Themenüberblick

Porträtskizzen eines letztlich Unbekannten

„Vielleicht wird man sagen dürfen: ‚Gott hat es gut gemeint mit Österreich, dass er ihm diesen Kaiser erspart hat‘“, schreibt der Reichstagsabgeordnete Josef Redlich in sein Tagebuch, als am 28. Juni 1914 die Nachricht vom Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie in Wien eintrifft. Hätte er die Monarchie noch umbauen, ja, reformieren können? Oder war er eben, wie man dieser Tage liest, der „Sargnagel der Monarchie“?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Mehrere Publikationen versuchen dieser Tage, diese der Öffentlichkeit doch rätselhaft gebliebene Figur zu erschließen. Neben Alma Hannigs nüchtern sachlicher Franz-Ferdinand-Biografie, für die viele neue Quellen gesichtet wurden, ermöglicht vielleicht der literarische Zugang so etwas wie Verständnis zur Haltung dieses Mannes, der nach außen vielen eigensinnig und sturköpfig erschien.

Ludwig Winders 1937 in Zürich erschienener und in Österreich danach rasch verbotener Roman „Der Thronfolger“, der 1984 nochmals in der DDR verlegt wurde, erschien in diesem Jahr mit einem kommentierenden Nachwort des Historikers Ulrich Weinzierl neu und wurde vom Feuilleton als Sensation gefeiert, weil es gerade durch die Nähe zu den Quellen und den Mut zu Fiktion so etwas wie ein plastisches Bild zeichnet.

Franz Ferdinand und Sophie Chotek

picturedesk.com/akg-images

Als Thronfolgerpaar in Sarajevo ermordet: Sophie und Franz Ferdinand

Das betrifft nicht nur das Bild des Thronfolgers und dessen Werdegang seit frühster Kindheit (samt der Verwüstung, den eine gnadenlose Mutter anrichtete) - plastisch ist vor allem auch das Bild des Umganges mit Franz Ferdinand im Umkreis des Hofes. „Eine Pflichtlektüre“, so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) - zumindest „für all diejenigen, die sich in den Habsburger Untergang einfühlen wollen“.

Der fremde Kaiserneffe

Der Kaiserneffe bleibt dennoch eine fremd erscheinende Figur. Freilich eine, die Historiker gar nicht so gern knacken wollen. Denn auch rund um das Attentatsjubiläum zeichnen die Biografien doch das Bild eines Mannes, der vieles war, aber sicher nicht einer, der das Steuer für die Monarchie mit Verve hätte herumreißen können.

Franz Ferdinands gehobenes Aristokratenleben samt Militärlaufbahn hatte durch den Tod von Kronprinz Rudolf ein jähes Ende. Durch das Ableben seines Cousins war Franz Ferdinand faktisch Thronfolger geworden. Bevor er es mit dem Tod seines Vaters Karl Ludwig im Mai 1896 tatsächlich wurde, durfte er sich immerhin noch einen Herzenswunsch erfüllen. Am 15. Dezember 1892 stach er an Bord der „SMS Kaiserin Elisabeth“ in Triest in See, um die Welt zu umrunden. Die Tagebuchaufzeichnungen der zehn Monate langen Reise nach Afrika, Asien, Australien und Amerika werfen kein gutes Licht auf ihn, sind sie doch gespickt mit abfälligen Bemerkungen über die Einheimischen. Immerhin kam er mit zahlreichen Souvenirs und Jagdtrophäen zurück.

„Niemand, den man ins Herz schließen konnte“

„Franz Ferdinand war keine Person, die man spontan ins Herz schließen konnte“, sagt die Historikerin Hannig. Und damit ist auch einiges gesagt über Franz Ferdinand als Homo politicus. Der Mann, der seine Militärkanzlei, die ihm der Kaiser ab 1898 zugestand, zu einer Art Schattenregierung ausbaute, hatte ganz einfach gesagt Probleme mit dem politischen Kalkül. Eine deutsche, katholische politische Heimat war im Vielvölkerstaat eine zu geringe Hausmacht, um das Ruder im Habsburgerreich herumreißen zu können. Und schließlich war da die starke Antipathie des Thronfolgers gegenüber den Ungarn.

So warf Franz Ferdinand dem Kaiser vor, zu nachgiebig gegenüber den Ungarn zu sein. Den im Jahr 1907 verlängerten Ausgleich hätte der Thronfolger am liebsten per Staatsstreich in Budapest ausgehebelt. Außenpolitisch setzte sich Franz Ferdinand für eine Annäherung mit Russland ein, obwohl das angesichts der Bündnisstrukturen in Europa fast ein Ding der Unmöglichkeit war.

