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Jagd auf Fotos als Souvenir

Wer früher die Erinnerung an die Begegnung mit einem Star mit nach Hause nehmen wollte, hat sich von seinem Idol eine Unterschrift mitgeben lassen. In Zeiten von Digitalkamera und Smartphone verliert diese Art des Souvenirs allerdings stetig an Bedeutung. Selfie mit Star heißt das Autogramm von heute.

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Die Haltung ist fast immer dieselbe: der Arm schräg nach vorne gestreckt, der Kopf leicht geneigt, die Augen auf den Bildschirm des Smartphone gerichtet, das die Hand am Ende besagten Arms hält. Kein roter Teppich, kein „Meet and greet“, bei dem diese Pose nicht unzählige Male zu beobachten ist. Wer alles richtig macht, hat am Ende dieser Prozedur ein Foto von sich selbst an der Seite der Stars - und damit ein untrügliches Beweisstück dafür, den Prominenten ganz nahe gekommen zu sein.

Persönliches Andenken

Selfies sind das, was noch vor wenigen Jahren Autogramme waren - nur scheinen sie viel persönlicher, viel echter, viel unmittelbarer zu sein. So ziehen viele Fans mittlerweile das fotografierte dem geschriebenen Souvenir vor.

Sängerin Taylor Swift

Reuters/Carlo Allegri

Niemand will ein Autogramm von Taylor Swift. An der Popularität der Sängerin liegt das aber nicht.

„Ich wurde nicht mehr nach einem Autogramm gefragt, seit das iPhone mit seiner Frontkamera erfunden wurde. Das einzige Andenken, das die ‚heutige Jugend‘ will, ist ein Selfie“, schrieb die US-Musikerin Taylor Swift in einem Gastbeitrag für das „Wall Street Journal“ (Onlineausgabe) - eine Beobachtung, die die sozialen ebenso wie die konventionellen Medien dankbar weiterverbeiteten.

Schließlich ist die Selfie-Fotografie mittlerweile zum fixen Bestandteil der Society-Berichterstattung geworden. Im November kürte das Oxford English Dictionary Selfie zum Wort des Jahres, und vier Monate später wurde Ellen DeGeneres’ Oscar-Selfie zum meistgeteilten Foto auf Twitter - und ist es noch immer.

„Selfie Station“ statt „Autograph Alley“

Swifts Beobachtung, wonach das Selfie dem Autogramm seine Existenz streitig macht, ist freilich nicht ganz neu. Bereits in den vergangenen Monaten stellten englischsprachige Sportmedien die Frage nach dem Tod des Autogramms. Auslöser war ein Tweet des ehemaligen australischen Kricketstars Shane Warne. Nachdem ihn Fans bei seinem Morgenlauf noch vor 8.00 Uhr gleich fünfmal um ein Selfie gebeten hatten, sei er zu dem Schluss gekommen, dass Autogramme tot seien, twitterte Warne Ende Mai.

Der australischen Kricketlegende fiel nicht als einzigem Sportler die neue Fotoleidenschaft der Fans auf - dabei müssen die Fotografierten noch nicht einmal Superstars sein. „Autograph Alley? More like Selfie Station!“, betitelte der US-Frauenfußballclub Houston Dash im Juni ein Foto auf Twitter - darauf Spielerinnen und Fans beim Versuch, sich in einen gemeinsamen Bildausschnitt zu drängen.

„The new pain in the arse“

Doch nicht alle Sportler können sich für die Jagd der Fans nach dem ganz persönlichen Foto begeistern. Vor allem, wenn ihnen die Zuschauer mit ihren Fotoambitionen ganz handfest in die Quere kommen. Als „the new pain in the arse“ (freundlich übersetzt etwa: die neuen Nervensägen) bezeichnete der britische Radrennfahrer Geraint Thomas seine Landsleute, die auf den ersten beiden Etappen der diesjährigen Tour de France versuchten, ein Bild von sich und den vorbeiradelnden Sportlern zu schießen.

Radsportler bei der Tour de France

GEPA/Herman Seidl

Vor Begeisterung geradezu aufdringliche Fans sind fixer Bestandteil der Tour de France. Bisher schauten die meisten von ihnen aber wenigstens auf die Straße.

Auf Twitter blies Thomas’ amerikanischer Kollege Tejay van Garderen in dasselbe Horn: „Da stehen sie rückwärts gewandt mitten auf der Straße, während 200 Radrennfahrer auf sie zukommen, nur um ein Selfie zu machen“, so Van Garderen.

Hässliche und wertlose Unterschriften

Nicht nur manche Sportler leiden unter der Popularität der Schnappschüsse. Auch in der Sportindustrie trifft die Entwicklung weg vom Autogramm hin zum Selfie auf wenig Gegenliebe. Wenn die Unterschrift eines Stars keinen Wert für sich mehr darstellt, kann mit ihr auch kein Produkt mehr aufgewertet werden.

Dazu kommt laut Rick Milne, Experte für Sportsammlerstücke, dass viele Sportler selbst ihren Unterschriften keinen Wert mehr beimessen. Haben viele Athleten früher regelrecht an ihren Unterschriften gefeilt, seien heute viele Autogramme nur noch ein unlesbares Gekritzel. „Wegen des Aufkommens des Internets trainieren viele nicht mehr ihre Handschrift und haben die Fähigkeit zu schreiben völlig verloren“, so Milne im „Sydney Morning Herald“.

1.000 Dollar für ein Selfie

Worin die einen monetäre Einbußen sehen, erkennen die anderen allerdings eine Gelegenheit. Laut der Nachrichtenseite News.com.au will der australische Rapper 360 auf seiner Tour 1.000 Dollar (700 Euro) pro Selfie verlangen. Und die kanadische Sängerin Avril Lavigne - auch wenn sie schon lange nicht mehr zu den Großen im Musikgeschäft gehört - bietet Backstage-Selfies um immerhin 400 Dollar (280 Euro) an.

Bisher stellen solche Geschäftsmodelle noch die Ausnahme dar. Die meisten Stars - und Sternchen sowieso - lassen sich bereitwillig gratis von und mit ihren Fans fotografieren. Doch wer kann in Zeiten einer ächzenden Musikindustrie und schleppender Merchandise-Verkäufe sagen, ob Beispiel wie das von Lavigne nicht bald Schule machen. Selfies wären dann wohl teuer, ob sie auch wertvoll wären, sei dahingestellt.

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