Tove, „Tooti“ und die Mumins
Eigentlich gehört diese Frau beinahe zwei Nationen. Den Finnen und den Schweden. Wer dieser Tage Berichte über Tove Jansson in schwedischen Medien liest, der liest viel von ihrem Leben und Janssons Lieblingsorten. Worte wie „Finnland“ oder „finnisch“ kommen selbst im „Svenska Dagbladet“ bestenfalls in Bildunterschriften vor. Jansson selbst, die am 9. August ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte, hätte jede Vereinnahmungstendenz wohl eher gelassen hingenommen. Von frühestem Kinderalter an wurde sie vor allem zur Weltoffenheit erzogen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
In Helsinki bzw., um in Janssons Muttersprache zu bleiben, Helsingfors wurde die spätere Künstlerin und Frauenrechtlerin geboren. Im Hafenviertel Katajanokka wuchs sie in einem kreativen Elternhaus auf und wurde in ihren künstlerischen Bestrebungen früh gefördert. Die in diesen Tagen im Ateneum in Helsinki gezeigte Werkschau zu Tove Jansson stellt demgemäß eine Künstlerin vor, die neben ihrer schriftstellerischen Arbeit vor allem als Malerin die expressiven und koloristischen Stile des frühen 20. Jahrhunderts wie ein Schwamm aufgesogen hat.
Kosmopolitische Bildung
Jansson, die auch ihrem Vater, etwa für die Bronzeskulptur „Convolvulus“ im Kaisaniemi-Park, Modell stand, durfte in Helsinki und Stockholm Kunst studieren. Gleichzeitig führten sie Bildungsreisen nach Frankreich wie Italien. Janssons Sommer wirken wie ein Postkartenidyll aus einem Kitschroman: Auf der kleinen, steinigen Schäreninsel Klovharu vor Helsinki verbrachte sie ihre spartanischen Sommer und zelebrierte ihre Liebe für das Meer. Berühmt sollten die Bilder von ihr und ihrer Lebensgefährtin „Tooti“, der Künstlerin Tuulikki Pietilä, werden, in der sie ab 1955 ihre Partnerin fürs Leben gefunden hatte.
In ihrem Helsinkier Atelier entstehen mit Jansson ganz eigenwillige Troll-Interpretationen ab 1945: die Mumins. Was mit „Mumins lange Reise“ („Smatrollen och den stora översvämningen“, 1945) und einer losen Kinderbuchserie beginnt, sollte sich spätestens seit einem Serien-Comicstrip-Auftrag durch die Associated Press Mitte der 1950er Jahre zu einem Welterfolg wie mittlerweile erfolgreichen Merchandise-Business entwickeln.

Antti Havukainen unter by
„Wir lieben die Mumins“, sagt Finnair und setzte 2006 auf die Trolle mit dem guten Herz als Flugbotschafter
Die Mumins springen auf
Finnair-Flieger mit den Mumins drauf, finnische Schokolade mit Mumins und jede Menge Porzellan mit Mumin-Motiven bevölkern mittlerweile finnische Geschäftslokale. Wer in Finnland landet, landet nicht nur im Ittala-Marimekko-Universum, sondern irgendwie auch im Mumins-Land - so erfolgreich hat man die kleinen Trolle aus der Feder Janssons mittlerweile vermarktet. Auch wenn Jansson dieser Tage in vielen Medien mit Sätzen zitiert wird, dass ihr der Erfolg der Mumins zu viel wurde, sie ging als Künstlerin schon sehr früh Kooperationen mit finnischen Firmen ein, um ihrem Kunstschaffen auch ein zusätzliches ökonomisches Standbein zu geben.
Die Zusammenarbeit der Künstlerin mit finnischen Firmen beginnt Ende der 1930er Jahre, etwa mit dem finnischen Süßwarenhersteller und Kaffeerestaurant-Betreiber Fazer.

