Themenüberblick

Folter, Morde, „blinde“ Bombardierungen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat den Konfliktparteien im Osten der Ukraine Kriegsverbrechen vorgeworfen. „Alle Konfliktparteien haben sich gleichgültig gegenüber dem Leben von Zivilisten gezeigt und ihre internationalen Verpflichtungen in unverhohlener Form vernachlässigt“, erklärte Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty am Sonntag.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Amnesty lägen „glaubwürdige Informationen“ über Entführungen und Prügel vor, für die Angehörige von Freiwilligenverbänden, die an der Seite der ukrainischen Armee kämpfen, verantwortlich seien. Der ukrainischen Armee werden „blinde“ Bombardierungen vorgeworfen. Amnesty-Mitarbeiter an Ort und Stelle hätten zudem Informationen über Folter und Morde gesammelt, die von prorussischen Separatisten verübt worden seien.

AI: Russland muss „Zufluss von Waffen stoppen“

Von der Regierung in Kiew forderte die Organisation eine Untersuchung der mutmaßlichen Verletzungen des internationalen Menschenrechts. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Andernfalls müssten die Ukrainer über mehrere Generationen mit den „Narben dieses Krieges“ leben, so Shetty.

Amnesty warf außerdem Russland Einmischung in den Konflikt vor. Das legten unter anderem Satellitenfotos nahe. Es sei offensichtlich, dass Russland den Konflikt befeuere, sowohl durch „direkte Einflussnahme“ als auch durch „Unterstützung, die es den Separatisten im Osten der Ukraine gewährt“. Russland müsse den dauerhaften „Zufluss von Waffen und anderen Hilfsmitteln“ für die Rebellen stoppen. Alle Belege für eine russische Einflussnahme ließen „keinen Zweifel“ daran, dass es sich um einen „internationalen bewaffneten Konflikt“ handle.

Dementis zu Waffenlieferungen aus NATO-Staaten

Unterdessen wurde bekannt, dass sich beim NATO-Gipfel in Wales zuletzt offenbar fünf Staaten bereit erklärt haben, Waffen an die Regierung in Kiew zu liefern. Die USA, Frankreich, Italien, Polen und Norwegen wollten moderne Waffen und Militärbeobachter in die Ostukraine schicken, schrieb ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am Sonntag auf Facebook.

Die NATO hatte zuletzt erklärt, keine Waffen in die Ostukraine schicken zu wollen. Das Bündnis hatte jedoch nicht ausgeschlossen, dass seine Mitglieder das tun könnten. Doch nur wenige Stunden später folgte bereits das Dementi von vier der angesprochenen Länder. Norwegen liefere grundsätzlich keine Waffen in Spannungsgebiete, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Die USA bezeichneten die Meldung genauso wie das italienische und polnische Verteidigungsministerium als falsch. Es gebe allerdings Vorbereitungen für die Lieferung von schusssicheren Westen und Helmen.

Beschuss bei Mariupol erschütterte Waffenruhe

Einen Tag nach Inkrafttreten einer Waffenruhe kam es bei der ostukrainischen Stadt Mariupol offenbar zu erneuten gewaltsamen Auseinandersetzungen. In der Hafenstadt waren am Samstagabend laut Medienberichten anhaltendes Artilleriefeuer aus östlicher Richtung und mehrere schwere Explosionen zu hören. In der Nacht auf Sonntag kam nach Angaben der Stadtverwaltung eine Frau bei den Gefechten ums Leben, drei Personen wurden verletzt. Es handelt sich dabei um das erste Todesopfer seit dem Beginn der vereinbarten Feuerpause am Freitag.

Auch bei Donezk kam es zu neuen Gefechten. Korrespondenten der Nachrichtenagentur Reuters berichteten am Sonntag von anhaltendem Artilleriefeuer unweit des Flughafens der Stadt, den die Regierungstruppen zuletzt wieder unter ihre Kontrolle gebracht hatten.

Poroschenko und Putin angeblich einig

Poroschenko und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin sollen sich bei einem Telefonat unterdessen einig gewesen sein, dass die Waffenruhe halte. Es seien aber weitere Maßnahmen nötig, um ihn dauerhaft zu machen. Die große Skepsis der Bevölkerung zeigte aber gleichzeitig, wie groß das Misstrauen und wie verhärtet die Fronten sind.

Sollte die Waffenruhe nicht halten, sollen Anfang der Woche neue Sanktionen gegen Russland in Kraft treten. Die EU-Botschafter hatten sich am Freitag auf eine Verschärfung der Strafmaßnahmen gegen Russland verständigt. Wirksam werden sollen sie allerdings erst zu Beginn der Woche. Die EU erklärte zudem, die zusätzlichen Strafmaßnahmen könnten ausgesetzt werden, wenn Russland seine Soldaten aus der Ostukraine abziehe und die neu vereinbarte Waffenruhe zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Regierungseinheiten eingehalten werde.

Russland kündigte für den Fall neuer EU-Strafmaßnahmen eine Reaktion an. „Sollte die neue Liste der Sanktionen der Europäischen Union in Kraft treten, wird es zweifellos eine Reaktion von unserer Seite geben“, warnte das Außenministerium. Mit der Ankündigung neuer Sanktionen sende die EU ein „Signal der direkten Unterstützung der ‚Kriegspartei‘ in Kiew“, kritisierte das Ministerium. Die EU sollte sich vielmehr für einen wirtschaftlichen Wiederaufbau des Donbass (Donezbecken) einsetzen.

Sanktionen im Wirtschaftsbereich

Nach EU-Angaben wurde von den Botschaftern eine „grundsätzliche Einigung auf eine Ausdehnung der Sanktionen gegenüber Russland erzielt“. Die neuen Sanktionen sähen insbesondere eine „Ausweitung im Bereich Kredite und Dual-Use vor“, also bei Gütern, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Zudem würden weitere Reisebeschränkungen ausgesprochen und weitere Vermögen im Ausland eingefroren. Offiziell beschlossen sollen sie erst am Montag werden.

Die EU-Länder Slowakei und Tschechien halten an ihrem Widerstand gegen Teile der Russland-Sanktionen fest. Beide Staaten wollen sich weiterhin gemeinsam gegen solche Strafmaßnahmen wenden, die ihre eigenen nationalen Interessen betreffen. Darauf habe er sich mit seinem tschechischen Amtskollegen Bohuslav Sobotka geeinigt, teilte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico am Samstag in Bratislava mit. Die Ablehnung von „nutzlosen und kontraproduktiven“ Sanktionen gegen Russland bedeute aber keinen Mangel an Solidarität mit der Ukraine, so Fico.

Kiew: Gefangenenaustausch begonnen

Die prorussischen Aufständischen begannen der Regierung zufolge unterdessen mit der Freilassung von Gefangenen. Mehrere Soldaten seien in der Nähe der Separatistenhochburg Lugansk übergeben worden, sagte Poroschenkos Sprecher Swjatoslaw Zegolko am Samstag in der Hauptstadt Kiew. Die prowestliche Führung der Ex-Sowjetrepublik will ihrerseits vermutlich an diesem Montag erste Gefangene freilassen. Die Aufständischen haben Schätzungen zufolge etwa 1.000 Soldaten in ihrer Hand, die Regierungstruppen demnach etwa 200 moskautreue Kämpfer.

Links: