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47.000 auf „No Fly“-Liste

Über eine Million Personen werden von den US-Geheimdiensten in einer riesigen Anti-Terror-Datenbank geführt, zumindest 47.000 davon als ernstzunehmende Terrorverdächtige, weswegen sich diese auch auf der „No Fly“-Liste befinden, die Betroffene vom Flugverkehr in den USA ausschließt: Erneut fanden brisante US-Geheimdienstdokumente den Weg an die Öffentlichkeit - von wem, ist derzeit noch offen.

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Außer Frage steht: Mit den jüngsten Enthüllungen ist der seit Februar vom US-Journalisten und Vertrauten des NSA-Aufdeckers Edward Snowden, Glenn Greenwald, betriebenen Plattform The Intercept ein erster großer Coup gelungen. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die brisanten Regierungsdokumente nicht von Snwoden, sondern möglicherweise von einem weiteren Whistleblower stammen könnten. Damit könnte sich nun die bereits in der Vergangenheit getätigte Vermutung des ehemaligen „Guardian“-Journalisten Greenwald bewahrheitet haben, wonach auch weitere US-Geheimdienstmitarbeiter den Weg an die Öffentlichkeit suchen werden.

Weltweite Empörung

Edward Snowden hat vor einem Jahr mit Enthüllungen über das weltweite und millionenfache Sammeln von Telefon- und Internetdaten durch den US-Geheimdienst NSA Empörung ausgelöst. Der Ex-NSA-Mitarbeiter Snowden lebt derzeit in Russland im befristeten Asyl.

Vom US-Sender CNN ist jedenfalls bereits von einem „neuen Enthüller“ die Rede. Derzeit sei noch unklar, über wie viele Daten dieser verfüge und „wie viel Schaden das anrichten könnte“. Da die nun publizierten Daten auf Ereignisse nach Snowdens Flucht ins Ausland im Frühjahr 2013 Bezug nähmen, könnten sie nicht von Snowden stammen, berichtete die „New York Times“ („NYT“).

166 Seiten umfassende Leitlinien

Ersten Einschätzungen eines namentlich nicht genannten Regierungsbeamten zufolge geht es derzeit laut CNN zwar um Material einer geringeren Geheimhaltungsstufe als die Veröffentlichungen Snowdens. Dennoch geben die mit Verweisen wie „Secret“ (geheim) und „NOFORN“ (keine Ausländer) versehenen Dokumente einen bisher nicht bekannten Einblick in die Anti-Terror-Datenbank der US-Geheimdienste. Dazu kommen unter dem Titel „March 2013 Watchlisting Guidance“ auch die 166 Seiten umfassenden Leitlinien, die erklären, wie und warum die gelisteten Personen überhaupt auf die Anti-Terror-Liste kamen.

In der als Terrorist Identities Datamart Environment (TIDE) bezeichneten Datenbank werden mittlerweile 1,1 Millionen Menschen gelistet, denen zumindest Verbindungen zum internationalen Terrorismus zugetraut werden. Nach Angaben der „Washington Post“ sei die gesammelte Datenmenge erst nach dem vereitelten Sprengstoffattentat des „Unterhosenbombers“ auf ein US-Flugzeug beim Landeanflug auf Detroit zu Weihnachten 2009 sprunghaft gestiegen.

Kein gutes Licht werfen die jüngsten Enthüllungen laut The Intercept auch auf die Präsidentschaft von Barack Obama. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang etwa auf die „No Fly“-Liste, auf der sich 2001 offenbar lediglich 16 Personen befanden. CBS News berichtete zwar bereits 2006 von einer auf 44.000 Namen angewachsenen Liste - diese sei nach einem öffentlichen Aufschrei der Empörung bis 2009 allerdings wieder auf 4.000 Namen gestutzt worden. Bis 2013 sollten sich schließlich, so The Intercept weiter, dennoch wieder 47.000 Menschen auf der umstrittenen Liste finden.

430.000 Neuzugänge vs. 50.000 Löschungen

Den Angaben zufolge seien von der US-Anti-Terror-Zentrale (National Counterterrorism Center, NCTC) allein seit 2010 430.000 neue Datensätze von mutmaßlichen Terrorverdächtigen angelegt worden. Lediglich 50.000 Personen seien im gleichen Zeitraum aus der Datenbank gelöscht worden. Unter Federführung des Geheimdienstes CIA seien die Datensätze in den vergangenen Jahren unterdessen auch verstärkt mit biometrischen Daten ergänzt worden. 2013 sollen sich demnach bereits 860.000 Daten, darunter neben Fingerabdrücken unter anderem auch Iris-Scans, von insgesamt 144.000 Personen in den Datensätzen finden.

Erst im vergangenen Monat berichtete The Intercept, wie leicht Menschen ins Visier der US-Terrorfahnder geraten können. Bereits ein nicht näher zu begründender „angemessener Verdacht“ reiche aus, um auf die Liste potenzieller Extremisten gesetzt zu werden. „Unwiderlegbare Beweise“ oder „konkrete Fakten“ seien „nicht nötig“, bestimmt das Regelwerk. Die Betroffenen haben keine Möglichkeit herauszufinden, ob sie auf der Liste stehen.

Die Website der Snowden-Enthüller

The Intercept ist eng mit den Snowden-Enthüllungen verknüpft. Neben Greenwald zählt auch Dokumentarfilmerin Laura Poitras zu den Gründungsmitliedern. Den beiden übergab der ehemalige US-Geheimdienstler Snowden zuerst seine vertraulichen Dokumente. Seitdem treiben beide die Enthüllungen maßgeblich voran.

Zum Gründungsteam der im Februar gestarteten Website gehört auch der US-Journalist Jeremy Scahill, der das Buch „Dirty Wars“ über das Vorgehen der US-Regierung im Kampf gegen den Terror geschrieben hat. The Intercept wird von dem Mitgründer der Onlinehandelsplattform eBay, Pierre Omidyar, finanziert. Omidyar stellte zur Gründung eine viertel Million Dollar zur Verfügung. Das brachte dem Projekt Kritik vonseiten der Enthüllungsplattform WikiLeaks ein - denn der Zahlungsdienstleister PayPal, der zu eBay gehört, blockiert seit Jahren Zahlungen von Unterstützern an WikiLeaks.

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