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Angriffe und Hilfsgüter aus der Luft

US-Präsident Barack Obama hat Luftangriffe auf die radikalislamische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zum Schutz amerikanischer Militärangehöriger und bedrohter Minderheiten im Nordirak genehmigt. Zugleich kündigte er am Donnerstagabend (Ortszeit) in Washington an, die USA hätten mit dem Abwurf von Hilfsgütern begonnen, um die in der Region vor den sunnitischen Extremisten geflüchteten Menschen zu unterstützen.

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Der US-Präsident betonte, dass er sich die Entscheidung für Luftangriffe nicht leichtgemacht habe. „Ich nehme keine Entscheidung so ernst wie jene zum Einsatz militärischer Gewalt“, sagte Obama. Schließlich hätten die Vereinigten Staaten „andere Werkzeuge in unserem Arsenal“. Doch es gehe um den Schutz religiöser Minderheiten, ein Völkermord müsse verhindert werden, sagte Obama. Das Vorgehen der IS-Kämpfer bezeichnete er als „barbarisch“.

Irakische Soldaten

Reuters

Irakische Soldaten sichern ein Gebiet

Keine Bodentruppen

Drei Jahre nach der Beendigung des umstrittenen Militäreinsatzes im Irak unterstrich Obama zudem, dass er keine Bodentruppen ins Zweistromland schicken werde. „Wir werden keinen weiteren Krieg im Irak führen“, sagte er. Luftangriffe habe er insbesondere für den Fall autorisiert, dass IS-Kämpfer gegen die Stadt Erbil vorrücken sollten, in der sich auch US-Militärberater befänden, sagte Obama. Luftangriffe seien auch möglich, wenn die Kämpfer gegen die ins Sindschar-Gebirge geflüchteten Jesiden vorgingen. Es werde sich aber um „gezielte Operationen“ handeln. Er nannte keine Einzelheiten.

Kämpfe nahe Sinjar

Reuters

Rauch über einem Dorf, in dem gekämpft wird

Briten planen kein Eingreifen

Der britische Premierminister David Cameron begrüßte die Entscheidung von Obama, Luftangriffe zu genehmigen. Er sei „extrem besorgt“ über die verzweifelte Lage Hunderttausender geflüchteter Iraker, sagte Cameron am Freitag. Er verurteile die „barbarischen Taten“ der IS-„Terroristen“ in der Region. Eine Sprecherin des Premierministers betonte zugleich, Großbritannien plane selbst kein militärisches Eingreifen. Wegen des Vormarsches der radikalen Islamisten erteilte der Iran eine Transitgenehmigung für türkische Lkws auf den Weg in den Nordirak. Die iranische Regierung stimmte damit am Freitag einer entsprechenden Anfrage des türkischen Wirtschaftsministeriums zu.

Erste Hilfsgüter abgeworfen

Mit der Eroberung der Stadt Mossul im Juni hatten sich die IS-Milizen in der Region festgesetzt. Zunächst starteten sie den Vormarsch auf Bagdad und bekämpften vor allem Schiiten. Zuletzt rückten die Extremisten aber auch immer weiter in Richtung Norden an die Grenzen der Autonomieregion Kurdistan und damit in christliche und jesidische Gebiete vor. Zehntausende sind dort auf der Flucht.

Flüchtlinge in einer Kirche

AP/Khalid Mohammed

Irakische Christen suchen Zuflucht in einer Kirche im nordirakischen Erbil

Wie das US-Verteidigungsministerium mitteilte, wurden erste Hilfsgüter erfolgreich am Sindschar-Gebirge aus Flugzeugen abgeworfen. Dabei handelte es sich um Nahrungsmittel und Wasser. Die bedrohten Menschen im Irak hätten sich lange gefragt, wann Hilfe komme. „Heute kommt Amerika zu Hilfe“, sagte Obama. „Wenn wir die Möglichkeit haben, ein Massaker zu verhindern, dürfen wir nicht wegschauen.“ Obama fügte aber ausdrücklich hinzu: „Als Oberkommandierender der Streitkräfte werde ich es nicht zulassen, dass die Vereinigten Staaten in einen weiteren Krieg im Irak gezogen werden."  

Patriarch warnt vor Völkermord

Hunderttausend Menschen flohen nach Angaben des Patriarchen der chaldäisch-katholischen Kirche, Louis Rafael I. Sako, am Donnerstag zum Teil zu Fuß aus ihren Heimatdörfern im Norden. "Wie bei einem Exodus oder vergleichbar mit einem Kreuzweg flüchten Christen zu Fuß in der sengenden Sommerhitze des Irak in die kurdischen Städte Erbil, Duhok und Sulaimanija, unter ihnen auch kranke und alte Menschen, Kinder und Schwangere.“ Das sei nicht nur eine humanitäre Katastrophe, es drohe vielmehr ein Völkermord - mehr dazu in religion.ORF.at.

Erst am Wochenende hatten die sunnitischen Extremisten das Hauptsiedlungsgebiet der kurdischen Minderheit der Jesiden überfallen und laut Augenzeugen viele von ihnen getötet. Im Sindschar-Gebirge sind nach UNO-Angaben 200.000 Menschen vor IS auf der Flucht, die dringend Wasser, Essen und Medizin benötigen. Papst Franziskus rief die internationale Gemeinschaft in einem flammenden Appell zu einem verstärkten Einsatz für die Menschen in der Region auf.

