Panflöten machen sich bezahlt
Manche halten „Opus No. 1“ für das wichtigste Musikstück des 21. Jahrhunderts. Demnach ist jeder heute komponierte Ton davon beeinflusst, zumindest unbewusst. Tatsächlich haben Milliarden Menschen das Stück gehört. Trotzdem kennt es niemand. Bis jetzt. Dank einer Journalistin ist nun die Geschichte der meistgehörten Warteschleifenmusik der Welt bekannt - und die obskure Welt der ganzen Branche mit dazu.
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Alles begann mit der Obsession des Schwiegervaters von Sara Corbett. Er rief seit Jahren beim örtlichen Spital an und bat darum, in der Warteschleife bleiben zu dürfen, damit er „dieses eine“ Musikstück hören kann. Sara Corbett ist Redakteurin beim öffentlich-rechtlichen US-Radio und wollte ihn mit einer CD von der Aufnahme erlösen. Das gelang ihr nur auf Umwegen. Am Ende stand sie jedoch mit einer Radioreportage für „This American Life“ da, die in den ganzen USA Wellen schlug und die Warteschleife landesweit zum Medienthema machte.
„Süchtig“ nach 80er-Synthie-Sounds
Corbetts Recherche erwies sich als schwierig. Zwar wurde schon bald klar, dass ihr Schwiegervater mit seinem Faible für das „Opus“ nicht allein war. Überall im Internet waren Kommentare zu den „hypnotischen“, „süchtig machenden“ und „beruhigenden“ 80er-Jahre-Sounds verstreut, echolastiges Händeklatschen und „Synth-Bells“-Klänge inklusive. Trotzdem wusste niemand, woher die Musik kam: Vor allem in kleineren Firmen und öffentlichen Einrichtungen war sie zu hören - und niemand hatte sie je dort in die Telefonanlagen eingespielt.
Die Fäden liefen schließlich bei Cisco zusammen. Alle Telefonanlagen, auf denen das Stück zu hören war, stammten von dem US-Telekomausrüster. Doch auch dort wusste niemand recht, woher das Lied kam. IP-Telefonie ist bei Cisco nur ein Randaspekt des Geschäfts. Vor allem macht die Firma mit Routern und Switches ihr Geld und spielt dabei eine ebenso dominierende wie umstrittene Rolle - Stichwort NSA-Abhörskandal. Am Anfang, Ende der 80er Jahre, war die Firma noch eine Nebenbeschäftigung von IT-Nerds, manche davon mit Synthesizern.
Komponist ist Zwangsbeglückung „peinlich“
Einer dieser Nerds war Darrick Deel, der noch heute für Cisco arbeitet. Gemeinsam mit seinem Freund Tim Carleton bastelte er damals hobbymäßig auf vier Tonbandspuren Musik, darunter auch im Jahr 1989 das 5:40 Minuten lange „Opus“. Irgendwann kurz darauf erzählte Deel seinem Freund, dass Cisco eine vorinstallierte Musikschleife für seine Telefone suche und es doch „cool“ wäre, wenn eines von ihren Stücken ausgewählt würde. Carleton stimmte zu. Bis heute ist das Musikstück auf jeder der weltweit 65 Millionen Cisco-Anlagen vorinstalliert.
Carleton hat „nicht einen Penny“ für das Musikstück bekommen, wie er der Journalistin Corbett schließlich erklärte. Auch sonst habe es ihm „nichts“ gebracht. Nicht einmal zum Flirten in Bars tauge der Satz „Ich habe die Warteschleifenmusik für eine Menge Firmen geschrieben“. Vielmehr sei es ihm „peinlich“, dass Millionen Menschen mit seiner Musik zwangsbeglückt würden. Das sei „nicht wirklich etwas, mit dem man angeben kann“. Diese Einschätzung teilt Carleton, der heute keine Musik mehr macht, mit den meisten anderen in der Branche.
