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Rechtspopulisten Zünglein an der Waage?

Schweden wählt am Sonntag ein neues Parlament (Riksdagen) in Stockholm sowie auch landesweit die Regionen- und Kommunalvertreter. Während die großen Parteien - Sozialdemokraten und Konservative - in den Umfragen zuletzt näher zusammenrückten, ist eines nach Ansicht von Beobachtern ziemlich sicher: dass der konservative Ministerpräsident Frederik Reinfeldt nach zwei Amtszeiten abtreten muss.

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Die aus vier bürgerlichen Parteien (Moderaterna, Liberale Volkspartei, Zentrumspartei und Christdemokraten) bestehende Minderheitsregierung „Allianz für Schweden“ unter Reinfeldt konnte gegen Ende des Wahlkampfes in Umfragen zwar wieder Boden gutmachen, nachdem sie monatelang rund zehn Prozentpunkte hinter dem Mitte-links-Lager gelegen war. Doch die in den Umfragen in Führung liegenden Sozialdemokraten unter Stefan Löfven haben bei der kommenden Regierungsbildung voraussichtlich die besseren Karten, wenngleich auch für den Gewerkschafter Löfven die Lage nicht gerade rosig ist.

Kein formelles linkes Wahlbündnis

Denn im Gegensatz zu den vergangenen beiden Wahlen gibt es diesmal kein formelles Wahlbündnis zwischen den Sozialdemokraten, den Grünen und der Linkspartei. Nach gegenwärtigem Stand könnte es auf eine rot-grüne Minderheitsregierung hinauslaufen, da es als schwierig gilt, Parteien vom linken Rand mit an Bord zu holen. Doch selbst unter Beteiligung der Linkspartei fehlt einem möglichen rot-grünen Bündnis mit Löfven an der Spitze in Umfragen mit 47 Prozent eine absolute Mehrheit. Reinfeldts konservative Allianz liegt dagegen in Umfragen unter 40 Prozent.

Löfven signalisierte angesichts vergleichsweise großer Differenzen in den Bereichen Atomkraft und Sicherheitspolitik auch schon mehrfach Kooperationsbereitschaft mit bisher im bürgerlichen Lager regierenden Parteien. Beobachter sehen vor allem die liberale Volkspartei sowie auch die Zentrumspartei als mögliche Unterstützer einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung.

Jimmie Akesson

AP/Pontus Lundahl

Parteichef der Schwedendemokraten ist der 35-jährige Jimmie Akesson

Deutliche Zuwächse für SD erwartet

Eine Schlüsselrolle nach der Wahl könnten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) spielen, die bisher von den anderen Parlamentsparteien von einer Zusammenarbeit ausgeschlossen waren. Vor vier Jahren schafften sie erstmals den Sprung ins Parlament, nun dürften sie sich laut Prognosen zumindest verdoppeln und sogar drittstärkste Kraft im Riksdagen und Zünglein an der Waage werden.

Weder Reinfeldt noch Löfven wagten das auch nur anzudeuten. Sollte aber - wie die jüngsten Umfragen es prognostizieren - keiner der beiden Blöcke eine stabile Mehrheit erhalten, könnte an einer Regierungsbildung ohne Duldung der wegen ihres rechtsextremen Stallgeruchs verpönten SD kein Weg vorbeiführen. Offiziell verpasste sich die Partei bereits vor den letzten Wahlen ein moderateres, „patriotisches“ und EU-skeptisches Image. Dennoch machten sich sogar noch im aktuellen Wahlkampf Parteimitglieder unter anderem mit Hasspostings gegen Muslime, Ausländer und Linke bemerkbar.

Harte Bandagen im Wahlkampf

Überhaupt war die Stimmung im Wahlkampf zuletzt deutlich aufgeheizt. Löfven hatte am Montag Kritik auf sich gezogen, als er Roma im schwedischen Rundfunk als Zigeuner bezeichnet hatte. Für die Wortwahl hatte er sich später entschuldigt. Reinfeldt, der bis vor kurzem noch müde und angeschlagen gewirkt hatte, präsentierte sich in den Radio- und TV-Duellen gegen seinen Herausforderer überraschend angriffig.

Rasanter Aufstieg

Noch bei der Parlamentswahl 1998 kamen die SD nur auf 0,37 Prozent. Bei den vorletzten Wahlen im Jahr 2006 verbuchte die Partei unter Akessons Führung 2,93 Prozent. 2010 kam sie mit 5,7 Prozent klar über die Vierprozenthürde. Nun hofft sie, im Parlament zur drittstärksten Kraft zu werden.

