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Wissenschaftler als Lobbyisten

Thinktanks haben in den USA eine lange Tradition. Viele Institutionen sind bereits Jahrzehnte in der Forschung und Politikberatung tätig, präsentieren Politikanalysen und Expertise. Vielfach gelten sie als Kaderschmiede für die US-Regierung. Eine umfassende Recherche der „New York Times“ („NYT“) stellt nun die Unabhängigkeit der US-Denkfabriken infrage.

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Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Bericht kratzt am Image der Thinktanks und sorgt für erhebliche Unruhe. Der „NYT“-Artikel zeigt konkret, wie ausländische Regierungen aus Europa, Asien und dem Nahen Osten durch Zahlungen an renommierte Thinktanks indirekt auf die US-Regierung Einfluss nehmen und Themen und Ergebnisse von Analysen steuern.

Basierend auf den Rechercheergebnissen geht die Zeitung davon aus, dass seit 2011 mindestens 64 ausländische Regierungen und staatlich kontrollierte Einrichtungen eine Gruppe von 28 wichtigen US-Thinktanks unterstützt haben sollen. Namentlich genannt wurden etwa die renommierte Brookings Institution, das Center for Global Development (CGD), der Atlantic Council und das Center for Strategic and International Studies (CSIS).

Imagepolitur über Thinktanks

Hunderte Lobbyisten kämpfen für unterschiedlichste Interessenten um Gehör in Washington. Über die als unabhängig geltenden Thinktanks ist es für kleinere Staaten offenbar einfacher, mehr Durchschlagskraft und den Zugang zu US-Regierungsbeamten zu bekommen. Einige Länder wie Norwegen und Japan ergänzen mit diesem Zugang ihre Lobbyingarbeit insbesondere im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) arbeiten so an einer Imagepolitur etwa durch Vortragsreihen über die „strategische Bedeutung“ der Golfregion.

Laut „NYT“ wurden in den vergangenen Jahren mehr als ein Dutzend der bekannten US-Thinktanks vor allem in Washington mit zig Millionen Dollar von ausländischen Regierungen und regierungsnahen Institutionen unterstützt. Nicht alle werden namentlich in dem Artikel genannt. Die Führungskräfte der Thinktanks weisen jegliche Einflussnahme auf Forschungsergebnisse und Integrität der Wissenschaftler zurück.

Wo die Ergebnisse mit den Zielen der Geldgeber übereinstimmen, handle es sich um Zufall, zitiert die „NYT“. „Unser Geschäft ist, Politik zu beeinflussen, basierend auf wissenschaftlicher, unabhängiger Forschung, basierend auf objektiven Kriterien. Um in der Politik relevant zu sein, müssen wir politische Entscheidungsträger beteiligen“, sagte etwa Martin S. Indyk, Vizepräsident von Brookings. Ähnlich argumentiert auch CSIS-Präsident John J. Hamre: „Ich vertrete niemanden.“

Wer zahlt, bekommt geliefert

Doch Forscher, die anonym bleiben wollen, geben gegenüber der Zeitung an, dass sie dazu angehalten waren, Ergebnisse zu liefern, die der finanzierenden Regierung genehm sind und diese nicht kritisieren. Andere sprechen von Selbstzensur. Auch die von der New Yorker Zeitung zitierten internen Berichte anderer Regierungen sprechen eine andere Sprache.

„Die Finanzierung mächtiger Thinktanks ist ein Weg, Zugang (zur US-Regierung, Anm.) zu bekommen. Und einige Thinktanks in Washington geben offen zu verstehen, dass sie nur diese ausländischen Regierungen bedienen können, die auch Finanzierung zur Verfügung stellen“, heißt es etwa in einem internen Bericht, der vom norwegischen Außenministerium in Auftrag gegeben wurde.

Günstige Ergebnisse erwartet

Recherchen der „NYT“ zufolge investierte Norwegen in den letzten vier Jahren mindestens 24 Mio. Dollar verteilt auf mehrere Thinktanks in Washington. Themen waren etwa die Aufwertung der Rolle Norwegens in der NATO oder Ölbohrpläne in der Arktis. Das Center for Global Development bekam den eindeutig formulierten Auftrag, Beamte in Washington zu überzeugen, dass die USA die Ausgaben für Waldschutz auf 500 Mio. Euro verdoppeln sollen.

Strobe Talbott

AP/Sergei Chuzavkov

Brookings-Präsident Strobe Talbott

Und auch ein anonym bleibender japanischer Diplomat gab an, dass sich sein Land im Gegenzug für Spenden an CSIS vorteilhafte Behandlung erwartete. Japan, hatte den Thinktank über eine regierungsnahe Handelsorganisation mit mindestens 1,1 Mio. Dollar in den vergangenen vier Jahren unterstützt. Offiziell wird das selbstverständlich dementiert. „Wir haben die akademische und intellektuelle Unabhängigkeit zu respektieren“, sagte ein Sprecher der japanischen Botschaft gegenüber der „New York Times“.

Kampf um Meinung

Die Thinktanks befinden sich in einem Dilemma. Nicht wenige sind auf das Geld aus dem Ausland angewiesen, um weiterbestehen zu können. Die Konkurrenz wurde größer, die Zuwendungen aus den USA wurden insgesamt geringer. So finanzierten etwa die VAE mit rund einer Million Dollar das neue Headquarter-Gebäude von CSIS in der Nähe des Weißen Hauses in Washington mit. Katar wiederum sagte im vergangenen Jahr über die nächsten vier Jahre eine Finanzierung von 14,8 Millionen Dollar zu, um einen Ableger von Brookings in Katar und ein Projekt über die US-Beziehungen zur islamischen Welt zu finanzieren.

Katar und VAE kommen sich bei ihrem Kampf um Einfluss auf die westliche Meinung durchaus in die Quere. Während die Emirate die USA überzeugen wollen, dass die Muslimbrüder eine Gefahr für die Stabilität in der Region ist, spricht Katar bei den Muslimbrüdern von der größten Hoffnung für Demokratie in der arabischen Welt.

Verstoß gegen das Gesetz?

Einige Juristen sind überzeugt, dass die Vorgangsweise einiger politischer Forschungsinstitute gegen US-Gesetze verstößt. Nach dem „Foreign Agents Registration Act“ von 1933 sind Gruppen, die sich mit dem Ziel, die US-Politik zu beeinflussen, von ausländischen Regierungen finanzieren lassen, verpflichtet, sich als „ausländische Agenten“ beim US-Justizministerium registrieren zu lassen. „Ich bin ehrlich überrascht, wie explizit die Beziehung zwischen bezahltem Geld, publizierten Berichten, Entscheidungsträgern und beeinflussten Politikern ist“, zitiert die „NYT“ den in diesem Bereich spezialisierten Anwalt Amos Jones.

Thinktanks gehen auf Distanz

Die besonders in dem Artikel angegriffenen Institutionen weisen in ihren Reaktionen jeglichen Vorwurf der bezahlten Einflussnahme zurück. CGD verweist in seiner Stellungnahme auf gute Transparenzbewertungen. Zugleich sei die Institution nun aber dabei, „mit Beratung von außen, die eigenen Prozesse zu überprüfen“. Wesentlich offensiver meldet sich Brookings-Präsident Strobe Talbott zu Wort. Der „NYT“-Artikel habe wesentliche Unterlassungen, Verzerrungen und Fehler und ziehe falsche Schlüsse aus den Unterlagen, die Brookings der „NYT“ zur Verfügung gestellt habe: „Wir verkaufen niemandem Einfluss, nicht im Inland, nicht im Ausland.“

Ohne konkret auf den „NYT“-Artikel einzugehen, sah sich der Atlantic Council kurz nach Erscheinen des Berichts ebenfalls zu einer Stellungnahme zu seiner Geldgeberpolitik veranlasst, verwies auf den klaren Prozess für Spenden abseits der US-Politik und sprach mit dem Dank an die über tausend Geldgeber indirekt auch das steigende Finanzierungsproblem in der US-Thinktank-Landschaft an.

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