Warnung vor „Kollateralschäden“
Auf ganz legalen Wegen entgehen den Steuerbehörden weltweit jährlich Hunderte Milliarden Euro. Möglich machen das zwischenstaatliche Abkommen und unterschiedliche Steuersätze gepaart mit „kreativen“ Firmenkonstruktionen. Nun könnten internationale Konzerne allerdings stärker als bisher zur Kasse gebeten werden. Europäische Unternehmen fürchten, in den USA zum Handkuss zu kommen.
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Dabei stehen bisher dort gar nicht sie, sondern primär US-amerikanische „Steuersparer“ im Fokus. Die Regierung in Washington verabschiedete Mitte September ein ab sofort geltendes Maßnahmenpaket, das sich gegen die zuletzt wieder häufiger angewendete Praxis von US-Konzernen richtet, ihren Steuersitz durch die Übernahme meist kleinerer Unternehmen im Ausland dorthin zu verlegen.
US-Finanzminister: Unfaire Schlupflöcher
So wollen die Firmen unter anderem die vergleichsweise hohen US-Unternehmenssteuern umgehen. Die neuen Regeln würden dazu beitragen, diesen Trend umzukehren, sagte Präsident Barack Obama. Die Regierung fürchtet, dass ihr dringend benötigte Einnahmen wegbrechen. Die Unternehmen argumentieren dagegen, dass sie lediglich versuchten, ihre Steuerlast zu senken - wie das Investoren von ihnen erwarteten.
US-Finanzminister Jacob Lew bezeichnete die Praxis als „unfaires Schlupfloch“, das dringend geschlossen werden müsse. Die Steuerumkehrung („Tax-Inversion“ bzw. „Corporate Inversion“) soll sich für Unternehmen dank der neuen Regeln finanziell künftig weniger lohnen und gestoppt werden. Länderübergreifende Fusionen müssten von „echten Geschäftsstrategien“ angetrieben werden und nicht vom Wunsch, den Steuersitz in ein günstigeres Land zu verlegen, um US-Steuern zu meiden, sagte Lew.
Europäische Firmen als „unbeabsichtigte Opfer“?
Ein Nebeneffekt könnte allerdings sein, dass sich die Steuerbehörden auch für ausländische Unternehmen zu interessieren beginnen, hieß es im Vorfeld in der „Financial Times“ („FT“). Die europäischen Unternehmen fürchteten, zum „unbeabsichtigten Opfer“ der Initiative zu werden. Diese hat zum Ziel, Steuerumkehrung zu bekämpfen. Dabei handelt es sich um eine Strategie, ein Unternehmen steuerschonend umzubauen: Die Zentrale wandert über Fusionen in ein Land mit niedrigerem Steuersatz oder eine der noch immer zahlreichen Steueroasen, das tatsächliche operative Geschäft bleibt im Ursprungsland. Dort schaut der Fiskus (zumindest teilweise) durch die Finger. Dieser „Auslagerung“ der Steuerhoheit über Fusionen und Töchterkonstruktionen wollen die USA entgegentreten.
Konzerne drohen mit Kapitalabzug
Nun, da die Pläne der US-Regierung konkreter werden, schrillten auch bei europäischen Großkonzernen wie dem Schweizer Nahrungsmittelriesen Nestle, dem britisch-niederländischen Ölkonzern Royal Dutch Shell, dem Luftfahrtunternehmen Airbus mit Hauptsitz im französischen Toulouse und dem deutschen Chemiekonzern BASF die Alarmglocken, so die „FT“. Sie fürchteten, in die US-Steuerfalle zu tappen, und versuchten nun, bei der Regierung in Washington anzuklopfen - und durch die Blume auch zu drohen.
Alex Spitzer, zuständig für Steuerangelegenheiten bei Nestle USA, sagte laut der Zeitung, „schlecht gestaltete Maßnahmen der Behörden oder Gesetze“ könnten Investitionen des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns in Unternehmensstandorte und Arbeitsplätze in den USA bremsen. Die US-Pläne könnten „unbeabsichtigte Konsequenzen, die abschreckend auf Investitionen wirken, die wichtig für unsere Wirtschaft sind“, nach sich ziehen. Ein Sprecher von Airbus habe zu bedenken gegeben, es sei wichtig, dass Gesetze „vorsichtig gestaltet“ würden, um Investoren nicht abzuschrecken.
„Deutlich mehr Schaden als Nutzen“
Eric Toder, Kodirektor des Tax Policy Center, eines Thinktanks in Washington, der sich mit Steuerpolitik befasst, sagte gegenüber der „FT“, europäische Konzerne hätten tatsächlich einen Grund, „nervös zu sein“. Sobald man sich einmal genauer anschaue, wie amerikanische Unternehmen Steuerumkehrung zu ihrem Vorteil nutzen, „wird es unweigerlich auch einen Fokus darauf geben, wie andere ausländische Unternehmen dasselbe tun“. Eine konkrete Befürchtung ist laut der Zeitung, dass die US-Regierung Geldflüsse zwischen Müttern und Töchtern unter die Lupe nimmt und hier gesetzlich nachschärft.
Bisher sei es etwa möglich, dass US-Töchter bei ihren ausländischen Zentralen Geld leihen und die Zinsen für diese Kredite in den USA steuerlich geltend machen. Die Organization for International Investment (OFII), ein Dachverband der US-Töchter internationaler Konzerne, warnte zuletzt eindringlich vor negativen Folgen.
Die Absichten der Politik könnten einige „nicht beabsichtigte“ Nebeneffekte haben bzw. „deutlich mehr Schaden als Nutzen“ und „beachtliche Kollateralschäden“ für Unternehmen anrichten, die in die US-Wirtschaft investierten, anrichten. Das schrieb die Präsidentin des Verbands, Nancy McLernon, an US-Finanzminister Lew. Der erklärte Mitte September erneut, es gebe „ein Schlupfloch, das unmittelbar geschlossen werden sollte“ - nämlich das Katz-und-Maus-Spiel mit Unternehmenssitzen.
McLernon warnt Regierung
OFII-Vorsitzende McLernon erinnerte dagegen auch Obama daran, dass er seinerzeit das Ziel, mehr ausländische Direktinvestitionen ins Land zu holen, zu einer „Priorität“ erklärt habe. Am Engagement internationaler Konzerne in den USA würden rund 5,6 Millionen Arbeitsplätze hängen, und die Unternehmen würden mehr als 15 Prozent der Körperschaftssteuer zahlen, schrieb McLernon.
Die Aktion scharf gegen Steuerumkehrung und deren mögliche Nebeneffekte würden „Unsicherheit in die amerikanische Wirtschaft“ bringen. Sind Darlehen künftig nicht mehr steuerlich absetzbar, berge das die Gefahr, dass Investitionen in den USA für ausländische Unternehmen zu teuer würden - und diese sich eben andere Länder suchen würden.
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