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Vorwürfe des Stimmenkaufs

In Bulgarien hat die bürgerliche Partei GERB die vorgezogene Parlamentswahl gewonnen, aber die absolute Mehrheit verfehlt. Für die bisher oppositionelle GERB von Ex-Regierungschef Boiko Borissow stimmten 32,5 Prozent der Wähler, teilte die Zentrale Wahlkommission (ZIK) am Montag nach Auszählung von gut drei Vierteln der abgegebenen Stimmen mit.

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Die Sozialistische Partei (BSP) kam mit weitem Abstand auf Platz zwei mit 15,3 Prozent. Die von der BSP unterstützte Regierung war im Juli nach Dauerprotesten und der sozialistischen Wahlniederlage bei der EU-Wahl zurückgetreten.

„Schwierige Phase für bulgarische Politik“

Die zuletzt mitregierende Türkenpartei DPS schnitt den Angaben zufolge mit 15,18 Prozent sehr gut ab. Die Parteien auf den Plätzen zwei und drei könnten noch ihre Plätze tauschen, wenn alle Stimmzettel ausgezählt sind. Der konservative Reformblock um Ex-EU-Kommissarin Meglena Kunewa zieht mit 8,5 Prozent erstmals ins Parlament ein.

Borissow sprach von einer schwierigen Phase für die bulgarische Politik. „In dieser Konstellation sehe ich nicht, wie eine Regierung gebildet werden könnte“, sagte er noch am Sonntagabend. Zugleich betonte er, er sei bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen, um eine Regierung auf die Beine zu stellen und Neuwahlen zu verhindern.

Vier Kleinparteien schaffen Sprung ins Parlament

Die Vierprozenthürde schafften laut den bisherigen Angaben noch vier kleine Parteien: die nationalistische Patriotische Front (7,3 Prozent), die populistische Partei Bulgarien ohne Zensur (5,5 Prozent), die nationalistische Ataka (4,6 Prozent) und die von den Sozialisten abgespaltene ABW (4,1 Prozent). Das amtliche Endergebnis dürfte sich verzögern. Die Auszählung ist kompliziert, weil viele Bulgaren im Ausland - vor allem in der Türkei und in den USA - gewählt haben.

Ebenso wie bei vergangenen Wahlen wurde auch diese Abstimmung von Hinweisen auf Stimmenkauf überschattet. Ärmere Bulgaren veräußerten laut einem Bericht des öffentlich-rechtlichen Radios ihre Stimme für 50 Lewa (rund 25 Euro). An der Wahl beteiligten sich auch Zehntausende Türken mit doppelter Staatsangehörigkeit, die vor der Wende von den bulgarischen Kommunisten in die Türkei vertrieben worden waren. Sie gaben ihre Stimme an ihren einstigen Wohnorten oder in der Türkei ab.

Streit über Budget löste Neuwahl aus

Die Parteien sind untereinander zerstritten. Das dürfte die Bildung der neuen Regierung zusätzlich erschweren. Es zeichnete sich ein zersplittertes Parlament ab. Das wegen eines Parteienstreits um die Aufstockung des Budgets 2014 gelähmte Parlament war im August vorzeitig aufgelöst worden. Nach dem Rücktritt der sozialistisch dominierten Regierung verzichteten alle Parteien auf die Bildung eines neuen Kabinetts.

Die zweite vorgezogene Parlamentswahl binnen 17 Monaten war von Schlüsselbedeutung für die wahlmüden Bulgaren. „Bulgarien braucht ein funktionierendes Parlament und eine Regierung - wir dürfen keine Zeit verlieren“, sagte Staatspräsident Rossen Plewneliew nach der Stimmabgabe in Sofia. Allerdings war die Wahlbeteiligung im Tagesverlauf sehr gering.

Land der Dauerkrise

Die Wahl im ärmsten EU-Mitgliedsland findet nach zwei Jahren politischer Instabilität und andauernder Wirtschaftskrise statt. Proteste gegen die Armut zwangen den bürgerlichen Ministerpräsidenten Borissow im Februar 2013 - wenige Monate vor Ablauf seiner Amtszeit - zum Rücktritt. Auch die nächste sozialliberale Regierung hielt dem Druck der Straße nicht stand.

Wenig überraschend erwarten daher laut Umfragen zwei Drittel der Bulgaren, dass die negative Entwicklung auch nach der Parlamentswahl anhalten wird. Zum ersten Mal seit dem Wirtschaftsdesaster von 1996/97 glauben mehr als die Hälfte der Bulgaren, dass das Land in tiefen Finanzschwierigkeiten steckt.

Das Problem mit dem Erdgas

Die künftige Regierung steht vor großen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, allen voran das Finanzdesaster um die pleitebedrohte Corporate Commercial Bank und die Ukraine-Krise, die nicht nur die Energieversorgung des Landes bedroht. Der Ukraine-Konflikt führte bereits zu sinkenden Ausfuhren Bulgariens in die Ukraine und nach Russland wegen der EU-Sanktionen gegen Moskau. Einreisebeschränkungen für russische Staatsbürger für die EU-Länder würden sich auf die für Bulgariens Wirtschaft wichtige Tourismusbranche verheerend auswirken, da die russischen Urlauber bisher einen der bedeutendsten Märkte ausmachten, hieß es weiter.

Sofia wegen „South Stream“ unter Druck

Weitaus negativer könnten die Folgen des Konflikts zwischen Kiew und Moskau für die Gasversorgung Bulgariens werden, denn knapp 90 Prozent des Erdgases liefert Russland über die Ukraine. Bulgarien kommt zudem beim Bau der Gaspipeline „South Stream“ unter dem Schwarzen Meer über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich eine Schlüsselbedeutung zu. Hier macht Moskau massiv Druck auf Sofia, nachdem die EU das Projekt gestoppt hat.

Plewneliew warf Moskau zuletzt vor, Sofia gegen die EU auszuspielen. So habe der staatliche Gasprom-Konzern dem bulgarischen Wirtschaftsministerium Anweisungen zur Formulierung bestimmter Gesetze im Energiebereich erteilen wollen, damit „South Stream“ europäisches Recht umgehen könne.

Seit über 14 Jahren drehen sich die bulgarischen Regierungen zwischen dem Westen und Russland. Einst wurde Bulgarien von Kritikern wegen der Moskau-Nähe der durch Proteste gestürzten Regierung als Trojanisches Pferd Russlands in der EU bezeichnet. Laut dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jose Manuel Durao Barroso gibt es in Bulgarien Personen, die Agenten Russlands sind, wie ihn die Website OpenDemocracy.net zitiert.

Politologe sieht Deal im Hintergrund

Trotz der zahlreichen existenziellen Probleme für Bulgariens Politik und Wirtschaft verlief der Wahlkampf auffallend ruhig. „Das ist ein sicherer Hinweis darauf, dass die Regierungskoalition nach den Wahlen bereits jetzt feststeht“, kommentierte der Politologe Jewgeni Dajnow diese Entwicklung noch vor der Wahl im bulgarischen Fernsehen. Das sei auch der Grund dafür, weshalb es keine Debatte der Spitzenkandidaten gab.

Darauf deutet auch ein Treffen des GERB-Vorsitzenden Borissow mit dem Chef der Türkenpartei DPS, Ljutwi Mestan, unmittelbar nach der Europawahl im Mai hin. Nach der erdrutschartigen Wahlniederlage der damals regierenden Sozialisten zog der Juniorpartner in der Regierung, DPS, seine Unterstützung für die Koalition zurück und machte den Weg für die vorgezogene Parlamentswahl frei - und hofft nun offenbar auf eine Koalition mit GERB.

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