Teile der Ex-UdSSR „wieder einsammeln“
Wenn Dimitri Olegowitsch Rogosin, stellvertretender russischer Ministerpräsident, twittert, wird es meist grob. Insbesondere seit die Beziehungen zwischen Moskau und der EU und den USA wegen der Ukraine-Krise auf einem neuen Tiefpunkt angelangt sind, führt er seinen Feldzug über den Kurznachrichtendienst. Vielleicht ein Mitgrund für den Ehrgeiz: Rogosin steht persönlich auf der Sanktionsliste.
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In seiner jüngsten Botschaft in 140 Zeichen legte Rogosin - auch bildlich - dar, was Russland und die USA bzw. ihre politische Führung voneinander unterscheidet. Er veröffentlichte eine Fotomontage, auf der links Kreml-Chef Wladimir Putin und rechts US-Präsident Barack Obama zu sehen sind. Putin sitzt in einem Raubtiergehege und hat einen jungen Leoparden auf dem Schoss, Obama steht vor einer Studioleinwand mit dem Lincoln-Memorial im Hintergrund und hält einen kleinen weißen Hund.
US-Debatte über „weichen“ Obama
Die Botschaft dazu: „Wir haben unterschiedliche Werte und Verbündete“ - da ein Raubtier, dort ein Schoßhündchen. Damit nicht genug, hatte das US-Magazin „New Yorker“ schon am Donnerstag eine Debatte darüber zusammengefasst, ob denn Obama „hart“ genug sei. Der Titel: „No more Mr. Tough Guy“ („Kein harter Kerl mehr“). Ein Kommentator des konservativen TV-Senders Fox News habe erklärt, Obama habe „Angst vor Wladimir Putin“. Die Website The Daily Caller habe ihn als „ersten weiblichen Präsidenten“ tituliert. Sie wird von einem früheren Berater des republikanischen Politikers Dick Cheney, unter George W. Bush bis 2009 US-Vizepräsident, betrieben.
Rogosin träumt vom großen Russland
Rogosin hatte seine Sichtweise der Dinge in Sachen Großmachtpolitik bereits im März nach der russischen Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim, mit der die Ukraine-Krise endgültig eskalierte, erklärt. Die „unipolare Weltordnung“ sei mit diesem Schritt Vergangenheit, sagte er gegenüber der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti und sprach von einer „Wiedergeburt des russischen nationalen Selbstbewusstseins“.
Der 50-jährige frühere Botschafter bei der NATO gilt als glühender Nationalist, war Vorsitzender der nur kurz bestehenden Partei Rodina (Vaterland bzw. Heimat) und musste dort wegen rassistischer Entgleisungen seinen Sessel räumen. Später engagierte er sich in der Bewegung Welikaja Rossija (Großes Russland), einer Vereinigung unterschiedlicher nationalistischer Kräfte. Ende 2011 wurde er Putins Stellvertreter.
Welches Russland ihm für die Zukunft vorschwebt, machte Rogosin mehrfach klar. Gegenüber der RIA Novosti hatte er nach der Krim-Annexion auch erklärt, die Russen seien „das größte geteilte Volk, denn 17,5 Prozent aller Russen leben außerhalb Russlands“. Mit dem Referendum pro Moskau zuvor habe „ein bedeutender Teil dieses Volkes Mut gezeigt und sich mit Russland wiedervereinigt“. Geht es nach ihm, war das aber noch lange nicht die Endstation.
Stalingrad statt Wolgograd
Mitte Juni erklärte er via Twitter, fast ein Vierteljahrhundert nach dem Zerfall der UdSSR sei es an der „Zeit, die Teile einzusammeln“. Anlass seiner Mitteilung war der 24. Jahrestag einer „Souveränitätserklärung“ des damals noch sowjetischen Russlands. Eineinhalb Jahre nach dieser „Souveränitätserklärung“ folgte im Dezember 1991 die Unabhängigkeit Russlands, was mit dem Verschwinden der Sowjetunion einherging. Der 12. Juni ist in Russland ein nationaler Feiertag.
Nicht einmal eine Woche davor hatte der stellvertretende Regierungschef laut darüber nachgedacht, der Stadt Wolgograd wider ihren alten Namen Stalingrad zurückzugeben. Das sollte „nicht zu Ehren Stalins“ (des früheren kommunistischen Diktators Josef Stalin, Anm.) geschehen, sondern zu Ehren der Einwohner der Stadt, schrieb Rogosin wiederum auf Twitter.
Putin reagierte zuerst positiv auf die Idee, die Stadt, in der die Rote Armee 1943 die 6. Armee der deutschen Wehrmacht in die Knie gezwungen hatte, in Stalingrad rückumzubenennen, später wurde ihm das Thema anscheinend aber doch zu „heiß“. Er wolle sich „nach der Entscheidung der Bewohner richten", zitierte ihn die russische Nachrichtenagentur ITAR-TASS. Nach dem Krieg wurde die von der deutschen Luftwaffe weitgehend zerstörte Stadt wiederaufgebaut und 1961 im Rahmen der Entstalinisierung in Wolgograd umbenannt. Bis 1935 hatte sie Zarizyn geheißen.
Provokation im Transnistrien-Konflikt
Im Mai ließ Rogosin mit der Erklärung aufhorchen, er habe nach einem Besuch in Transnistrien eine Petition nach Moskau geschmuggelt, in der eine Anerkennung des von Moldawien abtrünnigen Gebiets durch Russland gefordert werde. Trotz einer Durchsuchung durch Sicherheitskräfte auf dem Flughafen der moldawischen Hauptstadt Chisinau habe er einen Großteil von Kisten mit Unterschriften zu der Petition außer Landes bringen können, schrieb Rogosin - diesmal im Sozialen Netzwerk Facebook. Transnistrien hatte im Jahr 1990 seine Unabhängigkeit von der Republik Moldawien erklärt. Der Großteil der Bevölkerung ist russischsprachig, Moskau hat seit mehr als 20 Jahren Truppen in Transnistrien stationiert. Sie gehören teils zusammen mit Soldaten aus Moldawien und Transnistrien zu einer trinationalen Friedenstruppe, die seit dem Ende blutiger Kämpfe um das Gebiet im Jahr 1992 die Konfliktzone überwacht.
„Luftkrieg“ mit Rumänien
Ebenfalls im Mai hatte sich Rogosin einen Twitter-Schlagabtausch mit der rumänischen Regierung geliefert. Er drohte mit Überflügen strategischer Bomber, sollte Rumänien seinen Luftraum für ihn sperren. Der rumänische Ministerpräsident Victor Ponta erklärte daraufhin, er würde Rogosins Maschine notfalls auch per Kampfjet abdrängen lassen. Danach wurde ihm tatsächlich der Überflug verweigert. Der rumänische Präsident Traian Basescu fragte sich, „wie viele Gläser Wodka Rogosin getrunken hatte", bevor er drohte „beim nächsten Mal an Bord einer TU 160“ (eines russischen Langstreckenbombers) zu fliegen.
Rogosin fragte retour, wie viele Gläser denn der rumänische Präsident selbst geleert habe, „um sich Mut zu machen“. Rogosin war im März vom EU-Gipfel neben elf weiteren Personen auf die Sanktionsliste gesetzt worden. Seither wurden schrittweise insgesamt 95 Personen mit Einreiseverboten und Kontensperren belegt, außerdem stehen 23 Unternehmen auf einer schwarzen Liste der EU: Ihnen sind Geschäfte in der Union untersagt.
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