Schauen, „was geht“
Zehn Tage lang lädt die Vienna Design Week Interessierte dazu ein, Vorurteile über Design über Bord zu werfen. Von Kunstpositionen bis hin zu alten Menschen, die ihr Wissen über Handwerk weitergeben, reicht die Bandbreite: Design zum Riechen, Angreifen und Spüren.
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Festivalleiterin Lilli Hollein verfolgt seit den 90er Jahren in den unterschiedlichsten Funktionen das Ziel, Design neben dem akademischen Kunstdiskurs auch für eine breitere Zielgruppe sichtbar und begreifbar zu machen. Wechselwirkungen wäre ein Stichwort, Vielfalt ein weiteres. Heuer dient das Palais Schwarzenberg, sonst für die Öffentlichkeit geschlossen und schon für sich genommen unbedingt einen Besuch wert, als Kulisse für die Präsentation zahlreicher Projekte.

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Österreichisch-asiatische Koproduktion aus Rinderblasen: ein Rettungsring, der (vielleicht) vor dem sagenhaften „Wassermännchen in der Wien“ schützt
Schön sein auf YouTube
Raus in die Welt und rein in die Stadt. Die Welt, das sind zum Beispiel Designer aus Asien, die gemeinsam mit heimischen Kollegen (Verein Dunbar’s Number) in verschiedenen Objekten Sagen aus ihren Herkunftsländern und solche aus Wien visualisieren. Bestechend sind etwa eine Skulptur aus Rinderblasen zur Sage „Das Wassermännchen in der Wien“ und eine Spiegelanordnung zum Basilisken, wo man sich selbst genau in der Perspektive sieht, aus der man auf YouTube am besten aussieht. Es ist ein interkulturelles Spiel mit kulturellen Symbolen, bei dem nicht zuletzt die Vergangenheit mit der Gegenwart kommuniziert.

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„Soundweaving“: Stickmuster als Lochkarten für Drehorgeln - von Zsanett Szirmay
Ein weiterer Schwerpunkt ist Ungarn, für Hollein in vielerlei Hinsicht spannend. Erstens ist Ungarn wie Österreich ein Land, das nicht unbedingt als Designnation wahrgenommen wird - wo sich also vieles noch entdecken lässt. Und zweitens war der Blick Richtung Osten immer ein Anliegen des Festivals. Besonders ins Auge fällt die umfangreiche und arbeitsintensive Installation von Zsanett Szirmay. Sie hat Stickmuster auf Stoffen ausgeführt und dieselben Muster mittels Lochkarten in Drehorgeln zum Klingen gebracht. Multimedial und historisch zugleich, denn solche Lochkarten für Webmaschinen gelten als Vorläufer der ersten Computer.
Der Geruch alten Handwerks
Rein in die Stadt zu gehen - das ermöglichen Social-Design-Projekte und Passionswege. Letztere führen in alte Manufakturen, die von der Design Week mit jungen Designern für gemeinsame Arbeiten zusammengebracht werden. Hollein erzählt, dass viele solcher Kooperationen der vergangenen Jahre über das Festival hinaus gehalten hätten, weil beide Seiten profitieren können. Außerdem profitieren Wiener, die plötzlich Handwerker samt ihren Werkstätten aus der Umgebung kennenlernen und Touristen, die so ein ganz anderes Wien zu sehen bekommen.

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Die Werkstatt der Polsterei Stani im dritten Bezirk
Eine Station ist die Polsterei vom Herrn Stani. Herr Stani ist eine gepflegte Erscheinung. Im Kaschmirpulli und mit Designerbrille führt er stolz durch sein Imperium, das aus einem Verkaufsraum, einem Schauraum, einem Lager, zwei Polsterwerkstätten und einer Schneiderei besteht, allesamt kleine, ebenerdige Zimmer. Es riecht nach Naturmaterialien, nach Kokosfasern und nach Holz. Zwei Arbeiter sind konzentriert am Werk. Sofas, Fauteuils, Stühle, Vorhänge und eigentlich auch alles andere Mögliche wird renoviert oder erneuert.
Alles ist möglich - wenn man es kann
Das „alles Mögliche“ war es auch, was die beiden jungen Designer Magdalena-Theresa Akantisz und Peter Mahlknecht (die gemeinsam als mathak+mahlknecht auftreten) am meisten faszinierte. Sie wohnen beide im dritten Bezirk, haben die Polsterei immer wieder interessiert beäugt und schließlich der Design Week die Kooperation vorgeschlagen. Mehrere Entwürfe legten sie Stani vor, um zu schauen, „was geht“. Stani wiederholt seine Antwort von damals im Brustton der Überzeugung: „Alles geht.“
Und zwar dann, wenn man ein guter Handwerker ist, ordentliches Werkzeug hat und über ein Geheimwissen verfügt, das mit Geld nicht zu bezahlen ist: eine über die Jahrzehnte angehäufte Expertise, welche Materialien man von wo beziehen kann, um nicht mit dem Standardzeug aus dem Baumarkt arbeiten zu müssen, das einfach oft nicht perfekt passt und zu faulen Kompromissen zwingt. Kompromisse ist Stani auch bei der Umsetzung der Liegelandschaft der Designer nicht eingegangen.
Tetris-Landschaft zum Kuscheln
Der Clou: Lauter kleine Matratzenteile können mit wenigen Handgriffen Tetris-artig so zusammengesetzt werden, wie man es gerade haben möchte. Vom Doppelbett bis hin zu vier einzelnen Chaiselongues ist alles möglich, wie man es gerade braucht. Nichts rutscht herum, dafür sorgt ein ausgeklügelter Unterboden. Selbst hätten sie das nie auch nur annähernd so umsetzen können, sagen Mathak und Mahlknecht. Sie sind regelrecht enthusiastisch, wenn sie erzählen, wie komplex die Pölsterchen aufgebaut sind. Stani hört zu und strahlt.

