Ölhandel, Erpressung, Geiselnahmen
Innerhalb der letzten Monate hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) weltweit Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Gearbeitet wird mit effektiver Propaganda etwa in Form von Videos und Twitter-Mitteilungen. Doch hinter IS verbirgt sich mehr als eine geschickte PR-Maschinerie - innerhalb der letzten Jahre hat sich die Terrororganisation zu einem unabhängigen Wirtschaftssystem entwickelt.
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Denn noch vor kurzem war IS auf private (aber auch staatliche) Geldgeber aus Ländern wie Katar, Kuwait, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angewiesen. Hintergrund für die finanzielle Unterstützung war die damit beabsichtigte Stärkung einer Miliz, die dazu beitragen sollte, die Stellung von Syriens Präsident Baschar al-Assad zu schwächen bzw. das Machtgefüge im Irak zu durchkreuzen.
Auch noch heute geht viel Geld von außen an IS - aktiv sind dabei viele IS-Sympathisanten, die Rache für die Vergangenheit unter schiitischer Verfolgung üben wollen. So etwa Raghad Hussein, Tochter von Ex-Diktator Saddam Hussein, die Berichten zufolge von Jordanien aus IS mit Millionen unterstützen soll. Doch wiederum sehen viele ehemalige private Geldgeber und sunnitische Regierungen IS als Bedrohung, weswegen sie die Geldflüsse kappten.
Geld von außen nur mehr „Bonus“
Doch angewiesen ist IS auf Geld von außen nicht mehr. Spenden aus den Golfstaaten gibt es zwar immer noch, doch diese haben eher den Rang von „Bonuszahlungen“, wie Douglas Ollivant, ehemaliges Mitglied im US-Sicherheitsrat für den Irak und Mitarbeiter zahlreicher Think Tanks, gegenüber dem „Wall Street Journal“ („WSJ“) erklärte. IS sei in Sachen Finanzierung „bemerkenswert kreativ“, so Ollivant. Dadurch könne IS unabhängig von externen Geldgebern wirtschaften.

APA/AP/Militant video
Abu Bakr al-Baghdadi, Anführer des selbst ernannten Kalifats
Längst hat IS genügend Wege gefunden, um an Geld zu kommen. Schließlich kontrolliert die Miliz Schätzungen zufolge Gebiete mit kumuliert acht Millionen Einwohnern. In diesen Gebieten des durch IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi ausgerufenen Kalifats kassieren die Dschihadisten Schutzgeld, die in den Gebieten lebenden Christen bzw. andere Minderheiten werden mit Kopfsteuern belegt. Auch Entführungen und Lösegelderpressungen bringen der Organisation Millionen ein - aufgrund der immer weniger gewordenen Freilassungen wird dieser „Wirtschaftszweig“ jedoch von Experten als immer weniger bedeutsam eingeschätzt.
Doch es sind auch weit „einfachere“ Dinge, mit denen IS Geld lukriert: etwa ein Steuersystem, dem landwirtschaftliche Betriebe unterliegen bis zur Verwaltung des öffentlichen Verkehrs. Auch betreibt die Organisation Merchandising mit verschiedensten Utensilien. Die Menge an Geld von außen „verblasse“ im Vergleich zu kriminellen und terroristischen Aktivitäten, so ein Vertreter des US-Außenministeriums gegenüber dem „WSJ“.
Gewinnbringender Handel mit Öl
Doch die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle für IS ist der Handel. In den kontrollierten Gebieten steuert IS den Verkauf von Weizen und gestohlenen Antiquitäten - doch wirklich viel Geld setzt die Organisation mit Öl um. Nach Informationen der Beobachtungsstelle für Menschenrechte verkaufen die Dschihadisten schon seit geraumer Zeit Rohöl aus einigen von ihr eroberten Ölfeldern auf dem Schwarzmarkt, insbesondere aus dem wichtigen Al-Omar-Feld in Deir al-Zor in Syrien.
In den von ihr kontrollierten Gebieten verkaufen die Kämpfer das Öl laut der Beobachtungsstelle auch ganz öffentlich. Doch über die Grenzen hinweg wird ebenso gehandelt, laut Angaben des „WSJ“ werden Geschäfte auch mit jenen gemacht, die aus Ländern kommen, die IS bekämpfen. Dazu zählen etwa kurdische Geschäftsleute aus der Türkei und schiitische Händler aus dem Libanon und dem Irak.
Schmuggel gigantischer Mengen
Durch ein Netzwerk an Schmugglern aus der Türkei und dem Irak wird das Rohöl über die Grenzen - etwa in die Kurdengebiete des Irak - gebracht und zu guten Preisen an lokale Händler weiterverkauft. Das Öl wird dann in Länder wie den Iran weiterverkauft, selbst die syrische Regierung kauft - unwissentlich - ihr eigenes Öl von IS zurück. Vonseiten syrischer Rebellen heißt es, dass aus IS-kontrollierten Ölfeldern täglich zwischen 30.000 und 70.000 Barrel Rohöl gefördert werden.
Konkrete Zahlen gibt es kaum. Die Zeitung „Financial Times“ („FT“) ging unter Berufung auf eine Geheimdienstquelle allein in der Region um die syrische Stadt Al-Rakka von einer täglichen Förderquote von 30.000 Barrel aus. Aus dem türkischen Außenministerium heißt es, dass die Menge an beschlagnahmtem Öl seit dem Beginn des Aufstands in Syrien um 300 Prozent zugenommen hat. „Wir arbeiten daran, diese Entwicklung zu stoppen, aber die Grenze (zu Syrien, Anm.) ist sehr schwierig zu kontrollieren“, heißt es dazu vom türkischen Außenministerium.
Problematische Abhängigkeiten
Der Status von IS als bedeutender wirtschaftlicher Akteur in der Region bringt Abhängigkeiten mit sich. Um IS zu bekämpfen, ist das gesamte Handelsnetzwerk der Terrororganisation zu zerstören. Der Haken daran: Viele Zivilisten, die mittlerweile von IS-Infrastrukturen abhängig sind, würden stark getroffen - Terrorismusexperten sprechen gar von einer möglichen humanitären Katastrophe.
Noch dazu ist dem Wirtschaftssystem IS mittels Sanktionen schwer beizukommen, schließlich wird ausschließlich gegen Bargeld gehandelt - eine Struktur, die von außen schwer angreifbar ist. Laut Experten wird jenes System, mit dem bereits die Al-Kaida im Irak eine Schattenökonomie aufbaute, gleichermaßen von IS geführt.
„Al-Kaida-Strategie wird weitergeführt“
„Nicht den kürzesten Transfer, nicht den einfachsten Handel konnte man ohne sie (Al-Kaida, Anm.) machen“, erklärt Abu Hanieh, jordanischer Extremismusexperte. „Diese Strategie wird weitergeführt“, so Hanieh über das Handeln von IS. Die Strukturen seien dieselben, auch verfüge die Organisation über ein Finanzkomitee bzw. über einen „Finanzminister“. Die weitverzweigte Struktur gibt Experten jedenfalls Anlass, IS als den vermögendsten Al-Kaida-Ableger einzustufen.
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