Auch Zivilisten unter Toten
Seit Beginn der Offensive der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf die Grenzstadt Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) im September sind nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 400 Menschen getötet worden, wie am Dienstag mitgeteilt wurde. Bei den dreiwöchigen Kämpfen kamen demnach 219 IS-Extremisten und 163 kurdische Kämpfer der Volksschutzeinheiten ums Leben.
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Ferner habe der Vormarsch der Dschihadisten etwa 20 Zivilisten das Leben gekostet - darunter seien 17 Kurden, die von IS-Extremisten getötet worden seien. Die Zahlen bezögen sich allein auf bestätigte Fälle. Nach Angaben der Beobachtungsstelle liegt die Opferzahl vermutlich weitaus höher. Inmitten der Kämpfe sei es jedoch schwierig, Todesfälle zu dokumentieren. Auch die Angaben der Beobachtungsstelle sind aufgrund der Lage nicht nachprüfbar.

Reuters/Murad Sezer
Tausende Zivilisten flohen bereits über die türkische Grenze
Kampf um Straßenzüge und weitere Luftschläge
Am Dienstag gab es heftige Kämpfe in den Straßen von Ain al-Arab. Den IS-Extremisten gelang es, drei Bezirke zu erobern. Die Kämpfe dehnten sich in zwei weitere Bezirke im Süden und Westen der Stadt aus. Es sei ein Kampf um Straßenzüge, auch von „guerillaartigen“ Kämpfen war die Rede. Bereits in der Früh hatten die Dschihadisten ihre schwarzen Flaggen auf Gebäuden in Ain al-Arab gehisst. Am Dienstag flog die von den USA geführte Allianz fünf Angriffswellen gegen IS-Stellungen, wie die BBC berichtete.

APA/ORF.at
Die IS-Dschihadisten hatten vor drei Wochen ihren Vormarsch auf Kobane gestartet und dabei zahlreiche Dörfer in der Umgebung erobert. In den vergangenen Tagen drangen sie trotz heftiger Gegenwehr der kurdischen Volksverteidigungseinheiten und Luftangriffen der internationalen Militärallianz immer weiter in die nahe der türkischen Grenze gelegene Stadt vor. Sollte es IS gelingen, Ain al-Arab einzunehmen, würden die Dschihadisten auf syrischer Seite ein langes Stück der Grenze zur Türkei kontrollieren.
Erdogan weiter für Bodenoffensive
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bekräftigte am Dienstag seine Forderung nach einer Bodenoffensive zur IS-Bekämpfung in Syrien. „Der Terror wird mit Luftangriffen nicht aufhören“, sagte Erdogan beim Besuch in einem Flüchtlingslager im südtürkischen Gaziantep. Notwendig sei eine Kooperation von Truppen auf dem Boden. Bereits bei einer Parlamentssitzung Anfang Oktober hatte der Präsident betont, dass Luftangriffe nur eine vorübergehende Lösung darstellten.
Davutoglu: Strategie auch gegen Assad
Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte derweil, die Türkei sei „zu allem“ im Kampf gegen die IS-Extremisten in Syrien bereit, stellte aber Bedingungen. Notwendig sei eine abgestimmte Strategie gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad, sagte Davutoglu dem US-Nachrichtensender CNN. Ankara werde nur Truppen entsenden, wenn „andere ihren Anteil leisten“.
Auch nach einem möglichen Sieg über den IS müsse die Grenze zur Türkei sicher sein. Sollte Assad aber über ein Wirken des IS hinaus an der Macht bleiben, könne eine neue radikale Gruppe in Erscheinung treten, warnte Davutoglu. Vorschläge, die Türkei sollte im aktuellen Konflikt mit den IS-Extremisten mit der Assad-Regierung zusammenarbeiten, nannte Davutoglu „schockierend“. „Mit einem Teufel gegen einen anderen zusammenzuarbeiten sollte nicht der Weg der internationalen Gemeinschaft sein“, betonte er.
Warum die Türkei zögert
Das türkische Parlament hatte in der vergangenen Woche grünes Licht für einen Militäreinsatz gegen die Extremisten in Syrien gegeben. Zwar wurden Truppen an der Grenze zusammengezogen, bisher ist die Türkei aber nicht ins Nachbarland eingerückt. Laut BBC-Bericht zögert die Türkei bei ihrer Unterstützung für die kurdischen Kräfte an der syrischen Grenze nicht zuletzt deswegen, weil diese mit der PKK verbündet seien. Die PKK ist in der Türkei aber als Terrororganisation eingestuft.
Kurden: Luftschläge zu wenig
Lokale Kurdenvertreter wie der stellvertretende Außenminister der Kurdenregion, Idris Nahsen, kritisieren aber, dass die US-geführten Luftangriffe nicht ausreichen. Die Peschmerga brauchten auch Waffen und Munition. Die kurdischen Volksschutzeinheiten erklärten Ain al-Arab nach Angaben eines Sprechers zur „Militärzone“ und brachten die noch in der Stadt gebliebenen Zivilisten in Richtung der Grenze im Norden. Die Stadt werde „sicher bald fallen“, sagte Nahsen gegenüber BBC.
Bisher flohen mehr als 186.000 Menschen vor den Kämpfen in die Türkei. Allein am Montag sollen weitere 2.000 Zivilisten die Stadt verlassen haben. Die verbleibenden Bewohner der Stadt wurden von den kurdischen Milizen aufgefordert, Ain al-Arab zu verlassen. Berichten zufolge würden sich kurdische Volksschutzeinheiten den Extremisten auch in den östlichen Gebieten entgegenstellen und Zivilisten zur türkischen Grenze bringen.
Drei Demonstranten in der Türkei getötet
Bei Protesten gegen die Tatenlosigkeit Ankaras angesichts der drohenden Eroberung von Ain al-Arab wurden unterdessen drei Menschen in der Türkei getötet. Zwei prokurdische Demonstranten wurden in Diyarbakir bei Schusswechseln mit islamistischen Gruppen getötet, zudem starb ein Kurde in Mus bei Zusammenstößen mit der Polizei.
Luftangriffe auch im Irak
Neben Angriffen auf Ain al-Arab flog die US-geführte Anti-IS-Koalition auch Lufteinsätze gegen IS-Stellungen in Syrien bei al-Rakka und Deir al-Sor. Im Irak wurden laut US-Nahost-Kommando Angriffe bei Falludscha und Ramadi geflogen, an denen Belgien und Großbritannien beteiligt gewesen seien. Im Irak wurden erstmals auch Kampfhubschrauber eingesetzt. Da diese tiefer und langsamer fliegen, sind sie stärker gefährdet als Kampfjets.
Bei einem IS-Angriff im Osten des Irak wurden laut Sicherheitskräften mindestens fünf Kurdenkämpfer getötet. Der IS habe von Dschalaula aus Verteidigungsstellungen der Peschmerga etwa fünf Kilometer außerhalb der Stadt attackiert, sagte ein ranghoher kurdischer Offizier am Montagabend. Der IS hatte die strategisch wichtige Stadt Dschalaula nordöstlich von Bagdad am 11. August eingenommen.
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