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„Ältere sind realitätsnaher“

Auf dem Arbeitsmarkt hat es eine Gruppe derzeit besonders schwer: Personen über 50 Jahre. Bei Jobverlust finden sie nur schwer wieder eine Anstellung, gleichzeitig ist die Zeit bis zur Pensionierung noch lang. Doch die Generation der „Best Ager“ hat wenig Lust, zum alten Eisen zu gehören. Ein möglicher Ausweg ist der Sprung in die Selbstständigkeit.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die monatlichen AMS-Statistiken zeichnen an alarmierendes Bild: So wächst die Zahl der älteren Arbeitslosen über 50 Jahre stetig. Die Gründe sind vielfältig. Unternehmen bauen in Zeiten schwacher Konjunktur verstärkt Mitarbeiter ab, gleichzeitig werden die Hürden für eine Frühpension immer höher. Als Ausweg wählen immer mehr den Gang in die Selbstständigkeit. Ob freiwillig oder nicht - für Ältere ist der Gang in die Selbstständigkeit immer ein Wagnis. Dabei bieten sich gerade für sie viele Chancen.

„Dann kam das Gefühl ‚nicht mit mir‘“

Klaudia Quinesser hat den schwierigen Sprung gewagt. Nach 34 Jahren als Buchhandelsangestellte wurde sie im Vorjahr nach „Umstrukturierungen“, wie sie erzählt, als Filialleiterin entlassen. Zuerst sei sie in ein schwarzes Loch gefallen, aber dann „kam das Gefühl ‚nicht mit mir‘“, erzählt die Klagenfurterin gegenüber ORF.at. Schon länger hatte sie den Traum vom eigenen Geschäft im Hinterkopf, „aber im Angestelltenverhältnis traut man sich dann noch nicht“.

Porträt von Klaudia Quinesser

Klaudia Quinesser

Klaudia Quinesser

Nach langen Gesprächen im Freundeskreis wurde schließlich die Idee der Cookothek, einer Kochbuchhandlung mit integrierter Schauküche, geboren. In dem Elektrounternehmen Miele fand sie einen Partner, der nicht nur die Küchengeräte sponserte, sondern auch regelmäßig Veranstaltungen bei ihr bucht. Damit war der notwendige Polster da - die Umsetzung dauerte dann nur wenige Monate. Heute arbeitet Quinesser zwar mehr als in ihrem früheren Job, dafür ist die Freude an der Arbeit aber größer.

„Das wichtigste ist die Geschäftsidee“

„Bei einer Neugründung nach einem Arbeitsplatzverlust ist es naheliegend, berufliche Erfahrungen und Branchenkenntnisse zu verwerten“, erklärt Christian Wodon, Leiter des Gründerservice der Wirtschaftskammer Wien. Aber auch Hobbies oder Vereinstätigkeiten können der Weg zu einem neuen wirtschaftlichen Standbein sein. „Das wichtigste ist eine gute Geschäftsidee“, sagt Wodon im Gespräch mit ORF.at. „Wenn ich für eine Sache brenne und sie gerne mache, habe ich einen ganz anderen Motivationsschub.“

Doch mit der Idee alleine ist es oft nicht getan. So sei es für jemanden, der älter ist, auch wichtig zu begreifen, dass es nicht reiche, eine Sache gut zu mache, „man muss sich auch um vieles andere kümmern“, erklärt Wodon. So falle es Älteren oft schwerer, sich zu verkaufen, so der WKO-Experte. Jüngere hätten hier weniger Skrupel. Auf der anderen Seite müsse man den Älteren oft auch Ängste nehmen. Es gebe immer Dinge, die man nicht wisse oder die sich seit der eigenen Lehre geändert hätten, so Wodon. Aber das „sind alles Sachen, die man sich beibringen kann“.

Das tückische erste Jahr

Das erste Jahr als Selbstständiger war auch für Rainer Wiedemann ein Lernprozess. Der heute 57-Jährige gründete vor knapp vier Jahren die Beratungsfirma EnviroPlus für die Bereiche Umwelt, Energie und Wasserwirtschaft. Nach 30 Jahren Berufserfahrung, zuletzt in führender Position bei einem oberösterreichischen Energieunternehmer, wagte er den Sprung in die Selbstständigkeit, um einem eventuellen Jobverlust zuvorzukommen. Die größte Umstellung sei gewesen, plötzlich ohne die gewohnten Strukturen wie Sekretariat, Buchhaltung und Controlling auskommen zu müssen, erzählt Wiedemann gegenüber ORF.at.

