Von der Hymne zum Rocksong
Sie gehören zwar nicht zu den Staatssymbolen, sind aber für das Selbstbewusstsein der US-Bundesstaaten kaum minder bedeutend als Flagge und Siegel. 49 der 50 Bundesstaaten der USA besitzen mindestens einen offiziellen „State Song“, und noch immer kommen neue hinzu.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
John Denver hätte sich wohl gefreut. Siebzehn Jahre nachdem der Countrysänger bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, erklärte West Virginia Denvers Welthit „Take Me Home, Country Roads“ zum offiziellen „State Song“. Im März dieses Jahres stimmte die große Mehrheit der Abgeordneten im Parlament des US-Bundesstaats für einen entsprechenden Antrag.
Ein Lied erobert die Herzen
Der Parlamentsentschluss verwundert dabei weniger als die Tatsache, dass es so lange dauerte, bis sich West Virginia zu diesem Schritt durchrang. Schließlich gilt der 1971 veröffentlichte Song schon lange als eigentliche Hymne des Bundesstaats. Mit „Almost Heaven, West Virginia“ setzt die Countryballade ein und besingt tief in den Schmalztopf greifend die Schönheit der Natur und die Sehnsucht nach der Heimat. Der Song ist so populär, dass die Bewohner West Virginias ihren Staat mittlerweile selbst als „Almost Heaven“, „fast der Himmel“, bezeichnen.
Das 2001 zum Countrysong des Jahrhunderts gewählte „Country Roads“ ist allerdings nicht das einzige offizielle Lied West Virginias. Seit 1963 besitzt der Bundesstaat bereits drei weitere „State Songs“ und ist mit einer solchen Auswahl an Staatsliedern in den USA nicht allein.
Ein Lied reicht nicht
Gut die Hälfte der US-Bundesstaaten hat gleich mehrere Musikstücke mit offiziellem Charakter versehen und dabei zum Teil überraschend detaillierte Differenzierungen vorgenommen. Massachusetts hat zwischen 1981 und 2000 nicht nur eine Staatshymne, sondern ebenso einen „State Song“, einen „State Folk Song“, einen „State Ceremonial March“, einen „State Patriotic Song“, einen „State Glee Club Song“, eine „State Polka“ und eine „State Ode“ ernannt.
Ähnlich differenziert geht es in Oklahoma zu. Dort finden sich neben dem offiziellen Song noch ein Walzer, ein Folksong und seit 2009 ein Rocksong. Letzterer ist freilich auch außerhalb der Grenzen Oklahamos bekannt: „Do You Realize“ der aus Oklahoma stammenden Flaming Lips ist fixer Bestandteil jeder besseren Indie-Plattensammlung. Noch bekannter ist wohl noch „Hang on Sloopy“, dem das Parlament von Ohio 1985 den Status des offiziellen Rocksongs verlieh.
Ein Lied schreibt Geschichte
Dass diese Hits einzig die Herkunft der Künstler mit den jeweiligen Bundesstaaten verbindet, kümmerte die Gesetzgeber wenig. Doch auch bei Liedern, deren Bedeutung auf der Hand zu liegen scheint, muss die augenscheinliche Verbindung zum Bundesstaat einer genaueren Betrachtung nicht zwingend standhalten. Prominentestes Beispiel: „Georgia on My Mind“, das der gleichnamige Bundesstaat in der Interpretation von Ray Charles zum „State Song“ erklärte.
Hatte Hoagy Carmichael, Komponist des Jazzstandards, nun den Bundesstaat oder seine eigene Schwester Georgia im Sinn? Bis heute diskutieren Musikologen über diese Frage, wenngleich sie vor dem Hintergrund der Geschichte eigentlich nebensächlich wird. 1979 entschied sich Georgia für Ray Charles’ Interpretation - gerade einmal zwölf Jahre nachdem der Oberste Gerichtshof der USA den Bundesstaat per Dekret zwingen musste, das Verbot von Ehen zwischen Schwarzen und Weißen aufzuheben.
Links: