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Das Sexleben des Lagerpersonals

Die Frage, ob man über irgendeinen Aspekt des Holocaust lachen darf, ist schon oft diskutiert worden. Ein Argument lautete stets: Die Täter der Lächerlichkeit preiszugeben sei legitim und ein probates Mittel im Kampf gegen Faschismus. Der britische Autor Martin Amis ging mit „The Zone of Interest“ aber einen Schritt weiter.

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Man hat mit Charlie Chaplin („Der große Diktator“, 1940), Ernst Lubitsch („Sein oder Nichtsein“, 1942), Mel Brooks („Frühling für Hitler“, 1968), Dani Levy (Helge Schneider in „Mein Führer“, 2007) und Quentin Tarantino („Inglourious Basterds“, 2009) über Hitler gelacht, und Romane aus der Egoperspektive von Nazi-Schergen kennt man ebenfalls, etwa Edgar Hilsenraths „Der Nazi und der Friseur“ (1977) und Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“ (2006). Und selbst Martin Amis hat schon einmal über den Schauplatz seines neuen Romans geschrieben, das „Kat Zet 1“, unschwer zu erkennen als Auschwitz.

Damals schrieb er chronologisch rückwärts schreitend die Biografie eines ehemaligen KZ-Arztes. Diesmal spielt sich der ganze Roman auf dem Areal des Konzentrationslagers ab und wird abwechselnd aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Das Personal: der Lagerleiter, seine sexy Ehefrau, ein untergeordneter Nazi und schließlich einer jener Juden, die gezwungen wurden, am Massenmord gegen ihre Mithäftlinge mitzuwirken.

Das Morden als lästiger Job

Es ist die von Hannah Arendt beschriebene „Banalität des Bösen“, die Amis einmal mehr entlarven will, wie er sinngemäß in Interviews und in einer Art „Nachwort“ zum Buch erklärt. Das anstrengende bis kümmerliche Sexleben des Lagerpersonals steht im Vordergrund, die Administration des Massenmordes ist nur ein lästiger Job, den man nebenbei erledigen muss.

Amis ist im englischen Sprachraum bekannter als hierzulande, sein Buch verkauft sich gut in den USA und in Großbritannien, wo es vor kurzem erschienen ist. Die Rezensenten nahmen „The Zone of Interest“ dort tendenziell wohlwollend auf. Der Autor hat trotz seiner 65 Jahre den Status eines Enfant terrible. Man bewertet das Buch im Zusammenhang seines Gesamtwerkes. Hart, typisch Amis, knapp an der Geschmacklosigkeit schrammend, aber entlarvend sei es.

Es gab aber auch Kritik, etwa von Joyce Carol Oates im „New Yorker“. Sie stößt sich an Inkonsistenzen. Die Deutschen reden miteinander auf Englisch - plötzlich gibt es deutsche Einsprengsel. Das ist unlogisch. Deutsche reden entweder Deutsch miteinander - oder in der englischen Übersetzung komplett Englisch. Aber wie sollten Deutsche einzelne Begriffe aus dem Deutschen in ihr Deutsch einstreuen? Und sie nennt das ganze satirische Unterfangen „riskant“.

Verlage verweigern sich

Oates würdigt Amis’ anekdotisches Erzählen, seinen schwarzen Humor und die Doppelung des Obszönen - indem er obszön über Obszönes schreibt. Aber gleichzeitig sei er zu human im Umgang mit den Nazis. Es stelle sich irgendwann eine Gleichgültigkeit angesichts der repetitiven Obszönität ein, die der Gleichgültigkeit der Protagonisten ähnlich ist. Schließlich könne man sich geradezu mit den Schergen identifizieren. Genau an diesem Punkt haken Verlage in Deutschland und Frankreich ein.

Der Hanser Verlag, in dem Amis’ Bücher sonst auf Deutsch erscheinen, zieht sich genauso wie Gallimard in Frankreich auf den Standpunkt zurück, das Buch sei schlicht nicht gut geschrieben. Die „New York Times“ sieht einen anderen Grund: Das Buch sei für Festlandeuropa zu riskant, angesichts des wiedererstarkten Rechtsextremismus wolle niemand das Wagnis eingehen, ein umstrittenes Buch mit Nazi-Thema zu veröffentlichen.

Am Thema „verhoben“?

Das deutschsprachige Feuilleton liefert Schützenhilfe für die Verlage. Die „Neue Zürcher Zeitung“ etwa wundert sich, dass im englischsprachigen Raum ausgerechnet dieses Buch von Amis gelobt worden war, wo der Autor doch in den letzten Jahren etwas in Ungnade gefallen war, weil er sich nicht nur in seinen Büchern flapsig und zänkisch gibt, sondern auch auf dem heiklen Parkett des Kulturbetriebs. Gerade diesmal habe sich Amis am Nazi-Thema „verhoben“.

Dass sich, angesichts der regen Debatte, ein Verlagshaus in Deutschland finden wird, das den Roman verlegt, darf angenommen werden - irgendjemand wird an der Aufregung verdienen wollen. In Frankreich hat bereits ein kleinerer Verlag angebissen. Die Diskussion dürfte also weitergehen, wenn die Übersetzungen vorliegen und das Buch den Marktmechanismen in Frankreich und im deutschen Sprachraum ausgesetzt ist. Hierzulande sollte zumindest das Problem mit den deutschen Einsprengseln nicht zum Tragen kommen.

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