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„Ich bin mir nicht sehr sicher“

Anlässlich seines 85. Geburtstags widmet die Albertina Arnulf Rainer eine umfassende Retrospektive - die erste seit 15 Jahren. Es gilt, den erfolgreichsten zeitgenössischen Künstler Österreichs neu zu entdecken.

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Eine Retrospektive zu Arnulf Rainer - das ist nur auf den ersten Blick eine leichte Aufgabe. Sein umfangreiches Werk reicht von den 40er Jahren bis in die Gegenwart. Aber was kann man noch zeigen, zumal hier in Österreich, von dem sich Kunstinteressierte noch nicht sattgesehen haben? Bei Künstlern, deren Werke einst als revolutionär galten, die dann aber in den Kanon übergingen, bleibt gerade unter Spätgeborenen der Aha-Effekt aus. Kanonisierte Kunst eben - wo ist da das Revolutionäre?

Ähnliches gilt etwa für den „Albertina-Künstler“ Egon Schiele. Auch der Direktor des Hauses, Klaus Albrecht Schröder, zieht diesen Vergleich - jedoch in anderem Zusammenhang: Beide Künstler würden der Frage nach der Identität des Menschen nachgehen, Grenzüberschreitungen suchen und selbst Grenzen überschreiten. Bei Rainer sei es der permanente Wandel, der dem Menschen inhärent ist und der sich in den Übermalungen widerspiegle. Dafür ist Rainer vor allem bekannt - seine Bilder oder Fotos, teilweise nach Jahren, zu übermalen, Schichten auf- und abzutragen, zu zerkratzen, zu verwischen.

Arnulf Rainer

ORF.at/Simon Hadler

Arnulf Rainer, im Hintergrund „Kreuz mit Selbstbild“, 1970/75

Momente höchster Gefühlsintensität

Vielleicht ist dies das Verdienst der Ausstellung: zu zeigen, dass der Motor hinter den Übermalungen nicht Aggression ist. Kurator Helmut Friedel formuliert es so: „Rainer zerstört das Bild, weil er daran glaubt.“ Um das herauszuarbeiten, haben die Kuratoren nicht chronologisch gearbeitet, sondern in „Vorgriffen, Rückgriffen, Durchblicken“, so Schröder.

Wie sehr die gegenständliche Malerei und das abstrakte Spiel mit Formen (Rechtecke, Quadrate, Kreuze) und Farben ineinander übergehen, einander bedingen, sieht man so ebenfalls. Der Mensch bricht aus dem geometrischen Universum aus in den Momenten seiner höchsten Gefühlsintensität - in seiner Verzweiflung, beim Sterben, in der Sexualität.

Detail einer Arbeit von Arnulf Rainer

ORF.at/Simon Hadler

Auch aus dem Formenwerk bricht das Menschliche heraus - hier eine Hand auf einem von Rainers Kreuzen. „Cross“, 1981/1983

Rainers „Angst“ vor dem eigenen Werk

Die skulpturalen Elemente, die Kreuze, der Hiroshima-Zyklus, die Übermalungen, Großformatiges, Kleinformatiges, quer durch fast sieben Jahrzehnte, gehängt nach Sinnzusammenhängen - ein Lebenswerk. Und wie geht es dem 85-Jährigen da, mit welchem Gefühl schreitet er durch das Labyrinth seines künstlerischen Vermächtnisses in der Albertina? „Angst“, sagt Rainer verschmitzt lächelnd im Gespräch mit ORF.at am Rande der Pressekonferenz zur Eröffnung.

Um dann, jetzt ernst, noch einmal nachzusetzen: „Ja, es ist schon Angst. Die Angst, Fehler zu entdecken. Und die entdecke ich auch andauernd, bei jedem Mal durchgehen. Ich kann mich nicht freuen.“ Konkrete Beispiele will er nicht zeigen, „weil wenn wir da einmal anfangen, finden wir gar kein Ende mehr“. Da und dort würden die Farben nicht passen, immer wieder seien es kleine Details - „nichts Großartiges“, aber eben doch -, die ihn störten.

„Ich bin mir nicht sehr sicher“

Eigentlich will man das einem Künstler in seiner Liga nicht recht glauben. Aber tatsächlich wirkte Rainer während der ganzen Presseprozedur ein wenig gequält. Im persönlichen Umgang ist er überaus freundlich. Noch einmal nachgehakt, ob er nicht doch stolz sei, hier sein Werk abzuschreiten: „Stolz? Nein. Ich bin mir nicht sehr sicher.“ Ob diese Unsicherheit zum Künstlerdasein dazugehöre? Beim Arbeiten selbst nicht, sagt Rainer. Da müsse man selbstbewusst sein.

Das Selbstbewusstsein Rainers drückt sich auch in seiner intensiven Beschäftigung mit dem eigenen Körper im Rahmen der legendären Übermalungen seiner fotografischen Selbstporträts in den 70er Jahren aus. Die Bilder dieser Schaffensphase kommen emotionalen Explosionen gleich. Und so sehr die Gefühlsintensität, der Ausbruch der Menschlichkeit, der permanente Wandel, das Oszillieren zwischen Chaos und Ordnung greifbar werden in der Ausstellung, so sehr tritt auch der Schaffensprozess selbst in den Vordergrund.

Detail einer Arbeit von Arnulf Rainer

ORF.at/Simon Hadler

Der Akt des Malens darf gesehen werden. Selbst in der Ordnung einer riesigen roten Fläche wird im „edlen weißen Eck“ gepatzt. „Edles Eck“, 1960/1969

Patzer, Flecken, Schmierer

Rainer erzählt, dass er die ersten Übermalungen aus der Not heraus vorgenommen habe. Um an billige Leinwände samt Rahmen zu kommen, habe er auf dem Flohmarkt günstige Bilder erstanden und übermalt. Dabei sei die Idee für seine späteren Werke entstanden. Vielen seiner frühen Bilder, auch jenen, die mit Formen spielen, etwa den Kreuzen und fast komplett einfarbig übermalten Leinwänden, sieht man die Improvisation an: Patzer, Flecken, die Rahmen sind verschmiert, teils sind die Konstruktionen offenbar aus Sperrholz zusammengeschustert worden. So stellt sich das „Schon wieder Rainer“-Gefühl doch nicht ein.

Simon Hadler, ORF.at

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