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USA: Ursache für verschärfte Sicherheit

Die mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbundene Extremistengruppe Chorasan hat laut US-Angaben „größere Angriffe“ auf Ziele in Europa und den Vereinigten Staaten geplant. Die dschihadistische Gruppierung sei „in der letzten Vorbereitungsphase“ für Anschläge gegen „westliche Ziele und möglicherweise auf amerikanischem Boden“ gewesen, sagte General William Mayville vom US-Generalstab am Dienstag.

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Chorasan sei kurz vor der Ausführung solcher Angriffe in Europa oder den USA gewesen. Nach Angaben von US-Justizminister Eric Holder beobachteten US-Geheimdienste Chorasan seit etwa zwei Jahren. Die Aktivitäten der Gruppierung seien auch die Ursache für die Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen auf Flughäfen in Europa und in Nahost für Flüge in die USA im Juli gewesen, sagte Holder gegenüber Yahoo News. Die Angriffe mit Tomahawk-Marschflugkörpern am Dienstag auf Ziele in Syrien richteten sich laut Mayville mehrheitlich gegen Chorasan-Stellungen. 50 ihrer Kämpfer sollen dabei laut Pentagon-Angaben getötet worden sein.

Grafik von Syrien und Irak

APA/ORF.at

Experte: Derzeit gefährlichster Gegner für USA

Chorasan ist ein Ableger der Al-Nusra-Front in Syrien. Al-Nusra wiederum ist der Al-Kaida-Ableger in dem Bürgerkriegsland. Die am Dienstag gestarteten Angriffe der US-geführten Koalition gegen Dschihadistenmilizen in Syrien galten vor allem der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), acht Luftangriffe wurden laut Pentagon allerdings auch gegen die als besonders radikal geltenden Chorasan-Kämpfer geflogen.

Raketenabschuss

APA/AP/US Navy/Eric Garst

Der Abschuss einer Tomahawk-Rakete von der „USS Philippine Sea“

Anführer getötet?

Der deutsche Nahost-Experte Günter Meyer von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz hält Chorasan für den derzeit gefährlichsten Gegner der USA. Die Gruppe verfolge die Zielsetzung Al-Kaidas, vor allem die „ungläubigen Staaten im Westen“ mit spektakulären Aktionen anzugreifen, sagte der Leiter des Mainzer Zentrums für Forschung zur arabischen Welt am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur. Im Unterschied zu Chorasan versuche der IS eher, Ziele in der Nähe zu erreichen und seinen Herrschaftsbereich in der Region auszuweiten. Als Chorasan-Anführer gilt bzw. galt Muhsin al-Fadli, die USA glauben mittlerweile jedoch, ihn im Zuge eines Luftangriffs getötet zu haben.

Al-Kaida-Veteranen aus verschiedenen Ländern

Fadli galt als einer der engsten Vertrauten des getöteten Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden. Er stammt aus Kuwait und hielt sich lange im Iran auf, wo er Gelder für die Dschihadisten sammelte. Angeblich war er in Syrien der persönliche Vertreter von Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri. Laut den US-Behörden gehörte er zu dem kleinen Kreis von Al-Kaida-Mitgliedern, die vorab über die Planung der Anschläge vom 11. September 2001 Bescheid wussten. Laut „New York Times“ hat die Gruppe nicht mehr als 100 Mitglieder. Zu Chorasan gehören Al-Kaida-Veteranen. Sie stammen offenbar aus Pakistan, Afghanistan, Nordafrika und dem Jemen und kamen im vergangenen Jahr auf Befehl von Sawahiri nach Syrien.

Obama kündigt Fortsetzung des Kampfes gegen IS an

US-Präsident Barack Obama hat unterdessen eine Fortsetzung des Kampfes gegen IS im Irak und in Syrien angekündigt. Der militärische Druck werde aufrechterhalten, sagte Obama in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung am Mittwoch in New York. Der IS müsse vernichtet werden, sagte er und rief alle Staaten auf, sich an diesem Kampf zu beteiligen. Die IS-Kämpfer sollten die Miliz verlassen, solange das noch möglich sei.

Zerstörtes Gebäude in Syrien unmittelbar nach einem US-Lugftangriff

APA/AP/US Central Command

Ein Gebäude in Tel al-Kitar in Syrien wird bei einem US-Luftschlag zerstört

USA: Irak bat um Attacken in Syrien

Die Angriffe auf IS in Syrien erfolgen laut US-Angaben auf Wunsch des Irak. „Die irakische Regierung hat die USA gebeten, internationale Maßnahmen anzuführen, um Stellungen und militärische Hochburgen des IS in Syrien anzugreifen“, schrieben die USA am Dienstag in einem nun veröffentlichten Brief an UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon.

