Symbolischer Wildwuchs
Der Name macht bereits klar: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Zusammenschluss einzelner Bundesstaaten - mit jeweils eigener Geschichte, Tradition und Symbolen. Letztere erweiterten die Bundesstaaten in den vergangenen Jahrzehnten mit teils erstaunlichem Enthusiasmus und einem besonderen Fokus auf Lebensmitteln.
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Manchmal reicht es offenbar nicht, eine Speise einfach nur gut zu finden. Dann braucht es eine besondere Auszeichnung. Die EU stellt etwa regional und lokal spezifische Lebensmittel unter den Schutz einer Herkunftsbezeichnung - was freilich mehr die Produzenten als die Produkte adelt. In den USA haben die Bundesstaaten einen weiteren Weg für sich entdeckt, um Essen ganz offiziell zu würdigen.
Snack mit staatlicher Auszeichnung
Dabei muss es sich gar nicht um raffinierte oder ausgefallene Gerichte handeln. Auch ein kleiner Imbiss kann bundesstaatliche Bedeutung erlangen. Fünf US-Bundesstaaten sahen bisher einen Snack als so typisch und bedeutsam an, dass sie ihn zum Staatssymbol ernannten. Zuletzt stieß im Mai dieses Jahres New York dazu, als der Senat Joghurt per Gesetz als offiziellen „State Snack“ festschrieb.

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New York hat sich entschieden und Joghurt zum „State Snack“ ernannt
Die Entscheidung nahmen die Abgeordneten nicht auf die leichte Schulter. Der Abstimmung war eine lange und heftige Diskussion zwischen den Abgeordneten vorausgegangen. Mittlerweile hat das Gesetz, das auf den Vorschlag einer Schulklasse zurückging, nach dem Senat auch das New Yorker Unterhaus passiert. Nun fehlt nur noch die Unterschrift des Gouverneurs Andrew Cuomo - ein bekennender Joghurtfan.
Phänomen der Nullerjahre
New York mag damit der jüngste im Bund der Snack-Bundesstaaten sein - eine wirklich lange Tradition können aber auch die anderen „State Snacks“ nicht aufweisen. Laut der News-Website The Wire trägt keine der kleinen Speisen ihren offiziellen Titel schon länger als 15 Jahre. Den Anfang machte 2001 Utah, es hob die Götterspeise - in den USA nach der bekanntesten Marke Jell-O genannt - offiziell in den Staatsrang. „Jell-O ist ein Beispiel für verlässlichen Familienspaß, für den Utah auf der ganzen Welt bekannt ist“, heißt es in dem Gesetzestext.

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Das liegt tatsächlich nahe: Tortillachips als „State Snack“ von Texas
Mag sein, dass Utahs Abgeordnete mit der Entscheidung ihre Kollegen in anderen Bundesstaaten inspirierten. Denn bereits zwei Jahre später zog Illinois nach: Popcorn wurde - ähnlich wie jüngst in New York - auf Vorschlag einer Schulklasse zum „Official State Snackfood“ ernannt. Im gleichen Jahr beschloss auch Texas, einem Imbiss zu Staatsehren zu verhelfen. Zumindest die Wahl des Snacks dürfte den Abgeordneten nicht schwergefallen sein: Die Popularitätswerte von Tortillachips und Salsa reichten „bis in die Stratosphäre“, hält die offizielle Verordnung fest.
Wer denkt an Allergiker?
Auf solch vollmundige Aussagen wollten sich 2006 die Gesetzgeber in South Carolina - durchaus nachvollziehbar - nicht einlassen. Gekochte Erdnüsse mögen für die Einwohner South Carolinas laut Gesetz eine „wahre Südstaatendelikatesse“ sein, außerhalb der Grenzen des Bundesstaates hält sich die Begeisterung für diese Zubereitungsform aber wohl in Grenzen.