Porträt von Rainer Wiedemann

Rainer Wiedemann

Rainer Wiedemann

„Im ersten Jahr musste ich lernen, wie die Administration läuft und ob der gesamte rechtliche Rahmen passt. Das hat mich schon einige lange Nächte gekostet“, so Wiedemann. Vieles sei ihm zwar bekannt gewesen, „aber dass man für alles zuständig ist, die Termine selbst koordiniert und die Buchhaltung kontrolliert, das war schon eine Herausforderung“. Heute ist Wiedemann froh, den Sprung gewagt zu haben. „Ich kann mir heute Themen aussuchen, in denen ich immer schon gerne gearbeitet hätte.“

Sein Arbeitspensum sei immer noch hoch, aber er könne sich seine Aktivitäten nun besser einteilen. Und an die Pension will der 57-Jährige noch gar nicht denken. „Ich hab mir einen Horizont von zehn Jahren gesetzt.“ Doch die Selbstständigkeit birgt auch Risiken. So sind längere Ausfälle durch Krankheiten kaum möglich. Das weiß auch Wiedemann: „Man muss bewusster auf sich achten und mehr auf die Gesundheit schauen.“

Andere Ansprüche als jüngere Gründer

Sowohl Wiedemann als auch Quinesser haben sich vor dem Gang in die Selbstständigkeit vom Gründerservice beraten lassen. Österreichweit gibt es 70 Stellen, die Hilfestellung bei steuerlichen, rechtlichen und gesetzlichen Fragen bieten. „Wir sind Wegweiser“, beschreibt Wodon die Aufgabe seiner Kollegen, „wir betreuen die Interessenten von der Idee bis zur Anmeldung. Wir grenzen Themen ein und ziehen unter Umständen auch Experten hinzu.“

Ältere Gründer brauchten teils eine andere Betreuung als jüngere, erzählt Wodon. „Je älter man wird, desto mehr Erfahrungen hat man gesammelt, hat Kanten abgestoßen und ist in vielen Dingen realitätsnaher“, charakterisiert Wodon die Altersgruppe 50 plus. Die Abgeklärtheit kann Vor-, aber auch Nachteile haben. „Ältere sind vorsichtiger und bereiten sich genauer auf die neue Situation vor, umgekehrt brauchen sie oft einen zusätzlichen Anstoß. Junge haben den Vorteil, dass sie sich einfach mehr zutrauen.“

„Warum tust du dir das noch an?“

Doch auch die Älteren werden mutiger. Während die Zahl der Unternehmensgründungen in der Gruppe der 30- bis 40-Jährigen sogar leicht rückläufig ist, stiegen die Neugründungen bei über 50-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren laut Statistik Austria von 2.278 auf über 3.400. Die wachsende Zahl an älteren Selbstständigen sei nicht nur auf den Arbeitsplatzdruck zurückzuführen, sondern auch das Ergebnis einer demographischen Verschiebung hin zu immer mehr älteren Menschen, erklärt Wodon.

„Warum tust du dir das in deinem Alter noch an?“ - Fragen wie diese hat Buchhändlerin Quinesser oft von Freunden und Bekannten gehört. „Für Ältere ist Arbeit aber ein wesentlicher Bestandteil ihres Selbstwertgefühls und ihrer Wertigkeit“, erklärt Wodon. Zudem ist der Ruhestand angesichts magerer Pensionszahlungen nicht mehr so verlockend wie früher. „Aber auch aus persönlichen Gründen wird die Arbeitswelt oft umstrukturiert - Stichwort Burn-out“, erzählt Wodon aus seiner Praxis.

„Andere Art, das Leben zu gestalten“

Ältere Personen, die eine Wohnung und keine Verpflichtungen Kindern gegenüber mehr hätten, weil diese ihre Ausbildung abgeschlossen hätten, gäben sich oft auch mit etwas weniger zufrieden, sagt Wodon. Dann wird nur noch an drei oder vier Tagen in der Woche gearbeitet, das aber zu den eigenen Konditionen und nach den eigenen Wünschen. „Es gibt eine wachsende Zahl an Gründern, die eine andere Art und Weise suchen, wie sie ihr Leben gestalten können.“

Über die Erfolgschancen spricht Wodon nicht gerne - auch weil die Zahlen wenig aussagekräftig seien. Laut Statistik gründet ein Drittel aller Personen, die vom Gründerservice beraten wurden, innerhalb eines Jahres. Ob erfolgreich oder erfolgslos, darüber liegen dem Gründerservice keine Zahlen vor. Ein Patentrezept für Erfolg gebe es nicht, so Wodon, dafür viele Überraschungen. „Einem Interessenten, der neben einem Merkur-Markt ein Gemüsegeschäft aufmachen wollte, haben alle abgeraten“, erzählt Wodon. Das Geschäft läuft heute glänzend.

Gabi Greiner, ORF.at

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