Der Irak habe um den Schutz seiner Bürger gebeten und um Hilfe bei der Sicherung seiner Grenzen. Das Schreiben, unterzeichnet von der US-Botschafterin bei der UNO, Samantha Power, soll erklären, warum der Militäreinsatz der USA und ihrer arabischen Verbündeten von der UNO-Charta gedeckt ist. Demnach sei der IS nicht nur für den Irak, sondern für die USA und die Alliierten in der Region eine Bedrohung. Die IS-Miliz nutze Syrien als sicheren Rückzugsraum, von dem aus es Angriffe im Irak vorbereite. Der Artikel 51 der UNO-Charta besage, dass angegriffene Mitglieder das Recht auf individuelle oder gemeinsame Selbstverteidigung hätten.

Türkei dementiert Intervention

Die Luftangriffe gegen IS-Ziele im Norden Syriens werden offenbar auch tagsüber fortgesetzt. Nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden am Mittwoch Ziele nahe der Stadt Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) an der türkischen Grenze angegriffen. Die Kampfflugzeuge hätten die Ziele aus Richtung Türkei angesteuert, es habe sich nicht um syrische Maschinen gehandelt. Weitere Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt.

Die Beobachtungsstelle für Menschenrechte bezieht ihre Informationen aus einem Netzwerk von Aktivisten und Ärzten in Syrien, ihre Angaben sind aufgrund der unsicheren Lage in dem Land von unabhängiger Seite kaum überprüfbar. Türkische Regierungsvertreter erklärten, dass keine Flugzeuge vom US-Stützpunkt Incirlik im Süden des Landes an den Angriffe gegen IS-Stellungen in Nordsyrien beteiligt gewesen seien. Auch sei bei den Angriffen der türkische Luftraum nicht durchflogen worden.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan schloss unterdessen eine militärische Unterstützung seines Landes im Kampf gegen IS nicht mehr aus. Vor seiner Rede bei der UNO-Generalversammlung am Mittwoch in New York sagte Erdogan vor Reportern, nach seiner Rückkehr nach Ankara werde er mit der Regierung beraten, wie die Türkei das internationale Vorgehen gegen IS unterstützen könne. Auf die Frage eines Journalisten, ob die Unterstützung auch militärischer Art sein könnte, sagte Erdogan: „Es beinhaltet alle Arten, militärisch, politisch, alles.“ Bisher hatte die Türkei nur humanitäre Hilfe zugesagt.

IS rückt weiter auf Ain al-Arab vor

Unterdessen rückten Kämpfer des IS weiter auf Ain al-Arab vor. Die Extremistenmiliz habe nach den Luftangriffen auf IS-Ziele im syrischen Kurdengebiet zusätzliche Kämpfer und Panzer in die Vororte der Stadt an der türkischen Grenze verlegt, sagte ein Kommandeur der Kurdenmiliz.

Das US-Militär flog in der Nacht auf Mittwoch in Syrien erneut Angriffe. Es seien zwei Stellungen der Extremisten südwestlich von Deir al-Sor bombardiert worden, teilte das US-Zentralkommando in Tampa in Florida am Dienstagabend (Ortszeit) mit. Auch im Irak gab es einen weiteren US-Angriff, der nordwestlich der Hauptstadt Bagdad erfolgt sei. Die USA hatten in der Nacht auf Dienstag gemeinsam mit fünf arabischen Verbündeten erstmals ihre Angriffe auf den IS vom Irak auf Syrien ausgeweitet. Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden dabei 70 IS-Extremisten getötet.

Pentagon: IS zerstören

Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, schwor die USA auf einen umfassenden Krieg aus der Luft gegen die Terrormiliz ein. „Die Angriffe waren erst der Anfang“, so Kirby über die Luftattacken am Montag. Angriffe wie dieser „können in Zukunft erwartet werden“, sagte auch Generalleutnant William Mayville. Der genaue Zeitpunkt dafür werde von den „Fakten auf dem Boden“ bestimmt. Die Luftschläge seien Teil einer „wirksamen, längerfristigen Kampagne“, um den IS zu schwächen und „am Ende zu zerstören“, hieß es aus dem Pentagon weiter.

„Nachbar in Not“-Hilfsaktion

Angesichts des menschlichen Elends im Krisengebiet haben der ORF und „Nachbar in Not“ eine Hilfsaktion für die Flüchtlinge in der Region gestartet. Spenden sind online und auf das Erste-Bank-Konto mit dem IBAN AT05 20111 40040044000 möglich.

