Fast fünf Prozent der Wirtschaftsleistung
Die bisherigen und noch weitere EU-Wirtschaftssanktionen werden Russland heuer und kommendes Jahr fast 100 Mrd. Euro kosten. Das berichtete das Internetportal EUobserver am Montagabend unter Berufungen auf EU-Kreise. Der Schaden für Russland werde heuer 1,5 Prozent und nächstes Jahr sogar 4,8 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes betragen oder 23 bzw. 75 Milliarden Euro in absoluten Zahlen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
In relativen Zahlen deutlich geringer werden die Schäden für die europäische Wirtschaft veranschlagt. Die negativen Auswirkungen werden heuer 0,3 Prozent (40 Mrd. Euro) und kommendes Jahr 0,4 Prozent (50 Mrd. Euro) des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU betragen, berichtet EUobserver.
Auch der Chefökonom der Bank Austria, Stefan Bruckbauer, hatte am Montag im APA-Gespräch gesagt, dass die wirtschaftlichen Schäden der Sanktionen für Russland größer wären als für die EU. „Europa hat weniger zu verlieren. Es würde im Fall eines Handelskriegs ein bis zwei Quartale in die Rezession fallen. Doch Russland würde sich fünf Jahre nicht erfangen. Das haben wir durchgerechnet.“
Experte warnt vor Krieg
Der Russland-Experte Gerhard Mangott befürchtet, dass EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland einen „direkten russisch-ukrainischen Krieg“ auslösen könnten. Wenn der Kreml nichts mehr zu verlieren habe, könnte er seine Position „verhärten“, schreibt Mangott in einem Gastkommentar für die „Wiener Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe).
„Die Sanktionen werden Russlands Wirtschaft vehement schaden“, betont Mangott. Ein Einlenken Moskaus im Ukraine-Konflikt sei aber „nicht sicher“. „Vielmehr ist das Risiko hoch, dass es seine Position verhärten könnte. Wenn es nichts mehr zu verlieren hat, kann es die bewaffnete Auseinandersetzung auch eskalieren. Die Kämpfe in der Ostukraine könnten zu einem direkten russisch-ukrainischen Krieg werden“, argumentiert der Innsbrucker Politikwissenschaftler.
Moskau würde sich ins eigene Fleisch schneiden
Mittelfristig könnte die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage durch die Sanktionen zwar dazu führen, dass die Unzufriedenheit mit der Kreml-Führung zunehme, doch auch das „muss nicht so sein“. „Die Leidensfähigkeit der Russen angesichts des ausländischen Drucks ist bekannt.“ Auch sei derzeit die „Partei des Krieges“ in Russland deutlich stärker.
Wirtschaftliche Gegenmaßnahmen Russlands müsse die EU nicht fürchten. Moskau könne der EU nämlich nicht schaden, „ohne sich damit viel härter zu schaden“, schreibt Mangott. „Russland könnte daher einen anderen Adressaten für Gegenmaßnahmen suchen: die Ukraine.“ Moskau könnte nicht nur die schon eingeführten Handelsbeschränkungen „deutlich ausweiten“, sondern „als stärkstes Instrument“ auch mit der Ausweisung ukrainischer Gastarbeiter beginnen. Damit würde die wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine noch teurer als bisher geplant. „Das wäre ein sehr hoher Preis, den die EU zahlen müsste.“
Höherer Leitzins soll Kapitalflucht entgegenwirken
Russland stemmt sich indes mit höheren Leitzinsen gegen die Kapitalflucht. Die Zentralbank in Moskau erhöhte den Schlüsselzins am Freitag überraschend um einen halben Punkt auf acht Prozent. Sie begründete die Entscheidung mit der Sorge vor einer anziehenden Inflation sowie geopolitischen Spannungen. Wegen seiner Rolle im Ukraine-Konflikt hat der Westen Russland mit Sanktionen belegt, die bereits in den vergangenen Monaten den Aktienmarkt des Schwellenlandes belasteten und zu einem Kursverfall des Rubel führten.