Er stellte in einem Radioduell Löfvens Regierungsfähigkeit in Abrede und rückte das Wahlprogramm der Sozialdemokraten in Bezug auf deren Vorschläge zur Reduktion der hohen Jugendarbeitslosigkeit in die Nähe des ehemaligen DDR-Regimes. Löfven konterte darauf, bei Reinfeldt seien offensichtlich „die Sicherungen durchgebrannt“. Beobachter werteten Reinfeldt als Sieger des ersten Aufeinandertreffens. Beim TV-Schlagabtausch am Sonntag ging es ähnlich aggressiv zu. Laut Expertenanalysen und Blitzumfragen nach der Sendung entschied Löfven dieses zweite Duell knapp für sich.

Demontage des Wohlfahrtsstaates

Dass nun ein Machtwechsel zu erwarten ist, mag zunächst überraschen. Denn die Bilanz der Regierung Reinfeldt nach acht Jahren liest sich auf den ersten Blick nicht schlecht. 2006 war es Reinfeldt nach jahrzehntelanger Dominanz der Sozialdemokraten gelungen, Schweden eine länger haltende bürgerliche Regierung zu verpassen.

Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeld und Stefan Lofven von den Sozialdemokraten beiM TV-Duell

AP/TT News Agency/Anders Wiklund

Die Spitzenkandidaten Löfven und Reinfeldt schenkten sich in den Radio- und TV-Duellen nichts

Schweden erholte sich schneller als die meisten anderen Staaten von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Mittelschicht hat dank einer Serie von Steuersenkungen mehr Geld zur Verfügung. Viele Schweden leisten sich etwa mittlerweile Hausangestellte. Die Immobilienpreise sind gestiegen, ebenso der Absatz von Luxusautos.

Musterschüler war gestern

Reinfeldt führte die von seinem Vorgänger, dem Sozialdemokraten Göran Persson, begonnene Demontage des schwedischen Wohlfahrtsstaates durch weitere, im Wahlkampf heiß umstrittene Privatisierungen im sozialen Dienstleistungsbereich fort. Auf das Konto der Bürgerlichen geht das Ende des Ausstiegs aus der Atomenergie im Jahr 2009 sowie die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht zugunsten eines Berufsheeres ein Jahr später.

Vielen Wählern bereiten jedoch die mit über 20 Prozent hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie der Zustand des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens Sorgen. So zeigten die Ergebnisse der OECD-PISA-Studie im vergangenen Jahr, dass die Schulleistungen von 15-Jährigen in vielen Fächern so stark nachgelassen haben wie in keinem der anderen untersuchten Länder.

Skandale in Pflegeheimen

Mehrere Skandale in Pflegeheimen erweckten den Eindruck, dass in vielen Einrichtungen untragbare Zustände herrschen. So sollen Senioren in Schränken eingesperrt worden sein und zu wenig zu essen bekommen haben. „Die sozialen Unterschiede sind gewachsen“, sagte dazu Ann-Cathrine Junger, Professorin für Politikwissenschaften in Södertörn über die vergangenen Regierungsjahre.

Die Sozialdemokraten versuchten folglich mit Wahlversprechen wie mehr Personal in der Pflege, mehr Jobs für junge Menschen und kleineren Schulklassen zu punkten. Für Reformen wollen die Sozialdemokraten unter Löfven bis 2018 mehr als 40 Mrd. Kronen (knapp 4,4 Mrd. Euro) in die Hand nehmen - dreimal so viel wie die Konservativen. Bis 2020 soll Schweden die niedrigste Arbeitslosigkeit in ganz Europa haben, verspricht die Partei.

„Mitte-Rechts ist müde“

Vor allem aber herrscht Wechselstimmung im Land. „Mir kommt es so vor, als ob Mitte-rechts müde ist“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters den PR-Fachmann Richard Österlind. „Darum kann ich verstehen, dass die Leute für die andere Seite stimmen wollen, nur um die Dinge ein bisschen aufzumischen.“

Zum ersten Mal könnte die Feministische Initiative den Sprung in das schwedische Parlament schaffen. Sie liegt zwar in Umfragen noch unter der Vierprozenthürde, doch waren die Wähler wenige Tage vor der Wahl noch zu knapp einem Drittel unentschlossen, für wen sie stimmen sollen. Am größten ist die Unsicherheit laut einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage im Auftrag des schwedischen Rundfunks bei jüngeren Schweden.

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