ORF.at
Arabia, Muurla oder Ittala: Fast jeder finnische Keramikhersteller ist schon Mumins-Lizenzpartnerschaften eingegangen
Jansson zeichnet auch Werbung selbst
Bereits 1937 habe Jansson, so erinnert die Firma Fazer, ein Restaurant von Fazer dekoriert, und für das schwedischsprachige Satiremagazin „Garm“ zeichnete Jansson die Fazer-Werbungen, die im Magazin geschaltet wurden, selbst. Mumins, die für Fazer warben, stammten auch aus der Feder Janssons. Dieser Tage legt man alle Produkte in Verpackungen, die an die Zeichnungen Janssons erinnern. Hauptzielmarkt dabei: Japan.
Bemerkenswert an den Mumins ist nicht nur ihre didaktische Ausrichtung, sind doch die kleinen Trollwesen mit dem nilpferdartigen Körper auf zwei Haupteigenschaften ausgelegt: Neugierde und Entdeckerlust auf der einen Seite, Toleranz auf der anderen. Die Eigenschaften ihrer Figuren hat Jansson aus der Bekanntschaft bestimmter Typen, ja enger Freunde abgeleitet.
Mumrik und der Freund Atos Kasimir
Bei Mumrik (original: Snusmumriken) etwa soll der eigenbrötlerische enge Freund Atos Kasimir Wirtanen, ein finnischer Linksintellektueller und Kulturkritiker, nicht nur wegen seines grünen Schlapphutes Pate gestanden haben. Doch auch andere Figuren waren politisch aufgeladen.
Als der erste Mumins-Cartoon im Jahr 1947 in der Wochenzeitschrift „Ny Tid“ erschien, musste er bald wieder eingestellt werden. Grund: Der Muminpapa trug für die Leser des damals noch zur schwedischsprachigen linken Vorfeldorganisation Demokratiska Förbundet för Finlands Folk gehörenden Blattes zu stark „bourgeoise Züge“, wie viele Leser kritisierten.
AP-Auftrag wird zum Sprungbrett
Von der Associated Press bekam Jansson zu Beginn der 1950er Jahre das Angebot, die Geschichte der Mumins als Comic-Strip auf Englisch zu verfassen. Der erste Strip dieser bis zum heutigen Tag erfolgreichsten finnischen Comicserie erschien 1954 in den „Evening News“. In 40 Ländern sollte der Mumins-Comic veröffentlicht werden und damit zur Popularisierung der kleinen Trolle mit den guten Herzen beitragen.

picturedesk.com/TT News Agency/Bo-Aje Mellin Bam
Tove Jansson bei der Entwicklung der Mumins-Figuren für eine TV-Produktion
Und für finnische Unternehmen sind die Mumins ein Multiplikator geworden, um sowohl die eigene Marke zu positionieren als auch die Signatur zu stärken, dass die Produkte aus Finnland sind. Gleich drei namhafte finnische Keramikhersteller sind Kooperationen mit der Oy Moomin Characters Ltd. eingegangen, die seit dem Tod von Jansson die Copyrights an den Mumins verwaltet. Ittala produzierte im Jahr 2004 Keramikbecher mit einem 50er-Jahre-Mumins-Werbesujet aus der Feder von Tove Jansson. Heute wird der Becher unter Sammlern in einer Preishöhe von 5.000 Euro gesammelt. Die Keramikfirma Arabia Finnland und die Glasmanufaktur Muurla vertreiben bis in die Gegenwart ihre finnischen Designlinien auch mit Sujets von den Mumins.
Mumin-Zielland Japan
Finnair wiederum verzierte einige Flieger mit Mumins-Sujets, transportierte die trolligen Nilpferde als Kulturbotschafter in die Welt und hat, wie man auf Nachfrage von ORF.at sagt, längerjährige Kooperationen mit der Firma Moomin laufen. In Japan unterhält Finnair einen eigenen Mumins-Shop, um die eigene Marke mit Hilfe der Trolle öffentlichkeitswirksam zu positionieren.

Corbis//Nippon News/AFLO/Rodrigo Reyes
Mumins-Restaurant in Japan: Die größten Fans der Mumins sitzen in Fernost
Tove Jansson wurde mit dem Erfolg der Mumins vom ganzen Land nur noch unter dem Namen „Tove“ geführt, ein Umstand, auf den sie mit einem ganz eigenen Zugang reagierte. Alle Bilder, etwa die vielen koloristischen Selbstporträts, die sie anfertigte, zeichnete sie nur noch mit der Signatur Jansson. Auch wenn von Jansson viele glückliche Aufnahmen von ihrem Rückzugsort in der Ostsee zirkulierten und das Bild einer emanzipierten, glücklichen Frau präsentieren, kämpfte sie doch als Künstlerin zunehmend mit der doppelten Rolle: Auftragsarbeiterin rund um die Mumins zu sein, Geschichten und Zeichnungen zu entwerfen, und auf der anderen Seite ihre unabhängige Künstlerrolle als Malerin und Autorin zu leben.
Bis 7. September kann man im Ateneum in Helsinki in einer großen Werkschau vor allem letztere, außerhalb Finnlands unbekanntere Seite von Tove Jansson kennenlernen.
Eine „politisch Radikale“
„Sie war ein Mensch, der die ganze Welt umfasste und sie zwischen den Händen hielt“, sagte der Regisseur und Schriftsteller Lars Löfgren über sie. Für ihre Enkelin, Sophia Jansson, bleibt wieder das Bild einer unbändigen Kämpferin für die Freiheit und auch den persönlichen Eigensinn in Erinnerung, wie sie dem „Svenska Dagbladet“ sagte: „Als Feministin. Als politisch Radikale. Aber auch als jemand, der seinen Partner nicht nach Geschlecht, sondern nach Gefühlen aussucht. Ob derjenige, den sie liebte, ein Mann oder eine Frau war, hatte weniger Bedeutung.“
Finnland feiert dieser Tage Tove Jansson mit dem Bild einer blumenbekränzten Frau, die glücklich im Meer schwimmt. Mit ihrem Leben steht Jansson auf jeden Fall für die eigenständige finnische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Mit ihren Brüchen. Und auch den zwei Sprachen und Kulturen, die sich unter einer Landesflagge finden.
Gerald Heidegger, ORF.at
Links: