Terrormiliz rückt immer weiter vor
Die nordsyrische Stadt Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) steht möglicherweise kurz vor dem Fall. Auf einem Gebäude im Osten der Stadt wurde am Montag die schwarze Flagge der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehisst. Das zeigten Fernsehbilder, die von der Türkei aus aufgenommen wurden. Demnach wehte die Flagge auf einem vier Stockwerke hohen Gebäude.
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Zuvor hatte es geheißen, dass die IS-Kämpfer bis zu 200 Meter an die Stadt an der Grenze zur Türkei herangerückt waren. In der Innenstadt schlugen Mörsergranaten ein. „Sie feuern mit Mörsergranaten ins Stadtzentrum, und wir haben nur leichte Waffen“, sagte der Chef der Verteidiger der Stadt, Esmat al-Scheich, am Montag in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur Reuters. „Sollten sie in Kobani einmarschieren, wird die Stadt zum Friedhof für uns und für sie“, sagte Scheich.
5.000 kurdische Kämpfer im Einsatz
Nach Angaben von Aktivisten wehrten kurdischen Kämpfer in der Nacht auf Montag einen Angriff auf Ain al-Arab ab. IS-Kämpfer hätten versucht, die Stadt von Osten und Westen aus zu stürmen, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. 19 Kurden und mindestens 29 IS-Extremisten seien getötet worden, hieß es. Der Chef der selbst ernannten Regionalregierung von Ain al-Arab, Anwar Muslim, sagte der Nachrichtenagentur dpa am Montag, mittlerweile würden 5.000 Kurden in Kobane kämpfen.
Massaker an Bevölkerung droht
Ain al-Arab an der syrisch-türkischen Grenze ist seit zwei Wochen heftig umkämpft. Wenn die Verteidiger der Stadt nicht rasch militärische Hilfe von außen bekämen, sei der Islamische Staat nicht zu stoppen, so der Chef der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), Saleh Muslim, noch vor wenigen Tagen im Gespräch mit Reuters. Sollten die Islamisten die Stadt an der Grenze zur Türkei einnehmen, würden sie alles zerstören und die Menschen abschlachten. Seit Beginn der Gefechte flohen mehr als 180.000 Menschen aus der Stadt und den umliegenden Dörfern über die Grenze in die Türkei.
Selbstmordattentäterin soll IS-Kämpfer getötet haben
Eine kurdische Kämpferin soll bei einem Selbstmordanschlag südlich der Stadt Dutzende IS-Kämpfer getötet haben. Die Frau sei Mitglied der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) gewesen, sagte der YPG-Kommandant in Ain al-Arab nach Angaben der kurdischen Nachrichtenseite Welati. YPG ist der syrische Ableger der türkischen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK).
Die Frau sei in das von IS-Kämpfern kontrollierte Gebiet südlich der Stadt vorgedrungen und habe den Anschlag verübt, berichtete Welati. Die Seite Hawar News, die eng mit der PYD verbunden ist, bestätigte den Selbstmordanschlag. Details wurden nicht genannt.
Angriffe bisher abgewehrt
Ain al-Arab ist die letzte Bastion in einer Enklave, die bisher von kurdischen Verbänden kontrolliert wurde. IS herrscht bereits über mehr als 300 Dörfer im Umland. Bis vor ein paar Wochen hatten die Kurden ihr Territorium in Nordsyrien fast lückenlos verteidigen können. Im Zuge des Vormarschs der mit modernsten Waffen und Panzern ausgestatteten Islamisten schmolz der Widerstand bis auf Ain al-Arab zusammen, wo er nun auch einbricht.
Kurdische Kämpfer wehrten den Vormarsch der IS-Miliz trotz mangelhafter militärischer Ausrüstung bisher ab. Auf Videos, die auf YouTube veröffentlicht wurden, ist zu sehen, wie die kurdischen Kämpfer mit Kalaschnikows und Panzerfäusten aus der Stadt heraus versuchen, die IS-Panzer am Vorrücken zu hindern. Unterstützung erhielten sie dabei durch Luftangriffe der internationalen Allianz gegen die IS-Kämpfer.
US-Luftangriffe stoppen IS nicht
Laut syrischer Kurdenpolitiker reichen die Luftschläge der USA und ihrer Verbündeten allerdings nicht aus. „Wenn es den USA ernst wäre, könnten sie sie innerhalb kurzer Zeit zurückschlagen“, sagte Salih Muslim nach Angaben der kurdischen Agentur Firat am Montag. Der Vizepräsident der syrischen Kurdenpartei PYD warf der Internationalen Gemeinschaft Versagen beim Schutz von Ain al-Arab vor. „Die Welt schweigt“ angesichts des drohenden Massakers.
Muslim kritisierte, niemand unterstütze die kurdischen Volksschutzeinheiten, die Ain al-Arab gegen IS verteidigten. „Wir wollen Waffen, aber sie würden sie uns nicht einmal verkaufen.“ Die Volksschutzeinheiten (YPG) gelten als bewaffneter Arm der PYD und als Verbündete der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Auch für den stellvertretenden Außenminister der Kurdenregion, Idris Nahsen, gehen die von der US-Luftwaffe angeführten Angriffe auf die Dschihadisten nicht weit genug. Gegegnüber der Nachrichtenagentur AFP forderte Nahsen die von den USA angeführte Militärallianz auf, den kurdischen Verteidigungseinheiten im Kampf gegen die vorrückende IS-Miliz „schwere Waffen, gepanzerte Fahrzeuge, Kanonen und Raketen“ zur Verfügung zu stellen. Außerdem müssten die Luftangriffe gegen den IS „wirksamer“ geführt werden.
Erste niederländische Kampfbomber über Irak
Seit Anfang August fliegt die US-Luftwaffe Angriffe auf IS-Stellungen im Irak, seit Ende September außerdem in Syrien. Unterstützt werden die USA dabei von Jordanien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Aus Europa erhält die Koalition außerdem militärische Unterstützung von Frankreich und Großbritannien.
Am Sonntag flogen erstmals auch niederländische Kampfbomber über dem Irak. Die F-16-Flugzeuge sollen Luftunterstützung für irakische und kurdische Bodentruppen leisten. Das australische Militär teilte am Montag mit, auch erste australische Kampfjets seien im Irak zum Einsatz gekommen. Luftangriffe gab es demnach aber noch nicht.
Kein schneller Einsatz der Türkei
Die türkische Regierung hatte den Kurden in Ain al-Arab zwar bereits vergangenen Woche ihre Unterstützung zugesagt. Einen schnellen Einsatz von Bodentruppen gegen die Terrormiliz IS in der umkämpften syrischen Stadt wollte Ankara am Montag aber nicht in Aussicht stellen. „Wir werden alles nur Mögliche unternehmen, um den Menschen in Kobane zu helfen“, sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu dem US-Sender CNN.
„Bodentruppen zu schicken ist aber natürlich eine andere Entscheidung.“ Wenn man in Ain al-Arab eingreife, müsse man in ganz Syrien intervenieren. „Wir arbeiten jetzt mit den Mitgliedern der Koalition daran, was als Nächstes gegen ISIS (IS) zu tun ist - nicht nur in Kobane.“
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