Der Iran übte unterdessen vorsichtige Kritik an den US-Luftangriffen. Ohne UNO-Mandat oder eine offizielle Anfrage der syrischen Regierung habe der Militäreinsatz keine rechtliche Basis, sagte Präsident Hassan Rouhani am Dienstag in New York. Weder verurteilte er die Angriffe gegen den IS allerdings explizit noch hieß er sie gut.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unter Berufung auf einen hochrangigen iranischen Regierungsvertreter, dass die USA den Iran vorher über die Ausweitung der Luftangriffe auf Syrien informiert hätten. Der Iran ist der wichtigste regionale Verbündete von Syriens Präsident Baschar al-Assad.

Rouhani verknüpft Hilfe mit Atomstreit

Rouhani knüpfte eine strategische Zusammenarbeit mit dem Westen im Kampf gegen IS an eine Einigung im Atomstreit. Das wäre für beide Seiten von Vorteil, sagte Rouhani laut iranischen Angaben in einem Gespräch mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande am Rande der UNO-Vollversammlung in New York.

Der Westen solle nicht ignorieren, dass der Iran in der Region über großen Einfluss verfüge, sagte Rouhani nach Angaben der Nachrichtenagentur ISNA vom Mittwoch. Für beide Seiten wäre es von großem Nutzen, eine neue Vertrauensbasis aufzubauen. „Die Atomverhandlungen in New York sind daher von großer Bedeutung, um dieses Ziel zu erreichen“, sagte der iranische Präsident. Der Iran und die fünf UNO-Vetomächte sowie Deutschland verhandeln derzeit über Teherans umstrittenes Atomprogramm. Beide Seiten wollen bis zum 24. November zu einer Einigung kommen.

Verbündete Rebellen kritisieren US-Angriffe

Eine von den USA unterstützte syrische Rebellengruppe kritisierte dagegen am Dienstag die US-Luftangriffe scharf. Die Angriffe seien „eine Attacke auf die nationale Souveränität und untergraben die syrische Revolution“, erklärte die Hasm-Bewegung im Kurznachrichtendienst Twitter. „Der einzige Nutznießer der ausländischen Einmischung ist das Regime“ von Assad, zumal Washington keine Strategie für dessen Absetzung habe.

Die Hasm-Bewegung gehört zu einer Handvoll Rebellengruppen, die laut Medienberichten bereits von den USA mit Waffen beliefert worden sind. US-Außenminister John Kerry stellte ihr überdies in der vergangenen Woche in Aussicht, offiziell mit Waffen und Ausbildung unterstützt zu werden, um die Dschihadistenmiliz IS zu bekämpfen. Die syrische Exil-Opposition hatte die Angriffe am Dienstag begrüßt. Die Weltgemeinschaft sei damit „in unseren Kampf gegen IS eingetreten“, teilte die Syrische Nationale Koalition am Dienstag mit.

Belgien will sich mit sechs Jets an Allianz beteiligen

Unterdessen ist die belgische Regierung bereit, sich mit sechs F-16-Kampfjets an der Anti-IS-Allianz zu beteiligen. Das teilte der belgische Verteidigungsminister Pieter de Crem laut belgischen Medienberichten am Mittwoch in Brüssel mit. Offen ist nach Angaben von Premier Elio di Rupo noch, ob sich Belgien auch an Luftschlägen in Syrien oder im Irak beteiligen wird.

Die USA hätten Belgien um die Entsendung der Kampfflugzeuge gebeten, sagte Di Rupo in New York. Das belgische Parlament muss die Entsendung noch offiziell absegnen, was noch am Donnerstag oder Freitag geschehen könnte. Zusätzlich zu den Kampfjets will das Land rund 120 Piloten und militärisches Personal und Transportflugzeuge entsenden. Weiters werden auch die Niederlande sechs F-16-Jets entsenden.

Britisches Parlament berät über Luftschläge

Großbritanniens Parlament berät am Freitag über eine Beteiligung an den Luftangriffen gegen den IS im Irak. Er habe die Sitzung einberufen, damit das Parlament über die Bitte der irakischen Regierung um Hilfe debattiere und über Luftangriffe entscheide, sagte Premier David Cameron.

Eine Abstimmungsniederlage wie im vergangenen Jahr, als es um de Beteiligung an möglichen US-Luftschlägen gegen das Assad-Regime in Syrien ging, will Cameron vermeiden. Er sei zuversichtlich, die Zustimmung aller Parteien zu bekommen, sagte er. Die Angriffe würden sich in diesem Fall auf Gebiete im Irak beschränken.

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