Kinderbuch als „Betriebsunfall“
Laura Ingalls, verehelichte Wilder (1867 bis 1957), ist spätestens mit ihren nun erstmals vorliegenden rekonstruierten Erinnerungen als Schriftstellerin rehabilitiert. Kenner ihres Schaffens wussten aber auch schon bisher, dass Ingalls rein gar nichts mit Kitsch und Bigotterie am Hut hatte, sondern eher Vertreterin eines US-Naturalismus war, die davon träumte, als „Indianerin“ „Weiße zu skalpieren“.
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Das entsprechende Zitat schrieb Ingalls in ihr Tagebuch, als sie zum ersten Mal die Naturschönheiten der Ozarks im Herzen der USA sah, von wo Siedler die Urbevölkerung zuvor verdrängt hatten. „Wenn ich die Indianer gewesen wäre, hätte ich mehr Weiße skalpiert, bevor ich von dort weggegangen wäre“, schrieb die damals 24-Jährige. Das wäre heute noch eine bemerkenswert provokante Aussage, umso mehr im Jahr 1894 für das in der Wolle gefärbte Kind einer weißen Siedlerfamilie; Überhaupt schwamm Ingalls zeitlebens gegen den Strom.

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Laura Ingalls mit 17 Jahren
Zu gut, um wahr zu sein?
Auch Literaturhistoriker konnten nicht glauben, dass der bis ins Alter in einfachsten Verhältnissen lebenden Ingalls die Texte wirklich selbst eingefallen waren. Bisher war gemutmaßt worden, dass in Wahrheit ihre Tochter, die Schriftstellerin Rose Wilder, die Bücher der Mutter verfasst hatte. Die postum entdeckten Erinnerungen an Ingalls erste Jahre als Ehefrau von Almanzo Wilder („The First Four Years“, 1971) hatten mit diesem Mythos zwar schon aufgeräumt - er hielt sich aber dennoch, weil er den Literaturwissenschaftlern besser in den Kram passte.
Die Idee, dass die alte, ungebildete Farmersfrau von ihrer akademisch geschulten Tochter als Vertreterin einer neuen Generation der Nach-Siedler-Ära zum Publizieren ermuntert wurde, war für viele offenbar zu verlockend symbolhaft. In Wahrheit war es umgekehrt, und Ingalls diente ihrer Tochter als - oft auch bekämpftes - Vorbild. Der literarische Erfolg stellte sich jedenfalls ohne jede Absicht ein, und das für Ingalls erst als 63-Jährige.
Finanzkrach als Grundstein für literarischen Ruhm
Ingalls lebte da schon lang auf einer großen und einträglichen Farm in Mansfield im US-Bundesstaat Missouri. Die selbstbewusste Frau hatte Almanzo nur unter der Bedingung geheiratet, dass sie höchstens fünf Jahre mit ihm in der Prärie als Farmerin leben würde und das Paar es dann zu etwas „Ordentlichem“ gebracht haben müsse. Umgekehrt hielt sie ihm später eisern die Treue, als ihr geraten wurde, den kurz nach der Eheschließung infolge einer Diphterie-Erkrankung dauerhaft Behinderten doch zu verlassen, weil er sie nicht mehr ernähren könne.

AP
Die „Laura“ aus der „Farm“-TV-Serie, Melissa Gilbert
Laura und Almanzo hatten es also „geschafft“: Die Farm warf sogar so viel ab, dass man Geld anlegen konnte - bis zum Börsenkrach im Jahr 1929, durch den die Familie auf einmal wieder mittellos war. Das war der Auslöser für Ingalls’ Entschluss, mit ihren Kindheitserinnerungen bei Verlegern hausieren zu gehen. Dass sie schreiben konnte, wusste sie schon: Aus Vorträgen für andere Farmersfrauen waren in den Jahren davor zuerst Beiträge für örtliche Zeitungen und schließlich die regelmäßige Kolumne „Wie es eine Farmersfrau sieht“ geworden.
Erste Gehversuche im Hühnermist
Schrieb Ingalls anfangs über Kochrezepte, die Feinheiten der Hühnerzucht und folkloristische Veranstaltungen aus der Gegend, wurde die Kolumne später immer politischer und behandelte alle möglichen Themen von der beginnenden Emanzipation bis hin zu den Geschehnissen des Ersten Weltkriegs im fernen Europa. Auch ihre Erinnerungen waren alles andere als Kinderkram und wurden gerade deshalb von allen Verlegern abgelehnt.
Ingalls entschloss sich schließlich, ihre Erinnerungen zum Kinderbuch umzuarbeiten. Das erste Buch der „Little House in the Prairie“-Serie erschien im Jahr 1930. Der Titel wurde erst im letzten Moment geändert. Eigentlich hätte das Buch den verstaubten Titel „Als Oma ein kleines Mädchen war“ tragen sollen, doch auch da setzte sich Ingalls wieder durch. Bis zum Jahr 1943 sollten sieben weitere Bücher der Serie aus Ingalls’ Feder folgen, die bis heute in über 40 Sprachen übersetzt wurden.
Späten Ruhm ausgekostet
Ingalls konnte ihren späten Ruhm noch auskosten. Bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 1957, drei Tage nach ihrem 90. Geburtstag, fuhrwerkte die rüstige Dame auf ihrer Farm herum und genoss es, die inzwischen in Bussen anreisenden Fans persönlich zu begrüßen und mit ihnen zu plaudern. Almanzo war acht Jahre zuvor im Alter von 92 Jahren gestorben, ihre Tochter starb zehn Jahre später. Sie hinterließ keine Nachkommen, was jahrelange Prozesse um die Rechte an den Büchern auslöste, die erst in den 2000er Jahren mit einem Vergleich endeten.
Lukas Zimmer, ORF.at
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