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Kritik an mangelndem Zusammenhalt

ÖVP-Obmann, Finanzminister und Vizekanzler Michael Spindelegger tritt zurück. Das gab er Dienstagvormittag bei einer überraschend anberaumten Pressekonferenz im Finanzministerium bekannt. Mit dem heutigen Tage trete er von all seinen Ämtern zurück.

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Er werde seine Funktionen als Vizekanzler, Finanzminister und ÖVP-Obmann zurücklegen. Wer ihm nachfolgen wird, ist noch nicht klar. Spindelegger wurde zuletzt immer wieder parteiintern kritisiert. Mehrere schwarze Landeshauptleute hatten den Kurs der Bundespartei gerügt und mehr Tempo bei der Steuerreform gefordert.

„Loyalität und Paktfähigkeit“ vermisst

Spindelegger erläuterte seinen Rücktritt mit der aktuellen Steuerreformdebatte. Hier habe er Loyalität und Paktfähigkeit vermisst. „Loyalität und Paktfähigkeit fordere ich von allen ein, auch vom Regierungspartner.“ Man sei „an einem Punkt angelangt, wo ich mir schuldig bin, diesen Schritt zu setzen“, begründete er seinen Rücktritt. Die Entlastung der Steuerzahler sei nötig, aber „zum richtigen Zeitpunkt“, so der Finanzminister mit Verweis auf den nach wie vor hohen Staatsschuldenstand.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) wurde nach Angaben seiner Sprecherin Dienstagfrüh von Spindelegger über den bevorstehenden Rücktritt informiert. Stellung nehmen wird der Kanzler dazu Dienstagmittag im Pressefoyer nach dem Ministerrat, das er diesmal allein bestreiten wird. Spindelegger wird am Ministerrat nach Angaben seiner Sprecherin nicht mehr teilnehmen.

„Zusammenhalt nicht mehr da“

Die unterschiedlichen Standpunkte zur Steuerreform mit dem Koalitionspartner hätte er noch durchgestanden, sagte Spindelegger, aber auch in der eigenen Partei würden nun jene die Oberhand gewinnen, die „auf den Populismuszug“ aufspringen. „Wenn der Zusammenhalt nicht mehr da ist, ist auch der Moment gekommen, das Ruder zu übergeben“, meinte Spindelegger bei der Pressekonferenz.

Eine Steuerreform jetzt wäre nur mit neuen Schulden oder neuen Steuern möglich, das sei für ihn nicht gangbar, so Spindelegger. Alle Regierungsmitglieder, Landeshauptleute und Abgeordnete würden die Zahlen zum Schuldenstand kennen. „Ehrlichkeit gegenüber den Menschen ist mir besonders wichtig.“

Schon mehrmals knapp vor Ablöse

In den vergangenen Monaten war Spindelegger schon mehrmals parteiintern in der Kritik gestanden, mehrmals hieß es, sein Rücktritt stehe bevor. Doch er schaffte es immer wieder, seine Position zu halten, auch weil es in der Partei keine Einigkeit darüber gab, wer ihn ersetzen könnte. Erste Kritik war schon nach der Nationalratswahl im Herbst des Vorjahres laut geworden. Im Jänner flammte der Streit erneut auf: Vor allem die „Westachse“ der ÖVP begehrte auf, Reibungspunkt war vor allem die die starre Haltung in der Bildungspolitik. Mit Müh und Not konnte sich die Partei noch einmal zusammenraufen.

Doch schon im Februar ging es mit einem Streit die Reform der „GmbH light“ und den Finanzausgleich weiter. Auch in Sachen Steuern wollte die Kritik nicht abreißen. Ein schlechtes Abschneiden der ÖVP bei der EU-Wahl könnte Spindelegger den Kopf kosten, hieß es. Doch noch einmal konnte sich der ÖVP-Chef retten.

Wer folgt nach?

Dass er so lange Parteichef war, verdankte er also wohl dem Umstand, dass es wenige Alternativen gab, wer die vielschichtigen Interessenlagen zwischen Bünden und anderen austarieren könnte. Nun muss sich die ÖVP dieser Frage stellen: Immer wieder genannt wird Außenminister Sebastian Kurz. Ihn jetzt schon an die Spitze zu stellen und möglicherweise zu „verheizen“ gilt aber als riskant.

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner gilt als Sachpolitiker, er wollte sich bisher dem Vernehmen nach das Amt nicht antun - auch weil er weiß, dass er wohl nicht die ganze ÖVP hinter sich hätte. Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter weiß zwar mit frischen Ideen zu überraschen, er galt zuletzt aber noch als zu unerfahren und unbekannt.

„Sicher keine einfachen“ Jahre

Spindelegger war seit 2011 Vizekanzler und ÖVP-Obmann. Dem Finanzministerium stand er seit Dezember 2013 vor. Über seine Jahre an der Parteispitze resümierte Spindelegger, dass diese „sicher keine einfachen“ gewesen seien. Er hob allerdings u. a. ein respektables Ergebnis bei der Nationalratswahl und die Bestätigung des ersten Platzes bei der EU-Wahl unter seiner Führung hervor. Auch mit seinen Leistungen im Finanzressort sei er „durchaus zufrieden“.

Er habe sicher Fehler gemacht und den einen oder anderen vielleicht beleidigt, gekränkt oder verletzt, dafür wolle er sich entschuldigen. Das sei sein letzter Auftritt vor den Medien, sagte Spindelegger, bevor er sich - ohne Fragen zuzulassen - verabschiedete. Seine Nachfolge blieb damit offen.

