Tagelang im Gebirge ohne Wasser
Mit Beginn der US-Luftschläge gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS, früher ISIS) im Irak wird zugleich die internationale Hilfe für die verfolgten Bevölkerungsgruppen verstärkt. Im Irak sind über eine Million Menschen auf der Flucht, zeigen Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM).
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Mehr als die Hälfte ist seit dem Vormarsch der Islamisten, die Andersgläubige mit dem Tode bedrohen, auf der Flucht. Die IS-Milizen sind in kurdisches Gebiet vorgestoßen und bedrohen die Hauptstadt der autonomen Kurdenregion Erbil. Die UNO trifft nun Vorbereitungen für einen humanitären Korridor, um Hilfsbedürftigen die Flucht aus den bedrohten Gebieten zu ermöglichen, erklärte der UNO-Sonderbeauftragte für den Irak, Nikolaj Mladenow. Über einen durch bewaffnete kurdische Kräfte geschützten Korridor konnten bereits 10.000 Jesiden in Sicherheit gebracht werden.
Nahrungsmittel aus der Luft
Rund 50.000 Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden waren tagelang ohne Wasser und Nahrung in den Bergen nördlich der Stadt Sindschar festgesessen. Die Stadt war vergangenen Samstag von IS-Kämpfern erobert worden. Laut UNICEF starben dort schon 40 Kinder unter anderem an Wassermangel. Die USA begannen bereits mit dem Abwurf von Hilfsgütern.
Wie das US-Verteidigungsministerium mitteilte, wurden erste Hilfsgüter erfolgreich am Sindschar-Gebirge aus Flugzeugen abgeworfen. Dabei handelte es sich um Nahrungsmittel und Wasser. Das Internationale Rote Kreuz stellte medizinische Hilfe für rund 4.000 dehydrierte Jesiden zur Verfügung. Sie hatten sechs Tage ohne Essen und Wasser in den Bergen überlebt, bevor sie fliehen konnten. Mittlerweile schickte auch Großbritannien Flugzeuge, um Lebensmittel für die Bevölkerung abzuwerfen. Mit den Nahrungsmitteln sollen vor allem die Jesiden unterstützt werden.
Irakische Regierung: Hunderte Frauen von IS gefangen
Nach Angaben des Sprechers des irakischen Menschenrechtsministeriums, Kami Amin, halten IS-Milizen Hunderte jesidische Frauen unter 35 Jahren fest. Sie würden in Schulen in Mossul gefangen gehalten: „Wir glauben, dass die Terroristen die Frauen nun als Sklaven sehen und bösartige Pläne für sie haben“, fürchtet Amin gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Die USA bestätigten auf Basis von Geheimdienstberichten, dass einige jesidische Frauen entführt worden seien, damit diese verkauft oder verheiratet werden könnten.
Dauer der Luftangriffe bleibt offen
Wie lange die Luftangriffe dauern sollen, lässt das Weiße Haus offen. Allerdings bekräftigte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Josh Earnest, am Freitag, dass „ein langwieriger militärischer Konflikt mit einer Beteiligung der USA“ für Obama nicht in Frage komme. Schon am Donnerstag hatte Obama in seiner Ansprache betont, dass er keine Bodenkampftruppen in den Irak schicken werde: „Als Oberbefehlshaber werde ich es nicht zulassen, dass die USA in einen weiteren Krieg im Irak hineingezogen werden.“ Nach einer ersten Welle am Freitag bestätigte das US-Verteidigungsministerium am Abend, zwei weitere Luftangriffe auf IS-Stellungen geflogen zu sein.

APA/AP
Die USA starteten am Freitag erste Luftschläge in der Nähe von Erbil
Internationale Rückendeckung für Obama
Obamas Vorstoß, mit Luftbombardements gegen die Extremisten insbesondere im Nordirak vorzugehen, wird vom Westen wie etwa in Großbritannien unterstützt. Der britische Premier David Cameron schloss eine direkte Beteiligung britischer Flieger an den Luftschlägen aus, er will sich aber mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen beteiligen. Obama hatte den Schritt begründet, dadurch einen Völkermord verhindern zu wollen.
Auch Frankreich erklärte sich am Freitag bereit, Verantwortung zu übernehmen. „Die internationale Gemeinschaft kann die Gefahr nicht ignorieren, die der Vorstoß dieser terroristischen Gruppe darstellt“, erklärte der französische Präsident Francois Hollande. Man werde international gemeinsam Maßnahmen diskutieren, um „dem Leiden der Zivilbevölkerung ein Ende zu setzen“.
Deutschland stellte sich ebenfalls hinter die USA. „Luftschläge scheinen kurzfristig das einzige Mittel, um ein Vorrücken von ISIS zu stoppen und Fluchtwege zu öffnen“, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier gegenüber Reuters.
Kritik von Republikanern
Nach dem Eingreifen der US-Luftwaffe erwartet auch die irakische Armee schnelle Erfolge. „In den kommenden Stunden wird es enorme Veränderungen geben“, sagte der irakische Armeechef Babaker Sebari am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Die US-Armee greife IS-Stellungen in der Region Machmur südwestlich der Kurdenhauptstadt Erbil und in der Region Sindschar nahe Syrien an. „Der Einsatz soll in von IS kontrollierten Städten weitergehen“, sagte Sebari.
Nach dessen Angaben arbeiten irakische Offiziere und kurdische Peschmerga-Kämpfer mit der US-Armee bei der Auswahl der Angriffsziele zusammen. Die Kampfjets starteten Militärkreisen zufolge vom US-Flugzeugträger „George H. W. Bush“, der im Juni wegen der Krise in den Golf beordert worden war. Außerdem wurden 700 US-Soldaten in den Irak geschickt, um Diplomaten und US-Einrichtungen zu schützen sowie Stärken und Schwächen des irakischen Militärs zu analysieren.
In den USA selbst stößt Obama auf Widerstand. Die Republikaner kritisieren Obamas Vorgehen. Die Luftangriffe seien zwar „angemessen“, so der republikanische Vorsitzende im Repräsentantenhaus, John Boehner. Er sei aber „bestürzt über die anhaltende Abwesenheit einer Strategie“ des Weißen Hauses, um die „große Bedrohung“ durch die Dschihadisten zu stoppen.
Auswirkungen auf Flugverkehr
Als Folge der Luftangriffe verhängte die US-Luftfahrtbehörde FAA ein ziviles Flugverbot über den Irak. Viele Routen für Langstreckenflüge von Europa in den Nahen Osten und nach Asien führen durch den irakischen Luftraum. Die türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines erklärte am Freitag, ihre Verbindungen in die Kurdenhauptstadt Erbil aus „Sicherheitsgründen“ einzustellen. Auch die Fluggesellschaft Etihad aus Abu Dhabi fliegt Erbil bis auf Weiteres nicht mehr an. Die AUA sowie ihre Mutter Lufthansa stellen ebenfalls ihre Flüge von Wien bzw. von Frankfurt am Main nach Erbil vorübergehend ein. Das teilte AUA-Sprecher Peter Hödl der APA am Freitagabend mit.

AP/Khalid Mohammed
Der Damm in Mossul, eine der wichtigsten Infrastruktureinrichtungen der Region, auf einem Archivbild von 2007
IS erobert Mossul-Staudamm zurück
Im Zuge der heftigen Kämpfe konnte die IS nun den heftig umkämpften größten Staudamm des Landes bei Mossul einnehmen. Freitagabend wurde die Eroberung von kurdischer Seite bestätigt. Der Staudamm ist einer der wichtigsten Infrastruktureinrichtungen der Region. Mit der Eroberung erlangten die Dschihadisten wieder die Kontrolle über die Wasser- und Stromversorgung weiter Landesteile. Mit den Wassermassen des Stausees könnten sie auch große Städte überfluten, so die Befürchtungen.
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