Damm bei Mosul

AP/Khalid Mohammed

Der Damm in Mossul, eine der wichtigsten Infrastruktureinrichtungen der Region, auf einem Archivbild von 2007

IS-Kämpfer eroberten den größten Staudamm des Irak und erlangten damit die Kontrolle über Wasser- und Stromversorgung weiter Landesteile. Der Staudamm nahe Mossul sei seit der Nacht in der Hand der Dschihadisten, sagte ein Sprecher der kurdischen Peschmerga-Truppen, die die wichtige Anlage zuvor bewacht hatten.

Kurden schließen erstes Ölfeld

Der Vormarsch der Islamisten im Nordirak hat zur Schließung eines ersten Ölfeldes in der autonomen Kurdenregion geführt. Der Ölkonzern Afren teilte am Freitag mit, dass er vorsorglich die Arbeit an der Anlage Barda Rasch bis auf weiteres eingestellt habe. Alle nicht zwingend benötigten Mitarbeiter würden abgezogen.

Erst am Donnerstag hatten die beiden US-Ölmultis Exxon Mobil und Chevron erklärt, einige Mitarbeiter in dem Gebiet in Sicherheit zu bringen. Die Lieferungen durch die kurdische Pipeline in die Türkei sind Insidern zufolge bisher von den Kämpfen unbeeinträchtigt. Der Konflikt trieb aber den Ölpreis in die Höhe.

Steinmeier: Neue Dimension des Schreckens

Die deutsche Regierung stellte 2,9 Millionen Euro für die Bewältigung des Flüchtlingsdramas im Irak zur Verfügung und stellte auch weitere Hilfe in Aussicht. „Es ist klar, dass das nicht reichen wird und wir sehen müssen, was wir darüber hinaus tun können“, erklärte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Freitag. Die Ermordung, systematische Vertreibung und Zwangskonversion von Christen, Jesiden und anderen Minderheiten durch die Terroristen der IS bedeuteten eine „neue Dimension des Schreckens“.

Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrats

Der UNO-Sicherheitsrat hatte zuvor das brutale Vorgehen der sunnitischen Extremistengruppe scharf verurteilt. „Wir müssen prüfen, ob die Attacken Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Dann müssen die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden“, sagte der derzeitige Ratspräsident, Großbritanniens UNO-Botschafter Mark Lyall Grant, nach einer Sondersitzung des Sicherheitsrates in New York.

Das Gremium rief die internationale Gemeinschaft auf, der Bagdader Regierung beizustehen. „Wir sind empört, dass Zehntausende Menschen zur Flucht gezwungen wurden“, hieß es in der Erklärung. „Alle Seiten müssen zusammenarbeiten, um die Souveränität, Einheit und Unabhängigkeit des Irak zu sichern.“

Der irakische UNO-Botschafter Mohammed Ali al-Hakim sagte, die Situation im Nordirak habe sich extrem verschlechtert, „es handelt sich im Grunde um eine humanitäre Katastrophe“. Nötig sei deshalb Hilfe für die Zivilisten. „Das ist Priorität Nummer eins, das ist nötig. Über alles andere kann man in Ruhe nachdenken.“

Tauziehen um Regierungschef geht weiter

In der Hauptstadt Bagdad dauerte derweil der Streit über das Amt des Regierungschefs an. Wie das unabhängige Nachrichtenportal Sumaria News meldete, soll das Parlament erst am Sonntag wieder zusammenkommen, um über die Wahl des Ministerpräsidenten zu beraten. Ob dann tatsächlich abgestimmt wird, ist offen. Die Frist, binnen derer Präsident Fuad Massum einen Politiker mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen muss, endete eigentlich Donnerstag.

Wegen des Irak-Konflikts kam es auch in Deutschland zu Ausschreitungen. Im westfälischen Herford brach zwischen IS-Sympathisanten und kurdischen Jesiden Gewalt aus. Nach Angaben der Polizei hatten zunächst radikale Islamisten eine Gruppe jesidischer Männer angegriffen, die mit einem Plakat zu einer Demonstration gegen die Übergriffe auf ihre Glaubensgemeinschaft im Irak aufgerufen hatten. Die Polizei nahm sechs Männer fest, die überwiegend aus Tschetschenien stammen.

Neuer IS-Erfolg in Syrien

IS eroberte nahe der nordsyrischen Stadt Rakka laut Aktivisten eine weitere wichtige Militärbasis. Die IS-Kämpfer hätten nach heftigen Kämpfen und mehreren Selbstmordangriffen in der Nacht auf Freitag den gesamten Stützpunkt der 93. Brigade in ihre Gewalt gebracht, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Demnach halten die Regierungstruppen in der Provinz Rakka nun nur noch den Militärflughafen von Tabka. Schon Ende Juli hatten die IS-Kämpfer die Basis der 17. Division der syrischen Armee im Norden von Rakka erobert.

Bereits am Donnerstag hatte die Beobachtungsstelle berichtet, die Dschihadisten hätten Teile der Basis unter ihre Kontrolle gebracht. Demnach wurden bei den Kämpfen mindestens 36 Soldaten und 15 Dschihadisten getötet. Die Organisation bezieht ihre Angaben von einem Netzwerk in dem Land, diese sind von unabhängiger Seite schwer überprüfbar.

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