IWF: 100 Mrd. könnten abfließen
Der Ukraine-Konflikt hat dem IWF zufolge die Kosten für Finanzierungen im Ausland erhöht und die Kapitalflucht verschärft. Der IWF hält im laufenden Jahr einen solchen Abfluss von rund 100 Milliarden Dollar für möglich. Im ersten Halbjahr sind laut russischer Zentralbank inzwischen fast 75 Mrd. Dollar netto abgeflossen. Die Gesamtsumme im vergangenen Jahr betrug knapp 63 Mrd. Dollar. Der IWF hatte der russischen Notenbank bereits Anfang des Monats eine Zinserhöhung empfohlen, um die Preissteigerungen in Schach zu halten. Die Inflationsrate war im Juni mit 7,8 Prozent weit über das Ziel der Notenbank hinausgeschossen.
Zugleich schrumpft die Wirtschaftsleistung des rohstoffreichen Riesenreichs: Zum Vormonat verringerte sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Juni um 0,2 Prozent. Wie das Wirtschaftsministerium weiter mitteilte, legte das BIP zum Vorjahresmonat um 0,6 Prozent zu. Noch im Mai war das Plus mehr als doppelt so groß.
IWF warnt vor Rezession
Russland droht eine Rezession. Der IWF sagte der Wirtschaft des Landes Anfang Juli nur noch ein Wachstum von 0,2 Prozent in diesem Jahr voraus - mehr als ein Prozentpunkt weniger als bei der vergangenen Prognose. „Die geopolitischen Spannungen haben die russische Wirtschaft zum Stillstand gebracht“, heißt es in dem IWF-Länderbericht. Ohne eine Entschärfung des Konflikts sowie im Falle neuer Sanktionen drohe deshalb eine Rezession.
Auch im kommenden Jahr kann Russland dem Länderbericht zufolge nur ein kleines Wachstum von einem Prozent erwarten. Der Fonds warnte außerdem, das Russlands Einbindung in die Weltwirtschaft Schaden erleiden könnte - das würde die wirtschaftlichen Perspektiven zusätzlich verdüstern.
Beginn bereits 2011
Der IWF-Bericht basiert auf einer Expertenmission in das Land, die aber schon Ende April ihren Abschluss fand. Den Volkswirten zufolge verstärken die negativen Auswirkungen der Ukraine-Krise eine Abbremsung der Wirtschaft, die bereits 2011 einsetzte und von strukturellen Schwächen verursacht worden sei. Daher seien entsprechende Reformen ein Schlüssel für bessere Zeiten.
Der IWF-Bericht stellt zudem das russische Wirtschaftsmodell grundsätzlich in Frage. Das basiere auf Energieexporten und steigenden Preisen in diesem Bereich und biete deshalb nicht länger eine verlässliche Basis für die Zukunft. Der Staatshaushalt ist bereits von einem Überschuss im Jahre 2012 in die Defizitzone abgerutscht und wird dort dem Fonds zufolge bis auf Weiteres bleiben. „Es gibt den Bedarf für ein neues (Geschäfts-)Modell“, folgerte der Währungsfonds.
BP: „Stark nachteilige Wirkung“ von Sanktionen
Der Ölkonzern BP, aufs Engste mit dem russischen Staatskonzern Rosneft verflochten, war am Dienstag der erste große Player, der sich offen gegen weitere Sanktionen gegen Russland aussprach. Sanktionen könnten „eine stark nachteilige Wirkung“ auf die Geschäftsbeziehungen mit Rosneft und die Finanzlage von BP haben, teilte das Unternehmen im Bericht über das zweite Quartal 2014 am Dienstag in London mit. Nach einem Aktientausch gehören BP rund 20 Prozent des staatlichen russischen Ölkonzerns, den die USA bereits mit Sanktionen belegt haben.
Links: