Schöffen folgen Staatsanwaltschaft
Nach drei Verhandlungstagen im Prozess gegen Josef S. wegen seiner Rolle bei den Ausschreitungen rund um den Akademikerball haben die Schöffen auf schuldig im Sinne der Anklage entschieden. Am Dienstag um 16:30 Uhr verkündete Richter Thomas Spreitzer das Urteil.
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Der Schöffensenat verhängte über den jungen Mann eine teilbedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr. Vier Monate wurden unbedingt ausgesprochen, den Rest der Strafe sah das Gericht dem bisher Unbescholtenen unter Setzung einer dreijährigen Probezeit auf Bewährung nach.
Da dem 23-Jährigen die U-Haft auf die Strafe anzurechnen war - der Angeklagte hat seit seiner Festnahme knapp sechs Monate im Gefängnis verbracht -, kam er nach der Verhandlung auf freien Fuß. Während die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtete, meldete die Verteidigung Bedenkzeit an.
Alle drei Anklagepunkte bestätigt
In seinem Urteil bestätigte das Gericht die Vorwürfe der Anklage. Diese zeigte sich bis zuletzt von der Schuld des Angeklagten überzeugt. In seinem Schlussplädoyer hielt Staatsanwalt Leopold Bien an den Anklagepunkten Landfriedensbruch und schwere Sachbeschädigung fest. Den Vorwurf der absichtlichen schweren Körperverletzung wandelte Bien allerdings in versuchte schwere Körperverletzung um. Damit sank das mögliche Strafausmaß von fünf auf drei Jahre.
Das Gericht begründete sein Urteil, im Vertrauen auf die Aussagen des einzigen Belastungszeugen. „Warum glaubt der Senat dem Zeugen? Weil er von Anfang an bei den wesentlichen Punkten gleichlautend aussagt und diese nicht abändert“, so Richter Spreitzer. „Er schreibt im ersten Aktenvermerk schon die wesentlichen Punkte hinein. Dass er manches vergessen hat, ist verständlich - er hatte einen anstrengenden Tag, war in einer Stresssituation.“
Nur ein Belastungszeuge
Der Zivilpolizist, der den Studenten bei gegen Uniformierte gerichteten Gewalttätigkeiten beobachtet haben will, blieb allerdings der einzige Belastungszeuge der Anklage. Im Zentrum des letzten Prozesstages standen nämlich vor allem die Aussagen von zahlreichen Polizeibeamten, die während der Ausschreitungen rund um den Akademikerball am 24. Jänner im Einsatz waren. In teils dramatischen Worten schilderten die Polizeibeamten die Vorgänge auf dem Stephansplatz, nachdem Demonstranten den Polizeikordon durchbrochen hatten.
Allerdings konnte keiner der am Dienstag befragten Polizisten Josef S. identifizieren. Auch sein Pullover mit der weißen Aufschrift „Boykott“, den die Staatsanwaltschaft zu einem zentralen Teil der Beweisführung gemacht hatte, war keinem der geladenen Polizeibeamten aufgefallen.
Verteidigung: Friedlich demonstriert
Dementsprechend betonte Verteidiger Clemes Lahner in seinem Schlussvortrag einmal mehr, dass Josef S. „friedlich, ohne Vermummung“ an der Demonstration gegen den Wiener Akademikerball teilgenommen und kein wie auch immer strafbares Verhalten gesetzt habe. Er beantragte daher einen Freispruch für den 23-jährigen Studenten aus Jena.
2.500 Polizisten hätten den jungen Mann trotz eines markanten Sweaters und einer bei Nacht reflektierenden Hose bei keiner strafbaren Handlung beobachtet. Dass demgegenüber ein einziger Beamter seinen Mandanten belaste, könne nicht Grundlage einer Verurteilung sein, zumal dieser Zeuge „uns berichtet hat, was er sich zusammengereimt hat“, wie Lahner sagte.
Staatsanwalt sah führende Beteiligung als erwiesen
Für die Staatsanwaltschaft war dagegen der Tatbestand des Landfriedensbruchs „ganz klar“ gegeben. Derjenige sei zu bestrafen, „der in einer Menschenmenge verharrt und daraus heraus entsprechende Straftaten begeht“. Nach Biens Dafürhalten sei auch die führende Beteiligung des 23-Jährigen erwiesen, während er einräumte, dem jungen Mann zumindest den Vorsatz in Richtung einer absichtlich schweren Körperverletzung im Zweifel nicht nachweisen zu können. Daher sei dieser lediglich wegen versuchter schwerer Körperverletzung schuldig zu sprechen.
Unmutsäußerungen und lautes Gelächter im bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal erntete Bien, als er den schlaksigen Studenten in die Nähe zum Terrorismus rückte. „Gewalt hat einen Namen: Terrorismus“, stellte Bien fest. Wer politische Forderungen mit Gewalt durchzusetzen versuche, betätige sich in diese Richtung. Der Rechtsstaat müsse sich vor derartigen Auswüchsen schützen. Bei einer Demonstration könne es nicht sein, dass der Großteil friedlicher Demonstranten von „einer kleinen Schar von Chaoten in Geiselhaft genommen wird, denen es darum geht, ihre fundamentale Abneigung gegenüber dem Staat zum Ausdruck zu bringen“, sagte Bien.
Mutter fordert Entschuldigung
Für die Mutter von Josef S. schoss Bien in seinem Schlussplädoyer freilich über das Ziel hinaus. Nach dem Prozess forderte die aus Deutschland angereiste Frau eine öffentliche Entschuldigung des Staatsanwalts. Diese Wortwahl sei „diffamierend“ und habe sie „erschüttert“. Sie und ihr Mann hätten damit gerechnet, dass ihr Sohn nicht freigesprochen wird, „weil das ganze Verfahren hindurch klar war, dass der Aussage des Belastungszeugen Glauben geschenkt wird“ - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Bei der Urteilsverkündung sei ihr schlecht geworden, gestand die Mutter ein: „Ich versuche, mich jetzt erst mal körperlich aufrecht zu halten. Aber ich bin glücklich, wenn ich ihn (ihren Sohn, Anm.) sehe.“ Dieser Wunsch erfüllte sich rund 30 Minuten nach Schluss der Verhandlung, als sich für den 23-Jährigen nach fast sechsmonatiger U-Haft die Gefängnistore öffneten.
Anwälte unzufrieden, aber erleichtert
Mit einem „lachenden und weinenden“ Auge sehen Anwälte von Josef S. das Urteil, wie Anwalt Clemens Lahner bei einer Pressekonferenz am Dienstagabend sagte. Positiv sei, dass der Anklagepunkt der absichtlich schweren Körperverletzung fallengelassen wurde. Die Begründung des Gerichts für das Urteil könne Lahner aber „nicht ganz nachvollziehen“. Grundsätzlich merkte er an, dass er froh sei, dass Josef S. „jetzt aus dem Knast heraußen ist“.
Auch die zweite Verteidigerin Kristin Pietrzyk sagte: „Zwei Herzen schlagen in meiner Brust.“ Juristisch sei sie aber unzufrieden mit dem Urteil. Pietrzyk sagte, man habe nun drei Tage Zeit, zu überlegen, ob das Urteil angenommen wird. Eine Entscheidung werde am Freitag veröffentlicht. Bis jetzt hätte es noch keine Gelegenheit gegeben, die Sache mit Josef S. zu besprechen.
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