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Verhandlungen derzeit kaum Thema

In der Ukraine hat die Armee am Wochenende ihre „Anti-Terror-Aktion“ gegen die prorussischen Separatisten merklich ausgeweitet. Die Milizen zogen sich am Samstag vorerst zurück, am Sonntag gab Kiew Befehl zur Großoffensive. Monatelang hatten die Rebellen die Oberhand behalten, nun spricht die ukrainische Regierung von einem „Wendepunkt“.

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Zuletzt hatte Kiew eine Rückkehr zum Verhandlungstisch zugesagt, im Moment scheint man allerdings entschlossen, den Konflikt mit militärischen Mitteln zu lösen - trotz erneut scharfer Worte aus Moskau. Am Sonntag rückte die Armee weiter in Richtung der Stadt Donezk vor, in der sich eine große Zahl an Separatisten verschanzt halten. Die Milizen zogen sich, nachdem sie Slawjansk und eine weitere Stadt, Kramatorsk, vorerst aufgegeben hatten, in die ostukrainische Industriemetropole zurück.

Armee setzt auf Belagerung

Einer der Anführer der Separatisten, Denis Puschilin, räumte am Sonntag ein, dass die Rebellen über Nacht auch die Städte Druschkiwka und Kostjantyniwka aufgeben hätten müssen. Die ukrainische Regierung hatte bereits Samstagabend von „einem der größten Siege“ seit Beginn der Kämpfe Mitte April gesprochen.

Soldaten hissten symbolträchtig die blau-gelbe Flagge des Landes auf den Rathäusern. Präsident Petro Poroschenko befahl, Lebensmittel in die „befreiten“ Orte zu bringen. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti begannen in Slawjansk umfangreiche Personenkontrollen. Zahlreiche Verdächtige seien festgenommen worden. „Der Strategieplan von Präsident Petro Poroschenko sieht die völlige Blockade dieser Orte bis zur Kapitulation der Banditen vor“, sagte der Vizechef des Sicherheitsrats, Michail Kowal, am Sonntag dem Fernsehsender Inter in Kiew. Er antwortete damit auf die Frage, ob die Armee die Städte aus der Luft angreifen oder stürmen werde.

Separatisten: „Widerstand ist nicht gebrochen“

Die Aufständischen wollten von einer Niederlage allerdings nichts wissen. Die Kämpfer seien nicht vor der Armee geflohen, sondern sie hätten zum Schutz der Zivilbevölkerung die Stellung gewechselt, sagte Separatistenanführer Andrej Purgin. „Unser Widerstand ist nicht gebrochen.“ Igor Girkin („Strelkow“) von der „Volkswehr“ erklärte allerdings, nach dem Vorrücken der Regierungskräfte mit Artillerie, Panzerfahrzeugen und Kampfhubschraubern hätten die Milizen die Stellungen nicht mehr halten können. Die Milizen würden ihre Kräfte nun in Donezk sammeln. Am Rand der Millionenmetropole kam es am Wochenende mehrfach zu Gefechten.

Ukrainische Soldaten in Slawiansk

Reuters/Maria Tsvetkova

Radpanzer der ukrainischen Armee bezogen in Slawjansk Position

Angesichts der Lage rückt nun eine Waffenruhe, für die sich zuletzt Deutschland stark eingesetzt hatte, offenbar wieder in weite Ferne. Ein von Poroschenko für Samstag vorgeschlagenes Treffen der Kontaktgruppe fand gar nicht erst statt, nachdem der ukrainische Präsident zuvor eine einseitige Feuerpause kategorisch ausgeschlossen hatte. Girkin kündigte an, er werde am Montag einen „zentralen Militärrat“ einberufen. Puschilin versprach seinerseits einen „Wendepunkt“ in den Kämpfen: „All unsere Truppen sind hier konzentriert. Die Verteidigung von Donezk wird ein Wendepunkt sein. Wir werden siegen.“

Russland besteht auf Waffenstillstand

Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte, für ein Krisentreffen müsse eine neue Feuerpause vereinbart werden. Die ukrainische Führung reagierte auf den Appell zu Verhandlungen allerdings zurückhaltend. „Bei den Gesprächen kann es eigentlich nur um die bedingungslose Waffenabgabe der Kämpfer sowie um die Freilassung der Gefangenen gehen“, betonte Andrej Lyssenko vom Nationalen Sicherheitsrat in Kiew. Die Regierung sei außerdem zu Verhandlungen über eine Sicherung der Grenze durch Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereit.

Kiew setzt offenbar auf militärische Karte

Poroschenko sagte, die Erfolge würden ihm in seiner Entscheidung, die vor fast einer Woche abgelaufene Waffenruhe nicht zu verlängern, recht geben. „Die Kämpfer haben die Feuerpause nicht unterstützt. Jetzt erhalten sie ihre verdiente Strafe dafür“, unterstrich er. Die Rückeroberung der von den Separatisten besetzten Städte besitze „überragende Symbolkraft“, die Lage bleibe aber kompliziert. „Die Terroristen graben sich nun in den großen Städten ein.“

In der Ostukraine kämpfen militante prorussische Kräfte um die Unabhängigkeit der nicht anerkannten „Volksrepubliken Donezk und Lugansk“. Die Aufständischen hoffen weiter auf militärische Hilfe von Kreml-Chef Wladimir Putin und einen Einmarsch russischer Truppen. Bei den Gefechten starben Schätzungen zufolge mehr als 500 Menschen. Nachhuten der Aufständischen, die den Rückzug aus Slawjansk und Kramatorsk sichern sollten, waren in der Nacht auf Sonntag unter Artilleriebeschuss geraten. Augenzeugen berichteten von Sperrfeuer und Bränden in den Vororten der einstigen Separatistenhochburgen.

Hillary Cinton warnt vor Putin

Nach der umstrittenen Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim durch Russland forderte währenddessen Ex-US-Außenministerin Hillary Clinton ein entschiedenes Vorgehen des Westens. „Wir können nicht zulassen, dass ein politischer Führer die Grenzen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg neu zieht“, sagte sie mit Blick auf Putin der deutschen „Bild am Sonntag“ und fügte hinzu: „Ich glaube, er kann gefährlich sein. Ein Mann wie Putin geht immer bis an die Grenzen.“

Russland kritisierte die Gefechte in der Ukraine scharf. Es sei „zutiefst beunruhigend“, dass die vereinbarten Verhandlungen der ukrainischen Führung mit den Aufständischen nicht stattgefunden hätten, sagte Lawrow in einem Telefonat mit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier. Der Ukraine-Sonderbeauftragte des russischen Außenministeriums, Konstantin Dolgow, rechnet mit einem zeitnahen Ende der Kämpfe.

Die „heiße Phase“ könne in einigen Wochen vorbei sein. „Die Überwindung dieser Krise wird aber Jahre dauern“, sagte der Moskauer Diplomat. „Das Land ist zweifellos sehr tief gespalten.“ Die NATO und Russland hielten parallel im Schwarzen Meer Manöver ab. An der NATO-Übung beteiligten sich Schiffe aus den USA und sechs weiteren Mitgliedsländern. Die Ukraine gehört nicht zum Bündnis.

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