Staudämme als militärische Ziele
Die Kontrolle über das Wasser könnte in den Konflikten in Syrien und im Irak über Sieg oder Niederlage entscheiden, sagen Experten. So spielen sich die Kämpfe nicht nur rund um die Städte und militärischen Anlagen ab, sondern auch an den Staudämmen und Pumpstationen der beiden Länder.
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Im April zeigte die Extremistengruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) die sich mittlerweile in Islamischer Staat (IS) umbenannt hat, was passieren kann, wenn die Dschihadisten ein Wasserbauwerk in die Hände bekommen. IS-Truppen eroberten den Nuaimijah-Staudamm nahe der Stadt Falludscha und schlossen die Schleusen - mit weitreichenden Folgen. Während das Wasser in den Städten Karbala und Nadschaf ausging, flutete es in Abu Ghraib knöcheltief die Straßen. 12.000 Familien sollen laut UNO ihre Häuser verloren haben. Dabei handelt es sich beim Nuaimijah-Damm noch um eine verhältnismäßig kleine Staumauer.
Kontrolle über Stadt und Land
„Die Kontrolle über die Wasserversorgung verhilft zur strategischen Kontrolle sowohl über die Städte als auch die ländlichen Gebiete“, sagt Michael Stephen, stellvertretender Direktor des britischen Royal United Services Institute gegenüber der Tageszeitung „The Guardian“. „Wasser ist mittlerweile das strategische Hauptziel aller Gruppen im Irak. Es entscheidet über Leben und Tod“, so der Sicherheitsexperte.
In einem Land, das mit seinen Wasservorräten per se vorsichtig haushalten muss, ist die ausreichende Wasserversorgung bereits von vornherein eine heikle Aufgabe - vor allem dann, wenn bereits der achte Sommer in Folge ohne Regen bevorsteht. In einem bewaffneten Konflikt erlangen die Wasserreservoirs dazu noch strategische Bedeutung - und die Kontrolle darüber wird zum militärischen Ziel.
Kurden sichern Strom und Wasser für Mosul
Noch Anfang des Jahres warf die schiitische Regierung den Kurden vor, Wasser vom Mosul-Damm im Norden des Irak illegal abzuzweigen. Solche Vorwürfe sind heute aus Bagdad nicht mehr zu hören, eroberten IS-Truppen in der Zwischenzeit doch den Damm und drehten Mosul gleich einmal Wasser und Strom ab. Dass mittlerweile die kurdische Armee wieder den Staudamm kontrolliert und zumindest versucht, den Bewohnern von Mosul Wasser- und Energiesicherheit zu bieten, ist der irakischen Führung da weitaus lieber.

AP/Khalid Mohammed
In den vergangenen Monaten kämpften ISIS und kurdische Armee um die Kontrolle über den Staudamm bei Mosul
Neben ihrer lebenswichtigen Bedeutung für die Trinkwasserversorgung, erfüllen viele Dämme im Irak noch eine andere Funktion - die sie für IS nicht minder interessant macht. So versorgen etwa die Turbinen des acht Kilometer langen Haditha-Staudamms ein Drittel des Landes mit Strom. Wer die zweitgrößte Staumauer des Irak kontrolliert, kann in Bagdad ganz schnell die Lichter ausgehen lassen.
Wasser als Massenvernichtungswaffe
Bereits die US-Amerikaner setzten sich bei ihrer Invasion des Irak im Jahr 2003 die Sicherung des Haditha-Damms als eines der ersten Ziele. Sie befürchteten, dass ein in die Ecke gedrängter Saddam Hussein, die Schleusen öffnen und den Damm damit in eine Massenvernichtungswaffe verwandeln könnte.
Hunderte Millionen Kubikmeter Wasser hätten sich in so einem Fall in das Euphrat-Tal ergossen und Städte und Dörfer überflutet. Niemand kann ausschließen, dass die Extremistengruppe ISIS nicht zu einer ähnlichen Handlung fähig wäre, weshalb die Haditha-Talsperre mittlerweile zu einem der militärisch am stärksten abgesicherten Orte des Irak zählt.
Aleppos Wasser im Visier
Die Taktik, die Wasserversorgung als strategische Waffe einzusetzen, entwickelte IS nicht erst im Irak. Bereits in Syrien erkannte die Terrorgruppe - ebenso wie das Regime von Baschar al-Assad - das militärische Potenzial des Wassers. Vor allem im Kampf um Aleppo sollen sowohl Regierungstruppen als auch IS-Milizen die Ressource Wasser ins Visier genommen haben.
Bis heute ist nicht geklärt, wer dafür verantwortlich war, dass heuer am 10. Mai die Pumpstation in al-Chafsa am Assad-See - Syriens größtem Wasserreservoir - ihren Betrieb einstellte. In der Folge war halb Aleppo ohne Wasser. „Wenig überraschend sorgte dieser Zwischenfall in einer Stadt mit fast drei Millionen Einwohnern für Panik und Chaos. Manche Menschen begannen sogar, aus Lacken in den Straßen zu trinken“, erzählte Nouar Shamout dem „Guardian“.
Der für den Thinktank Chatham House beschäftigte Wissenschaftler geht davon aus, dass die andauernden Angriffe auf die Wasserversorgung, den Konflikt noch einmal verschärfen. „Der Würgergriff durch ISIS - auch wenn ihn das Regime leugnet - könnte sich gemeinsam mit dem achten trockenen Sommer in Folge zu einer Wasser- und einer Nahrungskrise auswachsen, die die Todesfälle und Flüchtlingszahlen in dem dreijährigen Konflikt noch einmal nach oben treiben“, so Shamout.
Flüsse vor dem Austrocknen
Dabei steht Syrien, was die Wasserversorgung betrifft, noch deutlich besser da als der Irak. Euphrat und Tigris müssen nämlich erst den Norden Syriens queren, bevor sie durch das eigentliche Herz des alten Zweistromlands fließen. Und Syrien bedient sich vor allem am Euphrat reichlich - leidet aber selbst bereits unter dem Wasserhunger der Türkei, wo die Flüsse ihren Ursprung haben. Im Irak kommt hingegen mittlerweile nicht einmal mehr ein Viertel der Wassermenge von vor 35 Jahren an. An manchen Stellen sind Euphrat und Tigris bereits mehr Bach als Strom.
In den nächsten Jahren könnte sich diese Situation noch einmal zuspitzen. Laut einem im „Central European Journal of Engineering“ veröffentlichten Forschungsbericht, steht den Flüssen Euphrat und Tigris im Irak bis zum Jahr 2040 die Austrocknung bevor. Spätestens dann könnte Wasser nicht mehr nur Kriegsmittel, sondern Kriegsgrund sein. Die Konflikte, die solche klimatisch bedingten Veränderungen nach sich ziehen könnten, will sich heute freilich noch niemand ausmalen.
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