Themenüberblick

Renovierungsdruck im Jubiläumsjahr

Seit 125 Jahren geht der Vorhang auf: Das Volkstheater, das 1889 von einem Verein rund um den Dichter Ludwig Anzengruber und den Industriellen Felix Fischer begründet wurde, startet am Wochenende mit Feierlichkeiten in die Jubiläumssaison. Das Haus am Weghuberpark, das einst als modernstes Theatergebäude bestaunt wurde, hat eine durchaus wechselvolle Geschichte hinter sich - und ist doch bis heute in vielen Punkten dem Gründungsgedanken verpflichtet.

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„Das Trauerspiel, das Schauspiel und das Volksstück, dann das Lustspiel, der Schwank und die Posse“ sollten in dem neuen Haus gepflegt werden und bei günstigen Eintrittspreisen eine möglichst breite Bevölkerungsschicht - also „das Volk“ - ins Theater locken. Das ist im Wesentlichen auch das, was sich Michael Schottenberg, der nach neun Jahren nun am Ende dieser Saison scheidende Direktor, 125 Jahre später noch auf die Fahnen geschrieben hat. Doch wer ist überhaupt „das Volk“ - und vor allem: „Was soll das Volk im Theater?“ Mit dieser Frage haben sich nun für ein Geburtstagsbuch 125 Theaterschaffende, Besucher, Mitarbeiter, Autoren und Freunde des Hauses beschäftigt und 125 Antworten - in Text und Bild - gefunden.

Volkstheater-Direktor Michael Schottenberg

ORF.at/Zita Köver

Direktor Michael Schottenberg eröffnet die Volkstheater-Saison am Samstag mit einer großen 125-Jahr-Feier und lädt zu einem Tag der offenen Tür

„Das Theater bevölkern!“

Das sind teils kurze Statements, direkte Repliken auf die Frage. „Das Theater bevölkern!“, schreibt etwa Regisseur Thomas Schulte-Michels, „Hingehen“, befiehlt Schauspieler Erwin Ebenbauer, und der Schriftsteller Arno Geiger konstatiert: „Das Volk hat im Theater einen Platz.“ Andere Zugänge sind persönlich oder politisch, einige beschäftigen sich mit der Begriffsklärung und Definition des Volkstheaters.

Für den Theaterwissenschaftler Ulf Birbaumer muss das Volkstheater radikal sein, es soll dem Zuschauer „die Möglichkeit des (politischen) Handelns“ zurückgeben, zugleich aber auch „Theaterfest als Volksfest“ sein. „Bühne“-Chefredakteur Peter Blaha sieht die Aufgabe des Volkstheaters darin, der Vielfalt des Volkes Rechnung zu tragen und „für verschiedenste Gruppen, die alle zusammen das Volk ausmachen, Angebote zu bieten.“

Themenfindung „auf dem Schoß“ des Publikums

Eine Positionierung des bürgerlichen Volkstheaters gegenüber dem kaiserlichen Hofburgtheater, die Abgrenzung von Aristokratie und Volk, wie bei der Gründung formuliert, braucht es in der Form wohl heute nicht mehr. Doch wie Birbaumer und Blaha schreiben, sieht auch Schottenberg die Aufgabe seines Volkstheaters darin, ein Spektrum anzubieten, für das sich andere Theater „nicht verantwortlich fühlen“, wie er im Gespräch mit ORF.at erzählt. Auch wenn man sich dafür bei den Menschen quasi daheim „auf den Schoß setzen muss“ um deren Themen zu erfahren, aufzugreifen und zu verhandeln.

125 Jahre Volkstheater

Am Sonntag, dem 14. September findet von 10.00 bis 15.00 Uhr ein Tag der offenen Tür mit Vorträgen, Führungen, Ausstellungen, Filmen, Probenausschnitten und Lesungen statt.

Ebenfalls am Sonntag um 19.30 Uhr feiert „Die Vögel“ von Aristophanes inszeniert von Thomas Schulte-Michels Premiere. Weitere Vorstellungen gibt es am 15., 16., 20., 21. und 25. September, jeweils um 19.30 Uhr.

