Tausende Zivilisten bereits geflohen
Die strategisch entscheidende syrisch-kurdische Stadt Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) an der Grenze zur Türkei dürfte kurz vor der Einnahme durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stehen. Nach wochenlanger Belagerung liefern einander IS-Kämpfer und die kurdischen Milizionäre nun heftige Gefechte in den Straßen. Laut Aktivisten eroberte IS bereits drei Stadtteile im Osten der Stadt.
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IS-Kämpfer hätten eine Industriezone und die Viertel Maktala al-Dschadida und Kani Arabane in ihre Gewalt gebracht, so die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Der Chef der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman, sprach von „guerillaartigen“ Kampfszenen in Ain al-Arab. Am Dienstag weiteten sich die Kämpfe nach Angaben der Aktivisten auf Stadtviertel im Süden und Westen aus. Mehrere Gebäude seien vom IS erobert worden.
Strategischer Hügel unter IS-Kontrolle
Trotz heftiger Gegenwehr der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Luftangriffen der internationalen Militärallianz rücken die Dschihadisten seit Tagen unaufhaltsam vor. Lokale Kurdenvertreter wie der stellvertretende Außenminister der Kurdenregion, Idris Nahsen, kritisieren aber, dass die US-geführten Luftangriffe nicht ausreichen.
Die Peschmerga brauchten auch Waffen und Munition.
Die Stadt werde „sicher bald fallen“, sagte Nahsen gegenüber BBC. Seinen Angaben zufolge kontrolliert IS auch den strategischen Hügel über der Stadt. Von dort werde auch heftig mit schweren Waffen auf die Stadt geschossen. IS-Panzer umzingeln nahezu das gesamte Ain al-Arab. Die Anti-IS-Koalition reagierte am Dienstag mit neuen Luftangriffen auf IS-Stellungen vor allem im Südwesten von Ain al-Arab.
IS hisste schwarze Fahne im Ostteil der Stadt
Kurdischen Angaben zufolge hissten die Dschihadisten ihre schwarze Fahne an einem mehrstöckigen verlassenen Wohnhaus im Osten der Stadt. Sollte es ihnen gelingen, Ain al-Arab einzunehmen, würden sie ein langes Stück der türkisch-syrischen Grenze kontrollieren.

Reuters/Murad Sezer
Tausende Zivilisten flohen bereits über die türkische Grenze
Bisher flohen mehr als 186.000 Menschen vor den Kämpfen in die Türkei. Allein am Montag sollen weitere 2.000 Zivilisten die Stadt verlassen haben. Die verbleibenden Bewohner der Stadt wurden von den kurdischen Milizen aufgefordert, Ain al-Arab zu verlassen. Noch immer seien Tausende Menschen in der Stadt eingeschlossen, berichteten Beobachter. Berichten zufolge würden sich kurdische Volksschutzeinheiten den Extremisten auch in den östlichen Gebieten entgegenstellen und Zivilisten zur türkischen Grenze bringen.
Kurden warnen vor Massaker
UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon rief zum Schutz der Zivilbevölkerung in Ain al-Arab auf. Alle, die die Mittel dazu hätten, sollten sofort zum Schutz der Bevölkerung handeln, sagte Ban vor dem Hintergrund der „groben und grausamen Verletzungen der Menschenrechte“, die die Terroristengruppe während ihres „barbarischen Feldzugs“ in der Region begangen habe. Kurdische Politiker hatten nur wenige Stunden zuvor die internationale Gemeinschaft zum Handeln aufgerufen und vor einem Massaker gewarnt. Ain al-Arab ist die letzte Bastion in einer Enklave, die bisher von kurdischen Volksschutzeinheiten kontrolliert wurde.

APA/ORF.at
„Wenn das so weitergeht, wenn es keine internationale Hilfe, keine militärische Hilfe für die Bewohner der Stadt und die kurdischen Kämpfer gibt, kann sie in die Hände von IS fallen“, warnte auch Karwan Sebari, ein Vertreter der kurdischen Regionalregierung in den USA, im BBC-Interview mit Blick auf die Türkei. Es stehe auch die nationale Sicherheit der Türkei auf dem Spiel.
Türkei gibt sich zögerlich
Die Türkei sagte den Kurden in Ain al-Arab zwar Unterstützung zu. Doch dass die vom türkischen Parlament genehmigten Bodentruppen bald zum Einsatz kommen, schloss Ministerpräsident Ahmet Davutoglu aus. „Wir werden alles nur Mögliche unternehmen, um den Menschen in Kobane (Ain al-Arab) zu helfen. Bodentruppen zu schicken ist aber natürlich eine andere Entscheidung.“ Wenn man in Ain al-Arab eingreife, müsse man in ganz Syrien intervenieren, so Davutoglu. Die Türkei werde nun mit den Mitgliedern der Anti-IS-Allianz beraten, „was als Nächstes gegen ISIS (IS) zu tun ist - nicht nur in Kobane“.
Laut BBC-Bericht zögert die Türkei bei ihrer Unterstützung für die kurdischen Kräfte an der syrischen Grenze nicht zuletzt deswegen, weil diese mit der PKK verbündet seien. Die PKK ist in der Türkei aber als Terrororganisation eingestuft.
Luftangriffe auch im Irak
Neben Angriffen auf Ain al-Arab flog die US-geführte Anti-IS-Koalition auch Lufteinsätze gegen IS-Stellungen in Syrien bei al-Rakka und Deir al-Sor. Im Irak wurden laut US-Nahost-Kommando Angriffe bei Falludscha und Ramadi geflogen, an denen Belgien und Großbritannien beteiligt gewesen seien. Im Irak wurden erstmals auch Kampfhubschrauber eingesetzt. Da diese tiefer und langsamer fliegen, sind sie stärker gefährdet als Kampfjets.
Bei einem IS-Angriff im Osten des Irak wurden laut Sicherheitskräften mindestens fünf Kurdenkämpfer getötet. Der IS habe von Dschalaula aus Verteidigungsstellungen der Peschmerga etwa fünf Kilometer außerhalb der Stadt attackiert, sagte ein ranghoher kurdischer Offizier am Montagabend. Der IS hatte die strategisch wichtige Stadt Dschalaula nordöstlich von Bagdad am 11. August eingenommen.
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