„Alles voll“
Es handelt sich nur um einen Bruchteil der derzeit rund 1,1 Millionen im Libanon offiziell registrierten Syrien-Flüchtlinge - die Zustände in einem ehemaligen Einkaufszentrum nahe der Stadt Tripoli sind dennoch symptomatisch für eine bisher wohl beispiellose Flüchtlingskatastrophe.
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ORF.at/Peter Prantner
So wie im ganzen Land wird auch im Nordlibanon Platz für die nach wie vor steigende Zahl an Flüchtlingen zunehmend knapp. „Alles voll“ ist nach Angaben der für den Nordlibanon zuständigen Caritas-Regionalkoordinatorin Laurette Challita auch im al-Waha Commercial Complex: „Es gibt keine Geschäfte mehr zu vermieten.“

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150 Familien und damit rund 1.000 Menschen haben in al-Waha zwar ein Dach über dem Kopf gefunden - der Preis dafür ist allerdings hoch.

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Ungeachtet der mit Schimmel befallenen Wände, tropfenden Wasserleitungen und eines ohnehin dem Verfall preisgegebenen Zustandes wird von den Eigentümern nun offenbar jenes Geschäft nachgeholt, das anfangs kläglich scheiterte.

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Zwischen 200 bis 250 Dollar (147 bis 184 Euro) pro Geschäft und Monat müssen die Bewohner für ihre Unterkunft bezahlen, wobei der Preis auch von der Lage abhängig ist. „Die oberen Stöcke sind teurer“, so eine mehrfache Mutter gegenüber ORF.at, die gleichzeitig mehr als deutlich macht, dass das Leben in der obersten Etage wenig mit Exklusivität zu tun hat.

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Die Frau beklagt nicht nur den baufälligen Zustand der nun von neun Personen als Notwohnung genutzten ehemaligen zwei Geschäftsräume - mehrere Stunden am Tag habe man im gesamten Haus etwa auch gegen einen penetranten, von der Toilettenreinigung stammenden Gestank zu kämpfen, so die 42-Jährige weiter.

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Gäbe es eine Alternative - sie würde al-Waha sofort wieder verlassen. Eine Rückkehr nach Syrien steht allerdings wohl noch länger nicht zur Debatte, und gegen einen, ohnehin kaum möglichen Standortwechsel im Libanon spricht: „Es ist immer das Gleiche.“

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Abgesehen von den auch anderorts katastrophalen Bedingungen ist auch Miete für eine Unterkunft in Rohbauten und leerstehenden Gebäuden bzw. Pacht bei Zeltlagern für syrische Flüchtlinge im Libanon nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel.

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Den Betroffenen sind die Hände gebunden - wird von offizieller Seite doch nach wie vor eine strikte No-Camp-Policy betrieben, weswegen die im Libanon Gestandeten auf sich selbst und die Nothilfe der im Land anwesenden humanitären Organisationen - aber auch auf die über den notwendigen Platz verfügenden Haus- und Grundbesitzer - angewiesen sind.

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Um das für die Miete notwendige Geld aufzutreiben, sind Gelegenheitsjobs begehrt, aber auch immer rarer. Dennoch wird ständig nach Arbeit gesucht, und al-Waha ist aus diesem Grund untertags zum Teil verwaist.

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Arbeit zu denkbar ungünstigen Konditionen findet sich etwa auf den umliegenden Feldern. Der Tagesverdienst übersteigt häufig kaum einen Euro - dennoch wird auch von vielen Minderjährigen die Schule mit einem Ernteeinsatz getauscht. Jene, die nicht arbeiten können, kämpfen in al-Waha nicht nur gegen ihre Not, sondern auch gegen Schmutz und Langeweile.

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Von Kindern nachgespielt, bleibt unterdessen auch für Erwachsene der Krieg, dem man mit der Flucht in den Libanon entkommen ist, weiter omnipräsent.

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Berichtet wird von traumatischen Erlebnissen, täglichen Bombenangriffen und zu Tode gekommenen Familienangehörigen - offen eingestanden wird dennoch: Hätten es die Umstände nicht erfordert, hätten viele ihre Heimat niemals mit den trostlosen Zuständen im Libanon getauscht.

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An ein baldiges Ende des Bürgerkriegs und eine absehbare Rückkehr nach Syrien glaubt indes keiner. Vielmehr wird auch in Syrien der lange Arm des Assad-Regimes gefürchtet - etwa in Form zahlreicher im Land befindlicher Spitzel.

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Dazu kommt die zunehmend gespannte Lage auch im Libanon - bringt die weiter steigende Zahl an Flüchtlingen das Land doch zunehmend an seine Belastungsgrenze.

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Platzmangel herrscht jedenfalls nicht nur in al-Waha und dessen Umgebung - im ganzen Land wird es zunehmend schwieriger, die Masse an Flüchtlingen unterzubringen. Darunter leidet auch die Wirtschaft des seit Ende des Bürgerkrieges im Jahr 1990 in einem mühsamen Aufbauprozess befindlichen Landes.

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Außer Frage steht: Die laufende Krise belastet nun erneut den sozialen Frieden und birgt die Gefahr einer Eskalation: Vor einer Fahrt ins nur wenige Kilometer entfernte Tripoli wird angesichts mehrerer Anschlagsserien und zuletzt gehäufter Schusswechsel jedenfalls bereits offen gewarnt. Die Lage im Land bleibt somit gleich an mehreren Fronten explosiv - und al-Waha auch weiter Symbol einer großen humanitären Tragödie.
Peter Prantner, ORF.at
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