Das gelingt sehr gut, unter anderem mit dem Volkstheater in den Bezirken, einer Institution, die ebenfalls schon seit 60 Jahren Produktionen an 18 verschiedenen Spielstätten quer durch Wien zeigt. Oder mit dem Hundsturm im fünften Bezirk, der sich als „Theaterlabor“ meist sehr weit weg vom klassischen Schauspiel bewegt, dafür wird aber der gesellschaftspolitische Anspruch des Theaters voll ausgespielt.

Die schwierige Jagd nach Uraufführungen

Im Haupthaus, in dem es Abend für Abend mehr als 800 Freiverkaufskarten zu verkaufen gilt, muss der Spielplan deutlich klassischer ausfallen. Ur- und Erstaufführungen gab es in Schottenbergs Direktionszeit und auch davor dennoch zahlreiche - dabei ist die Jagd nach neuen Stücken bekannter Autoren alles andere als eine leichte Angelegenheit geworden. Besser finanzierte Theater hätten eben auch die Möglichkeit, mehr Tantiemen zu zahlen, so Schottenberg, das könne man sich eben auch bei gutem Willen nicht immer leisten.

Als Publikumsmagneten scheinen sich in den letzten Jahren immer wieder Dramatisierungen großer Filmstoffe erwiesen zu haben - ist das möglicherweise eine zeitgenössische Ausformung des Volksstücks? „Ich meine, würde Shakespeare, würde Nestroy, würde Raimund, würde Schnitzler leben, sie wären sehr erfolgreiche Kinoautoren,“ vermutet Schottenberg, der gern auch eine Lanze für medienübergreifende Genrevermischung bricht. Für die Vielfalt steht auch das Markenzeichen, das Schottenberg dem Theater vor neun Jahren verpasst hat: der rote Stern auf dem Dach des Theaters - bestehend aus fünf Vs. „Ich finde jedes Theater sollte so bunt wie möglich aufgestellt sein. Grade das finde ich schön, als wenn man sich so fad spezialisiert und nur zuständig ist für die hohe Kunst.“

Buchcover "Was soll das Volk im Theater?"

Christian Brandstätter Verlag

Buchhinweis

Volkstheater (Hg.): Was soll das Volk im Theater? 125 Antworten aus 125 Jahren Volkstheater. Christian Brandstätter Verlag, 144 Seiten, 29,90 Euro. Präsentation am 14. September, 11.00 Uhr, in der Roten Bar des Volkstheaters.

„Keine Renovierung. Kein Theater.“

Neben der Kunst ist es derzeit aber auch das Geld, das den Direktor in seiner letzten Saison noch einmal so richtig beschäftigt. War vor 125 Jahren kein anderes Theater technisch derart up to date wie das Volkstheater, das etwa von Beginn an ausschließlich elektrisch beleuchtet wurde, ist heute eine Renovierung mehr als dringend notwendig. Das Dach sei undicht, es tropfe auf die Bühne, Fenster, Bühnenmaschinerie und die Rote Bar müssten renoviert werden, so Schottenberg. Eine Bewusstseinskampagne ist schon am Laufen. „Auch wenn Sie es nicht sehen wollen“, prangt auf großen Plakaten am Theater, dazu irritierend augenlose Gesichter und der Aufruf: „Keine Renovierung. Kein Theater. Tun wir was!“

„Das Volkstheater gehört sich selbst“ erklärt Schottenberg die prekäre Lage. Das Theater wird von der öffentlichen Hand zwar subventioniert, das betrifft aber nur den laufenden Spielbetrieb. Um von Stadt und Bund Geld für die mit rund 35 Mio. Euro veranschlagten Renovierungsarbeiten zu bekommen, müsse erst ein Sockelbetrag von rund 3,5 Mio. Euro aufgebracht werden.

Schottenberg übergibt das Haus in der kommenden Saison an Anna Badora, die derzeitige Intendantin des Grazer Schauspielhauses. Bis dahin will der Direktor diese Hürde genommen haben. „Ich meine, dass ihr Startschuss dann attraktiver sein wird, weil ich hoffe ja, dass sie zu dem Zeitpunkt sagen kann: Ich beginne mit neuen fliegenden, wehenden, stolzen Fahnen. Das wäre das Schönste, das ich mir und dem Haus wünschen würde.“

Sophia Felbermair, ORF.at

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