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Schön weichgekocht - so mögen die Bewohner von South Carolina ihre Erdnüsse
Darüber hinaus kann der Staatssnack für so manchen gar den histamininduzierten Tod bedeuten. So bekam das Gesetz schließlich noch einen Zusatz verpasst: Keinesfalls gehe mit der Auszeichnung zum Staatssymbol einher, dass Schulkantinen vermehrt Erdnüsse servieren müssten - schon gar nicht an Kinder mit Erdnussallergien.
Potpourri der Lebensmittel
Eine Speise in offiziellen Staatsrang zu versetzen, scheint nicht ganz frei von Tücken. Das hielt bisher freilich viele US-Bundesstaaten nicht davon ab, Staat und Essen miteinander zu verbinden. Neben den fünf Staatssnacks hefteten sich US-Bundesstaaten zahlreiche weitere Lebensmittel sprichwörtlich auf die Fahnen. Insgesamt 133 Punkte umfasst die Liste der „Official U.S. State Foods“ auf Wikipedia. 34 der 50 US-Bundesstaaten haben zumindest ein Lebensmittel mit offiziellem Status versehen. Die Systematik hinter den Ernennungen bleibt dem Beobachter freilich weitestgehend verborgen.
Während sich etwa Maines Gesetzgeber auf ein „State Dessert“ (Blueberry Pie), eine „State Fruit“ (Heidelbeere), einen „State Soft Drink“ (Moxie) und einen „State Treat“ (Whoopie Pie) einigten, gibt sich Pennsylvania mit Chocolate-Chip-Cookies als „State Cookie“ zufrieden. Oklahoma dagegen hat gleich zwölf Lebensmittel in den Staatsrang erhoben und dabei in aller Gründlichkeit die Wassermelone auch als Gemüse eingeordnet.
Staatssymbole als Wirtschaftszuckerl
Bei aller Diversität ist den „State Foods“ aber eines gemeinsam. Der Trend der Bundestaaten, Obst, Gemüse oder ganze Speisen zu Staatssymbolen zu erklären, ist verhältnismäßig jung. 1965 ernannte New Mexico als erster Bundesstaat mit Chillis und gebratenen Bohnen die US-weit ersten beiden „State Vegetables“.
Mag sein, dass das auch mit dem wachsenden Einfluss der Wirtschaft auf die Politik zu tun hat. Schließlich kommt die Ernennung zum Staatssymbol unbezahlbarer Werbung gleich. Don Barrington, Initiator des Wassermelonengesetzes in Oklahamo, erklärte unumwunden, mit seinem Ernennungsvorschlag den Wassermelonenbauern in seinem Wahlkreis unter die Arme greifen zu wollen. Und der New Yorker Senat muss sich nach seinem Joghurtgesetz den Vorwurf gefallen lassen, sich der Milchindustrie anzudienen.
Je kurioser, desto jünger
So richtig in Fahrt kam die Ernennungslust dann in den letzten fünfzehn Jahren - also genau zu jener Zeit, in der auch die fünf „State Snacks“ ihren Ursprung haben. Das gilt im Übrigen für viele weitere Staatssymbole. Denn tatsächlich macht die bundesstaatliche Symbolwut bei Lebensmitteln nicht halt. Und zumeist gilt: je kurioser, desto jünger.
Während etwa viele Staatsvögel aus den Zwanziger- oder Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts datieren, kamen die meisten Staatsamphibien erst rund um die Jahrtausendwende zu ihren Ehren. Auch die beiden Staatsspielzeuge - der Teddybär in Mississippi und das Slinky in Pennsylvania - wurden erst 2001 und 2003 ernannt.

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Seit 2011 ist in Arizona mit dem Colt auch eine Waffe Staatssymbol
Der jüngste Trend sind Staatsfeuerwaffen. Zwischen 2011 und 2013 ernannten Arizona, Indiana, Utah und West Virginia je eine Waffe zum Staatssymbol. Wie schon bei den Snacks war Utah im März 2011 Vorreiter. Doch bereits im April des gleichen Jahres zog Arizona nach und erklärte den „Colt Single Action Army Revolver“ zum offiziellen Staatssymbol - drei Monate nachdem die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords auf einem Supermarktplatz in Tucson, Arizona lebensgefährlich angeschossen wurde.
Martin Steinmüller, ORF.at
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