Ausgerechnet den kühnsten Reformschritt des Kaisers, die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts in der österreichischen Reichshälfte im Jahr 1907, sah der vermeintliche Modernisierer ganz und gar nicht positiv. Mit der Demokratie stand Franz Ferdinand wohl auch deswegen auf Kriegsfuß, weil er um seine geringe Popularität wusste. Sie lässt sich insbesondere an den Reaktionen auf seinen gewaltsamen Tod am 28. Juni 1914 ermessen.

Todesnachricht löste keine Erschütterung aus

Die Todesnachricht aus Sarajevo habe in Österreich „keine sonderliche Erschütterung oder Erbitterung“ ausgelöst, berichtete etwa Stefan Zweig. „Denn der Thronfolger war keineswegs beliebt gewesen.“ Tatsächlich war Franz Ferdinand nicht nur bei den Ungarn verhasst, sondern hatte auch die Polen und Tschechen gegen sich aufgebracht, während er in der deutschen Volksgruppe nur auf die Christlich-Sozialen zählen konnte, schreibt der französische Biograph Jean-Paul Bled in seinem nun auch auf Deutsch vorliegenden Werk über den „eigensinnigen Thronfolger“. „Daraus folgt, dass ihm eine genügend breite Basis gefehlt hätte, um zu regieren.“

Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1914

ÖNB/ANNO

Das Titelblatt der „Wiener Zeitung“ vom 29. Juni 2014

Hoffnungsfroh war Franz Ferdinand nicht, als er sich zu seiner verhängnisvollen Reise nach Sarajevo aufmachte. „Ich weiß, dass die Kugel für mich schon gegossen ist“, soll er vor seiner Abreise in Konopist gesagt haben. Doch waren die Schüsse von Sarajevo nur das letzte Glied einer Verkettung unglücklicher Umstände, die zu seinem Tod führten.

„Es ist alles schiefgelaufen“

„Es ist alles schiefgelaufen“, sagt der Monarchieexperte Gerhard Stadler, der zum Jahrestag des Attentats mit einer Reisegruppe die Originalroute Franz Ferdinands nach Sarajevo nachfahren will. Zu wünschen bleibt dabei eine Reise, die weniger Pannen hat als jene des Thronfolgers.

Franz Ferdinand und Sophie Chotek in einer Kutsche in Sarajewo

APA/AP/Historical Archives Sarajevo

Franz Ferdinand und Sophie werden vor dem Rathaus verabschiedet - nur wenige Minuten später fällt das Thronfolgerpaar dem Attentat zum Opfer

Auf Franz Ferdinands Reise gab es schon vor Wien die erste Panne. Im Salonwagen des Thronfolgers war ein Rad heißgelaufen, der Wagen musste ausgetauscht werden. Im zweiten fiel das Licht aus. „Was sagen Sie zur Beleuchtung? Wie in einem Grab?“, so der Kommentar des Thronfolgers, der mittlerweile wie eine Ahnung vom kommenden Schicksal gelesen wird. Von Triest ging es dann an Bord der „SMS Viribus Unitis“, des Flaggschiffes der k. u. k. Marine, weiter entlang der istrischen und dalmatischen Küste bis zur Mündung der Neretva. Einige Kilometer flussaufwärts erreichte man im heute wie damals verschlafenen Ort Metkovic die Grenze des k. u. k. Reichslandes Bosnien-Herzegowina und die Eisenbahnlinie nach Sarajevo.

Die malerische Strecke, auf der laut Stadler heute nur noch einmal wöchentlich ein Personenzug verkehrt, brachte Franz Ferdinand in den Kurort Ilidza, rund zehn Kilometer westlich von Sarajevo. Am Nachmittag des 25. Juni traf der hohe Gast im dortigen Hotel Bosna ein, empfangen von seiner Gemahlin Sophie. Wie so oft war Sophie, geborene Gräfin Chotek und mittlerweile Herzogin von Hohenberg, aus protokollarischen Gründen getrennt mit dem Zug aus Wien über Bosanski Brod angereist. Ein angenehmer Nebeneffekt des Bosnien-Aufenthaltes war nämlich, dass Franz Ferdinand und seine am Wiener Hof wegen ihrer niederen Herkunft geächtete Frau auch bei offiziellen Anlässen ihre Zeit gemeinsam verbringen konnten.

Manöver in politisch heißer Phase

Der eigentliche Zweck der Reise war schließlich ein Manöver der österreichisch-ungarischen Armee, dem Franz Ferdinand persönlich beiwohnen wollte. Seine Anwesenheit hatte keineswegs nur symbolische Bedeutung. Einerseits wollte sich das Militär mit der Übung rund um den Ivan-Sattel südwestlich von Sarajevo für die immer realere Möglichkeit eines Krieges auf dem Balkan rüsten.

Buchhinweise

  • Alma Hannig: Franz Ferdinand. Die Biografie. Amalthea, 352 Seiten, 24,95 Euro.
  • Jean-Paul Bled: Franz Ferdinand. Der eigensinnige Thronfolger. Böhlau, 322 Seiten, 36 Euro.
  • Ludwig Winder: Der Thronfolger. Ein Franz-Ferdinand-Roman. Zsolnay, 576 Seiten, 26,80 Euro.

Andererseits nutzte Franz Ferdinand die Gelegenheit, die militärischen Fähigkeiten des bosnischen Landesverwalters Oskar Potiorek zu testen. Diesen hatte er als Nachfolger für Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf im Auge, mit dem der Thronfolger über Kreuz war. „Die Manöver waren dazu da, um Potiorek zu prüfen“, sagt Stadler.

Die Armeeübung stand unter keinem guten Stern. Wegen sintflutartiger Regenfälle versanken die Soldaten im Morast, und die Übung musste am 27. Juni vorzeitig abgebrochen werden. Der Sieger im Ringen zwischen „Roten“ und „Blauen“ wurde daher am grünen Tisch verkündet. Franz Ferdinand zeigte sich mit dem Verlauf des Manövers zufrieden, und wohl auch mit Potiorek, denn am folgenden Tag wollte er dem Landesverwalter mit einem offiziellen Besuch in Sarajevo die Ehre geben.

Von Ilidza nach Sarajevo

Das strahlende Sommerwetter am Vormittag dieses Sonntags täuschte nur kurz darüber hinweg, dass der dramatische Höhepunkt dieser Reise noch bevorstand. Mit einem Sonderzug reiste das Paar um 10.00 Uhr von Ilidza nach Sarajevo, wo es ins Auto umstieg. Bald schon ereignete sich der erste Zwischenfall, einer der sechs entlang der Route postierten Attentäter warf eine Bombe auf den Konvoi, doch diese explodierte hinter dem Wagen des Thronfolgers.

Ein Offizier wurde schwer verletzt. Beim anschließenden Empfang im Alten Rathaus zeigte sich der Thronfolger empört darüber, mit Bomben „empfangen“ worden zu sein. An eine Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen wurde auch nach dem ersten Anschlag offenbar nicht gedacht. Zwar herrschte wegen des Manövers kein Mangel an Soldaten, doch waren diese nach der „Schlammschlacht“ auf dem Ivan-Pass nicht in einem präsentablen Zustand.

Franz Ferdinand wiederum verbat es sein Ehrgefühl, die Reise abzubrechen. „Er hat in dem entscheidenden Moment nicht gesagt: Nein, da mache ich nicht weiter“, so Stadler im APA-Gespräch. Seine „Charakterstärke“ kostete freilich nicht nur ihn das Leben, sondern auch seine geliebte Ehefrau. Sie schlug seinen Vorschlag, nach dem misslungenen ersten Anschlag doch alleine zum Mittagessen zu fahren, aus.

Die Routenänderung

Vom Rathaus sollte der Konvoi zunächst zum neuen Landesmuseum weiterfahren, das Franz Ferdinand besuchen sollte. Dieser verfügte jedoch eine Änderung der Route, weil er den am Vormittag verletzten Offizier im Krankenhaus besuchen wollte. Und hier passierte dann um etwa 10.50 Uhr die letzte, entscheidende Panne der Reise.

Franz Ferdinand und Ehefrau Sophie kurz nach dem Attentat aufgebahrt

APA/AP/Historical Archives Sarajevo

Vor der Beisetzung in der Familiengruft im niederösterreichischen Schloss Artstetten wurden die Leichname in der Wiener Burgkapelle aufgebahrt

Die Chauffeure bekamen die Routenänderung nämlich aus bis heute ungeklärter Ursache nicht mit und bogen an der Lateinerbrücke wie ursprünglich geplant ab statt geradeauszufahren. Potiorek griff ein, was den Konvoi zum Stillstand brachte. Der an der Brücke postierte Attentäter Gavrilo Princip hatte während des umständlichen Wendemanövers leichtes Spiel.

Mit zwei Schüssen tötete er Sophie und Franz Ferdinand. Dieser wollte sein Schicksal noch im Todeskampf nicht wahrhaben. Auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortete er mehrmals: „Es ist nichts.“ Zweideutig kommentierte der Kaiser in Wien den Tod seines Neffen: „Der Allmächtige hat wieder zurechtgerückt, was in Unordnung geraten war.“ Es war ein „Zurechtrücken“, das eine ganze Welt aus den Fugen reißen sollte.

Links: