Gemeinsame Front mit Bagdad
In der irakischen Provinz Anbar haben die Mitglieder von mehr als 25 sunnitischen Stämmen gegen die Dschihadisten zu den Waffen gegriffen. Der Stammesführer Scheich Ahmed Abu Rischa, der zu den Anführern des Aufstands gegen den Islamischen Staat (IS) gehört, sagte am Freitag, die gemeinsame Front aller Stämme sei seit Wochen geschmiedet worden.
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Die Meldung kommt überraschend, da sich viele sunnitische Stämme bisher beharrlich geweigert hatten, sich gegen IS-Kämpfer zur Wehr zu setzen - sie fürchteten, damit der verhassten schiitischen Führung in Bagdad in die Hände zu spielen. Doch mit dem Rücktritt des schiitischen Regierungschefs Nuri al-Maliki dürften nun die letzten Zweifler befriedet worden sein. Und die IS-Kämpfer sind längst zum weit größeren Übel für die Provinzen geworden.
Der Pakt mit dem Teufel
Als die Terrorgruppe IS (vormals Islamischer Staat im Irak und in Syrien, ISIS) über die Grenze von Syrien in den Irak einfiel, musste sie kaum Widerstand fürchten. Die Stammesführer sorgten dafür, dass die Soldaten der irakischen Armee ihre Waffen kampflos fallen ließen und rasch das Weite suchten. „Das ist eine Revolution gegen die Ungerechtigkeit und Ausgrenzung der vergangenen elf Jahre“, zeigte sich Scheich Khamis al-Dulaimi, Mitglied im Militärrat der Stammesrevolutionäre, vor zwei Monaten noch euphorisch über den Siegeszug der IS-Kämpfer.
Doch rasch mussten selbst Malikis Erzfeinde erkennen, dass die IS-Gruppierungen unkontrollierbar geworden waren. Sie zerstörten Moscheen und islamische Heiligtümer und bedrohten sunnitische Stammesführer, die sich nicht unterordnen wollten, mit dem Tod. Zudem verkündete die Terrorgruppe ihre eigenen Vorschriften, die selbst konservativsten Irakern zu radikal waren: Diebstahl soll mit der Amputation von Gliedmaßen bestraft werden, das Rauchen von Zigaretten unter Androhung drakonischer Strafen verboten werden, und im westlichen Irak sollen übliche Schreine und Grabsteine zum Gedenken der Verstorbenen gesetzlich untersagt werden.
Ende der Pattstellung in Bagdad
Nun könnten die IS-Kämpfer jedoch erstmals ernsthafte Gegner bekommen. Anbars Polizeichef Ahmed Saddak erklärte, auch die irakischen Sicherheitskräfte würden sich hinter die Stammesführer stellen und den „Aufstand für die Befreiung der Provinz“ unterstützen. Unterstützung erhält Rischa auch von einem der mächtigsten sunnitischen Führer, Ali Hatem Suleiman. Suleiman erklärte, es bestehe die Möglichkeit, dass die Sunniten wie schon 2006 und 2009 im Kampf gegen Al-Kaida die schiitische Regierung unterstützen könnten.
Eine gemeinsame Regierung liegt nun an Malikis designiertem Nachfolger, Haidar al-Abadi. Dieser gehört zwar ebenfalls wie Maliki der schiitischen Dawa-Partei an, kündigte aber eine Politik der nationalen Einheit des Landes an. Eine neue Regierung gilt als Voraussetzung, um den Vormarsch der Terrorgruppe in großen Teilen des Landes stoppen zu können.
Weitere US-Luftangriffe nach Massaker
Doch vorerst geht das Blutvergießen im Irak weiter. IS-Kämpfer sollen in einem jesidischen Dorf im Nordirak ein Massaker angerichtet haben. Die Extremisten hätten in dem Ort Tel Kudscho in der Sindschar-Region mindestens 80 Männer getötet, berichtete die kurdische Nachrichtenagentur Basnews. Andere jesidische Quellen sprachen von etwa 100 Toten. Die USA starteten daraufhin erneut Luftangriffe gegen die Extremisten im Irak. Eine Kampfdrohne habe in der Nacht auf Samstag zwei Fahrzeuge der IS zerstört, teilte das US-Militär mit.
Moschee gesprengt
In der Stadt Dschalawla nördlich von Bagdad sprengten die Dschihadisten eine schiitische Moschee in die Luft und töteten den Muezzin. Nach Angaben der Polizei hätten IS-Kämpfer den Muezzin, der die Muslime zum Gebet ruft, festgenommen, die schiitische Gebetshalle in die Luft gejagt und den Mann vor den Trümmern des Gebäudes öffentlich erschossen. Augenzeugen bestätigten die Erschießung.
Die Stadt war am Montag nach zweitägigen Gefechten mit kurdischen Peschmerga-Milizen eingenommen worden. Dabei wurden mindestens zehn kurdische Milizionäre getötet. In der Ortschaft Sajed Ahmad nördlich von Dschalawla töteten IS-Kämpfer den Angaben zufolge sechs Polizisten. IS erobert seit Anfang Juni große Gebiete im Norden, im Zentrum und im Westen des Irak und kontrolliert auch mehrere Regionen im benachbarten Syrien.
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