Leise rieselt die Schleife
Das Geschäft mit Warteschleifenmusik ist wenig glamourös. Einzelne Musiker auf der Suche nach einem Einkommen mischen ebenso mit wie große Firmen. Eines eint sie alle: Zu verdienen gibt es - notabene in Zeiten unbegrenzt verfügbarer Gratis-Musik - nicht viel. Die Komponisten werden mit geringen Pauschalbeträgen abgespeist, auch wenn die Musik wie in Carletons Fall millionenfach über Jahrzehnte hinweg verwendet wird. Auf Gegenliebe bei den Zuhörern braucht man ohnehin nicht zu hoffen.
Laut immer wieder bestätigten Umfrageergebnissen - erst Mitte September einmal mehr für Österreich - gehört Warteschleifenmusik für alle Telefonierenden zu den entnervendsten Erfahrungen überhaupt. Umgekehrt bestätigen Studien der Wirtschaft ein ums andere Mal, dass die musikalische Zwangsbeglückung funktioniere und „‚Silent Hold‘ der kommerzielle Tod“ sei, wie das Webmagazin Slate im September schrieb. 70 Prozent aller Anrufer hängen demnach innerhalb einer Minute auf, wenn sie nicht irgendwie berieselt werden.
Profitables Fegefeuer
Slate zitiert auch eine Untersuchung des „Journal of Retailing“, wonach „Musik die negativen Aspekte des Wartens reduziert, da sie die Aufmerksamkeit vom Verstreichen der Zeit ablenkt“. Eine weitere Studie belegt demnach, dass auch Anrufer, die von Warteschleifen genervt sind, das gebotene Service am Ende trotzdem besser bewerten als jene, die ohne Berieselung auf Antwort warten mussten. Und schließlich gibt es sogar musikpsychologische Belege dafür, dass Warteschleifenmusik so beliebig sein muss, wie sie es meistens ist.
Dabei wurden Anrufer in drei verschiedene Warteschleifen geschickt: Die erste war eine gesprochene Ansage, bei der die Probanden nach kurzer Zeit aufhängten. Nummer zwei war eine Auswahl von Beatles-Songs und Nummer drei Panflöten-Coverversionen derselben Songs. Gemäß der These über die Warteschleife als „Fegefeuer des 21. Jahrhunderts“ (Slate) hielten die Panflöten die Anrufer am längsten bei der Stange, weil das „offenbar eher im Einklang mit der Erwartungshaltung der Hörer im Hinblick auf typische Warteschleifenmusik stand“.
Alles begann mit einem kaputten Kabel
Die beliebige Berieselung stand auch am Anfang aller Warteschleifenmusik. Und das durch eine Panne: Es war im Jahr 1962, als der New Yorker Fabrikant Alfred Levy ein Problem mit seiner Telefonanlage hatte. Ein schadhaftes Kabel nahm Signale eines nahe gelegenen Radiosenders auf. Statt in Stille auf die Vermittlung ihres Telefonats zu warten, hörte Levys Kundschaft plötzlich leise säuselnde Musik. Er erkannte das Potenzial, leitete die nötigen Schritte ein - und bekam im Jahr 1966 das Patent auf automatisierte Warteschleifenmusik.
Und der „Warteschleifen-Oscar“ geht an ...
Fünf Jahrzehnte später kann man zumindest in den USA mit bloßer Warteschleifenmusik - allenfalls unterbrochen durch süßliche Durchhalteparolen - nicht mehr punkten. Die dortige Warteschleifenvereinigung OHMA will den Standard auch durch die jährliche Prämierung der besten Warteschleifen erhöhen. Unter den Gewinnern der „Warteschleifen-Oscars“ finden sich Dramolette über Autowerkstätten ebenso wie Comedy-Shows, die keinen einzigen möglichen Kalauer über Gebäudereinigung auslassen.
Geht es nach OHMA, gibt es zwei Mindestanforderungen an moderne Warteschleifen: erstens eine gewisse Dauer, denn auch der geduldigste Kunde wird aggressiv, wenn er 879-mal dieselben drei Takte Rockgitarre hören muss - und zweitens eine gehörige Portion Selbstironie. Wenn in der Warteschleife etwa darüber gespaßt wird, dass die eigenen Angestellten nicht einmal den Firmennamen richtig hinbekommen („Binkelman“), wirkt das folgende Gespräch auch umso professioneller - oder bildet zumindest eine stilistische Einheit mit der Warteschleife.
Lukas Zimmer, ORF.at
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