Mitterlehner verschlossen zu Nachfolgegerüchten

Mitterlehner drängte in einer ersten Reaktion auf eine rasche Klärung des weiteren Vorgehens. Das sei nötig, um „die Handlungsfähigkeit der Regierung sicherzustellen“, sagte Mitterlehner vor dem Ministerrat, wo er als Sprecher des verbleibenden ÖVP-Regierungsteams fungierte. Dienstagabend werde der Parteivorstand zusammenkommen und über die Nachfolge Spindeleggers diskutieren. Besprechen wird man dabei laut Mitterlehner auch die weitere Vorgehensweise in Sachen Steuerreform, also die Frage, ob man einen „Sparkurs“ oder einen „Offensivkurs“ fahren wolle. Die Umsetzung werde dann Sache des neuen Finanzministers sein, so Mitterlehner.

Die restlichen ÖVP-Minister nahmen indessen hinter Mitterlehner Aufstellung und hielten sich selbst mit Kommentaren zur Lage der Partei zurück. Es sei alles gesagt, meinte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter, der zuletzt vor allem für den Verzehr österreichischen Obstes geworben hatte, hielt einen Apfel in die Höhe und meinte: „An apple a day keeps all Kummer away.“

„Kann bei uns nicht so weitergehen“

Angesprochen auf die Gerüchte, dass er selbst womöglich Spindelegger in einer oder mehreren seiner Funktionen nachfolgen könnte, verwies er auf die weiteren Sitzungen. Es sei üblich, das „intern zu diskutieren“. Der Rücktritt des Vizekanzlers ist für ihn jedenfalls kein Grund, die Koalition mit der SPÖ infrage zu stellen. Im Gegenteil, gerade jetzt sei Stabilität nötig, so Mitterlehner.

Selbstkritisch äußerte sich der Klubobmann und jetzige Zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf. „Es kann bei uns nicht so weitergehen, dass wir alle drei Jahre einen neuen Parteiobmann brauchen“, so Kopf am Rande des Forums Alpbach. „Ich bedauere den Rücktritt sehr“, so Kopf.

Faymann hofft auf Koalition bis 2018

Faymann erwartet nach dem Rücktritt keine Neuwahlen. „Ich gehe davon aus, die Koalition hält bis 2018“, sagte Faymann am Dienstag. Regierungsmitglieder der SPÖ hoffen auf eine baldige Nachbesetzung des Finanzministerpostens. Sowohl Sozialminister Rudolf Hundstorfer als auch der neue Infrastrukturminister Alois Stöger und Staatssekretärin Sonja Steßl zeigten sich vor dem Ministerrat überrascht über die plötzliche Personalentscheidung beim Koalitionspartner.

„Es ist seine Entscheidung, und er wird die Gründe dafür haben“, kommentierte etwa Hundstorfer Spindeleggers Rücktritt von dessen Funktionen. „Ich nehme an, er hat es sich nicht leichtgemacht.“ Ein drohendes Ende der Koalition sieht der Sozialminister nach wie vor nicht. Es gebe lediglich Auseinandersetzungen in Sachfragen wie zuletzt beim Thema Steuerreform.

FPÖ fordert Neuwahlen

Die FPÖ schrieb ist in einer ersten Reaktion, es sei klar, dass mit dem Rücktritt Spindeleggers die Regierung „am Ende“ sei, so Parteichef Heinz-Christian Strache. „Was wir derzeit von SPÖ und ÖVP erleben, kann nur als innenpolitische Chaostage bezeichnet werden.“ Er forderte sofortige Neuwahlen. Das Einzige, was Faymann und Spindelegger unterscheide, sei die Parteidisziplin, „denn ohne diese wäre der SPÖ-Chef auch schon fällig für einen Rücktritt gewesen“, sagte Strache.

Glawischnig hofft auf Kurskorrektur in ÖVP

Grünen-Chefin Eva Glawischnig sieht im Rücktritt von Spindelegger die Chance, dass die ÖVP ihren „Kurs als Hauptblockierer“ korrigiere. Spindelegger habe gerade bei der Steuer- und Bildungsreform „extrem konservative Hardliner-Positionen“ bezogen, meinte Glawischnig. Anzurechnen sei Spindelegger, dass er nach der Nationalratswahl neue, interessante Persönlichkeiten in die Regierung geholt habe, mit wenig Rücksicht auf die Proporzwünsche - dafür zahle er jetzt auch sicher den politischen Preis, so Glawischnig.

Nicht überrascht vom Rückzug Spindeleggers zeigte sich Team-Stronach-Klubobfrau Kathrin Nachbaur. „Mit tut sein Rücktritt deshalb leid, weil es mir sehr gefallen hat, dass er bei den Vermögenssteuern stark dagegengehalten hat“, meinte sie in einer Aussendung. Österreich brauche jetzt einen Finanzminister, „der etwas von Wirtschaft versteht und bereit ist, die dringend notwendigen Steuerreformen für unser Land rasch umzusetzen“.

Überrascht gab sich dagegen NEOS-Chef Matthias Strolz, zeigte aber Verständnis. „Wenn die Landesparteichefs so wie zuletzt die innerparteiliche Meinungsbildung über die Medien erledigen, dann kann das nicht gutgehen.“ Er bedankte sich bei Spindelegger und wünschte sich eine Rundumerneuerung sowohl bei der ÖVP als auch der SPÖ.

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