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„Mütter von Srebrenica“ klagten

Im Verfahren um das Massaker von Srebrenica hat ein niederländisches Gericht den Staat für den Tod von mehr als 300 muslimischen Männern und Buben zivilrechtlich verantwortlich gemacht. Der Staat trage Mitschuld am Tod der am Nachmittag des 13. Juli 1995 aus dem Lager der niederländischen Blauhelme in Potocari deportierten Männer.

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So lautete das Urteil von Richterin Larissa Elwin am Mittwoch in Den Haag. Geklagt hatte die Vereinigung „Mütter von Srebrenica“, in der Angehörige von Opfern des Massakers im Bosnien-Krieg zusammengeschlossen sind.

Richter im Srebrenica-Prozess

AP/Peter Dejong

Urteil wurde von Gericht in Den Haag gefällt

Die Niederlande seien zwar nicht für den Fall der damaligen UNO-Schutzzone und damit den Tod aller Opfer verantwortlich, urteilte das Gericht. Doch die niederländischen UNO-Blauhelme hätten unrechtmäßig an der Deportation von 300 Männern mitgewirkt, obwohl sie bereits vom drohenden Völkermord wussten.

Angehörige wollen weiter kämpfen

Familienangehörige von Opfern zeigten sich genau von dieser Einschränkung enttäuscht. „Wie ist das möglich, dass die Niederlande für einige Menschen verantwortlich sind, nicht aber für die anderen“, meinte Munira Subasic vom Verband „Mütter von Srebrenica und Zepa“ in einer ersten Reaktion. Der Verband hatte 2007 bei einem Gericht in Den Haag eine auf 300 Seiten verfasste Anklage eingereicht. „Wir werden nicht nachlassen und wenn nötig bis nach Straßburg (zum Menschenrechtsgerichtshof, Anm.) gehen“, so Subasic.

Klägerinnen mit Anwälten vor Gerichtssal

APA/EPA/Bart Maat

Opferangehörige mit Anwälten

Wie der Anwalt des Verbandes, Semir Guzin, nach der Urteilsverkündung gegenüber bosnischen Medien erklärte, gab das Gericht der Klage eben nur für jene 300 Männer statt, die sich im UNO-Stützpunkt Potocari befanden und die am 13. Juli von niederländischen UNO-Soldaten den bosnisch-serbischen Truppen ausgeliefert wurde. Guzin kündigte an, Berufung gegen das Urteil einlegen zu wollen. Das Berufungsverfahren dürfte nach Meinung des Anwaltes etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen.

Kein Widerstand der Niederländer

Bei dem Massaker bosnisch-serbischer Milizen waren in der Kleinstadt Srebrenica binnen weniger Tage mehr als 8.000 muslimische Männer und Buben ermordet worden. Die schlecht ausgerüstete niederländische UNO-Truppe leistete keinen Widerstand, als die Milizen anrückten.

Einem UNO-Bericht zufolge überließ sie alle Beobachtungsposten und Sperren widerstandslos den bosnischen Serben: Vor Augen der dort stationierten niederländischen UNO-Soldaten wurden muslimische Männer aussortiert, um in den darauf folgenden Tagen in der Umgebung der Kleinstadt brutal ermordet zu werden. Muslimische Frauen wurden nach Tuzla, damals unter Kontrolle der muslimischen Truppen ABiH, vertrieben.

Erstes Urteil 2008

Der niederländische Staat wies bisher aber alle Verantwortung für das Massaker zurück, unter anderem weil die Soldaten unter UNO-Führung standen. In diesem Sinne hatte ein Haager Zivilgericht im September 2008 in einem ersten Urteil befunden, dass der niederländische Staat nicht für den Einsatz seiner Truppen zur Rechenschaft gezogen werden könne, da die Soldaten für die UNO im Einsatz waren. Im Berufungsverfahren wurde das Urteil im Juli 2011 aufgehoben.

Wegweisendes Urteil im Vorjahr

Die niederländische Justiz machte dann bereits vergangenen September den Staat haftbar für den Tod von drei Männern in Srebrenica. Das Kassationsgericht in Den Haag bestätigte damals ein früheres Urteil, wonach die mit dem Schutz der UNO-Enklave im Osten Bosniens beauftragten niederländischen Blauhelme die Männer nicht den Serben hätten ausliefern dürfen. Nach diesem Urteil hatten die Niederlande „effektive Kontrolle“ über die UNO-Einheit. Das Massaker ging als folgenschwerstes Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Geschichte ein und wurde als Völkermord eingestuft.

Mit dem neuen Urteil könnten viele Schadenersatzklagen auf die Niederlande zukommen. Es dürfte zudem weitreichende Folgen für künftige UNO-Einsätze haben, weil sich Regierungen dabei mehr zurückhalten könnten.

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