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„Demonstrieren in Wien gefährlich“

Die Kritik zum Landfriedensbruch-Gesetz ist auch einen Tag nach dem nicht rechtskräftigen Urteil gegen den deutschen Akademikerball-Demonstranten Josef S. nicht verstummt. Die Grünen forderten am Mittwoch die Streichung des Paragrafen, NEOS sprach von einem „Gummiparagrafen“. Die SPÖ will über Änderungen reden, die FPÖ zumindest genauere Bestimmungen. Gegen Änderungen ist die ÖVP.

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SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim insistierte im Ö1-Mittagsjournal am Mittwoch, man müsse über den Straftatbestand Landfriedensbruch diskutieren. Er sieht das grundsätzliche Recht auf Demonstrationsfreiheit durch den Paragrafen „derzeit eingeschränkt“ - mehr dazu in oe1.ORF.at. Nach derzeitiger Gesetzesformulierung macht sich jeder Demonstrant des Landfriedensbruchs schuldig, wenn das Gericht befindet, eine Demo habe auf Gewaltausübung abgezielt und der Teilnehmer habe das wissen müssen.

Verurteilung von Unschuldigen unausweichlich?

Auch Jarolim meint, nach derzeitiger Gesetzeslage könnten aus einer Entwicklung heraus „plötzlich Personen mit dem Vorwurf konfrontiert werden, sie hätten eigentlich erkennen müssen, dass in ihrem Umfeld im Rahmen einer Demonstration Gewalttaten entstehen hätten können“. Damit werde man automatisch „mitschuldig“. Die Grünen plädieren deshalb überhaupt für die Abschaffung des Paragrafen, durch den Unschuldige ins Visier von Strafbehörden kommen, „ohne dass sie sich selbst etwas zuschulden kommen haben lassen“.

NEOS-Justizsprecherin Beate Meinl-Reisinger erklärte im Mittagsjournal, sie halte die Bestimmung, dass, im Fall einer Demo, man sich aus dieser zurückziehen müsse, bevor (an einer anderen Stelle) eine Gewalttat geschehe, für „völlig unmöglich“. Team Stronach, die ÖVP und das Justizministerium wollen allerdings an der derzeitigen Regelung festhalten oder diese durch eine im Wesentlichen gleich gelagerte Nachfolgebestimmung ersetzen.

Selbst FPÖ räumt Reformbedarf ein

Selbst die Bundes-FPÖ kann sich eine „genauere“ Abfassung des Straftatbestandes vorstellen: Es müsse klar sein, dass etwa auf einer Demo Gewalt angewendet wird - und dass sich der Betroffene dazu entschieden habe. Wiens FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus zeigte sich am Mittwoch aber zugleich „froh“ darüber, „dass einmal einer aus der Masse der vermummten Feiglinge gefunden und verurteilt wurde“. Und er werde weiterhin froh sein, „wenn noch mehr von den Gewalttätern zur Rechenschaft gezogen werden“.

Kritik am Verfahren selbst wollten die politischen Parteien keine üben. Empörte Reaktionen dazu gab es jedoch weiterhin von NGOs und Interessenvertretern, etwa seitens der IG Autorinnen Autoren. Es ergebe „kein gutes Bild der österreichischen Rechtsprechung“, wenn „ohne Beweise“ eine Verurteilung ausgesprochen werden könne, damit ein „Exempel statuiert“ werde, so die Gruppe. Noch drastischer fiel das Echo aus dem Ausland aus. Deutsche Zeitungen zeigten sich erschüttert über das Urteil gegen den Deutschen Josef S.

Vernichtendes Echo in deutscher Presse

Der „Spiegel“ (Onlineausgabe) nannte das Urteil einen „Schuldspruch aus Mangel an Beweisen“. Schon die Anklage habe sich gelesen, „als wäre sie mit Schaum vor dem Mund verfasst worden“, kritisiert das Magazin mit Blick auf den verwendeten Begriff „Demonstrationssöldner“. In dem entsprechenden Artikel wird dem Gericht vorgeworfen, das Beweisverfahren von Anfang an in Richtung einer Verurteilung beeinflusst zu haben. Die Berliner „tageszeitung“ titelte unter Anspielung auf nur einen Belastungszeugen im Verfahren sarkastisch: „Ein Zeuge reicht.“

Die „Sächsische Zeitung“ beklagte bereits vor dem Urteilsspruch: „Im Zweifel gegen den Angeklagten.“ Die „Welt“ (Onlineausgabe) geht in ihrem ausführlichen Bericht auch auf die Kritik am Prozess ein. „Man wollte Josef zum Sündenbock machen“, titelte die Zeitung. Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt in ihrem Bericht von „starkem Beweismangel“ in dem Prozess, auch die „Süddeutsche Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) konstatierte „erhebliche Zweifel“ an der Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Der Zürcher „Tages-Anzeiger“ sprach von einem „höchst umstrittenen Prozess“. Es wurde auf Kommentare verwiesen, wonach „in Wien eben jeder seine Unschuld beweisen“ muss. In dasselbe Horn stieß die deutsche Tageszeitung „Neues Deutschland“ (Onlineausgabe): „Die Beweise waren dünn und das Urteil nicht nur für den Beschuldigten hart: Demonstrieren in Wien ist gefährlich geworden.“ Die „Thüringer Allgemeine“ zitierte „bestürzte“ Äußerungen von Politikern des deutschen Heimatbundeslandes von Josef S.

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