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Koproduktion: alte Manufaktur, junge Designer - Wohnlandschaft als Puzzlespiel
Lernen von alten Meistern
Aber nicht nur kleine Geschäfte lassen sich entdecken, es sind auch die Nachbarn von der Wohnung nebenan, über deren Wissen und Kunstfertigkeit gestaunt werden darf. Im Rahmen des Social Design Schwerpunkts der Design Week hat Andreas Pohancenik (P + T Practice and Theory) mit seinem Team Pensionisten aufgetrieben, die Meister ihrer Profession sind und in Workshops Tipps und Tricks fürs Heimwerken und Kunstschaffen geben.

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Rudolf Rieder in der Werkstatt für Social Design: Er gibt sein Wissen weiter
Einer von ihnen ist Rudolf Rieder. 30 Jahre lang hat er mit seiner Frau in Johannesburg eine Werkstatt für die Herstellung von Kerzen geführt. Er bietet sein Wissen kostenlos an und lässt sich nebenbei nicht lange bitten, über ein langes Leben mit vielen Hochs und Tiefs zu erzählen. Aber es ist nur einer der gewinnbringenden Aspekte des Projekts, dass Jung und Alt zusammenkommen und Pensionisten sich mit all ihrer Erfahrung respektiert und gebraucht fühlen.
Pensionistenschule für Hipster
Denn vieles werde heute mit computerbasierten Spezialmaschinen produziert, zu denen man keinen Zugang habe, so Pohancenik, ganz zu schweigen von den benötigten Kenntnissen. Die Alten jedoch wüssten noch, wie man mit wenig Werkzeug und ein paar Tipps und Tricks einfache Alltags- und Kunstgegenstände herstellen könne. Jungen Hipstern und mittelalten Bürgerlichen, die dem (wieder einmal) neuen Trend zum „Do it yourself“ folgen, sei die Teilnahme an den Workshops für Buchbinden, Kunstschmiedearbeiten, Kerzenherstellung und einiges mehr ans Herz gelegt.

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Lilli Hollein im Gespräch mit ORF.at
Design abseits von Lifestyle-Schnöseligkeit
„Glücksspendend“ nennt Hollein ihr Konzept des Zusammenführens von Designern, Handwerkern und neugierigen Menschen. Sie selbst ist beglückt über das Palais Schwarzenberg, etwa über einen wiederentdeckten Salon aus den 80ern, von dem nicht einmal der Architekt Hermann Czech wusste, dass er noch existiert. Nun werden dort Kunstwerke von Heinz Frank gezeigt. Viel Mühe hat es gekostet, das Palais als Festivalzentrum zu adaptieren - teilweise ohne Strom und Wasser, von administrativen Hürden ganz zu schweigen.
Das Projekt, Design lustvoll und ohne Lifestyle-Schnöseligkeit zu präsentieren, kann als gelungen gelten. Nur einzelne Exponate führen vor, was ein Designfestival im schlimmeren Fall sein könnte, etwa ein für Ronnie Leitgeb von Promi-Hemdenmacher Gino Venturini entworfenes Frackhemd mit angenähter Weste, damit nichts mehr verrutscht. Wie praktisch. Luxusproblem gelöst. Man freut sich für die beiden. Wirklich freuen kann man sich während der zehntägigen Design Week hingegen über zahlreiche Orte mit Atmosphäre, befruchtende Begegnungen und spannendes Design.
Simon Hadler, ORF.at
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