergwerke und Fabriken in der gesamten Donbass-Region. Im Laufe der blutigen Kämpfe in der Ostukraine wechselte Achmetow seine Position allerdings radikal: Während er nach dem Sturz von Janukowitsch auf der Seite der prorussischen Separatisten stand und diese - laut deren Aussagen - auch finanzierte, setzte er sich zuletzt für den ukrainischen Staat und gegen eine separate „Volksrepublik Donezk“ ein.
Nach Meinung ukrainischer Beobachter schwenkte Achmetow nicht zuletzt deshalb um, weil er sich weiterhin Privilegien wie billigere Transporttarife für seine Unternehmen sichern wollte, wie die Zeitung „Die Welt“ berichtete. Achmetow sei wohl in seinem Einflussgebiet die Kontrolle entglitten, sagte der ukrainische Journalist und Dolmetscher Juri Durkot im Mai im Gespräch mit der APA. Am Tag der Präsidentenwahl hatten sich in Donezk bewaffnete Separatisten vor der schwer gesicherten Villa Achmetows versammelt. „Achmetow hat sein eigenes Spiel gespielt. Seine Idee war, ähnlich den russischen Interessen, eine Region zu haben, die unabhängig von Kiew ist, die von Kiew aber gleichzeitig finanziert wird“, so Durkot.
Wirtschaftselite weiter einflussreich
Achmetows Probleme haben laut Leschtschenko neue Möglichkeiten für seine Rivalen geöffnet - allen voran Poroschenko. Er reüssiere sowohl als erfolgreicher Geschäftsmann als auch als hochrangiger Regierungsbeamter, spende Geld an Abgeordnete und nutze seinen TV-Sender, um sein Programm anzupreisen. Es sei jedenfalls klar, so Leschtschenko, dass die Wirtschaftselite der Ukraine auch nach der prowestlichen Maidan-Revolution die Politik des Landes formen wird.
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